der Hirneinfluss auf dieselben aufgehoben. Wenn man .daher einen
Nerven, welcher durch Entziehung des, Hirneinflusses ger
lahmt ist, oder' nicht mehr mit dem Gehirn zusammenhängt,
sticht, quetscht, brennt, ätzt, elektrisirt, galvanisirt, so hat zwar
keine Empfindung statt, weil die Reizung nicht meljr zum Gehirn
gelangt, aber es zucken dennoch die Muskeln, zu welchen
dieser Nerve Zweige, schickt, weil nur der Hirneinfluss auf die
motorische Kraft, nicht aber die motorische Kraft des Nerven
unter der verletzten Stelle gelähmt ist. ' Nur wenn ein Nerve
mehrere Monate dem Einflüsse der Gentra)tlieile entzogen ist, verliert
er, wie meine und Stickku’s Versuche (siehe oben p, 639.)
gezeigt haben, seine Reizbarkeit'ganz.
Reim Menschen und den höheren Thieren verhält sich daher
das Rückenmark zum Gehirn gerade so, wie afle Hirnnerven
zum Gehirn, und das Rückenmark ist als gemeinsamer Stamm
aller Rumpfnerven zu betrachten, obgleich es auch noch eigentümliche
Kräfte, vor den Nervenstämmen voraus hat. Durch
das Rückenmark werden die Primitivfasern aller1 Rumpfnerven
mit dem Gehirn verbunden, während die Hirnnerven unmittelbar
zum Gehirn treten.
Hiernach sind die Folgen, der Rückenmarksverletzungen ,zu
beurteilen. Verletzung des, untersten Theiles dejs. Rückenmarkes,
bewirkt Lähmung,der unteren-Extremitäten, des Masldarms,
der Blase, Verletzung 'desselben höher Rinauf bewirkt. Lähmung
jener Theile $animt den Bauchmuskeln, noch Röherc hinauf Lähmung
aller dieser Theile samrnt deq Brustmuskeln; .Verletzung
des Rückenmarkes am Halses unter dem . 4., Halsnerven bewirkt
auch Lähmung der. Arme, ahqr nicht des Zwerchfells,: wegfen des
Ursprunges des N. phrenicusvon. dein 4. Halsneryen; Verletzung
des verlängerten Markes bewirkt Lähmung des ganzen Rumpfes.
Wenn eine Verletzung von unten nach aufwärts vorschreitet, so
schreitet auch die Lähmung von unten nach aufwärts vor, wie in
der Tabes dorsajis., Das Rückenmark verhält sich also hierbei
ganz als Stamm der Rumpfnerven. Reizt man den obern Theil
des Rückenmarkes mechanisch, oder galvanisch, ,so, zucken alle
Muskeln des ganzen Rumpfes, gerade ; so,,1 wie durch Reizung
eines Nervenstammes alle Muskeln seiner Zweige zucken. Durch)-
schneidet man einen Nerven, so ist das dem Hirneinfluss, entzogene.
Stück, wenn es gereizt wird, .fähig, Zuckungen in den Muskeln
dieses Nerven hervorzurüfen; durchmhppidet man das Rückenmark
eines Thieres, so ist das dein Hirneinfluss entzogene
Stück des Rückenmarkes, wenn .es gereizt wird, fähig, noch alle
Nerven, die von ihm entspringen, und dadurch ihre Muskeln zu
excitiren.
Allein das Rückenmark'vertritt nicht allein alle Rumpfnerven
in genere im Gehirn, sondern auch die einzelnen Primitiy-
fasern der Rumpfnerven; denn die Affeclion gewisser Theile des
Rückenmarkes unterbricht nur den Hirneipfluss zu gewissen Muskeln
des,Rumpfes,, und die Verletzung gewisser Theile des Gehirns
bat auch nur die Lähmung gewisser 1 heile, des Rumpfes zur Folge.
Die halbseitige Ursache der L'iihmung im Gehirn und Rückenmark
bedingt auch nur eine halbseitige Lähmung am Rumpfe,
und je kleiner die Verletzung, je weniger sie von den Strängen
des Rückenmarkes umfasst, um so weniger Theile sind durch sic
dem Hirneinfluss entzogen. Bedenkt man ferner, dass es vom
Gehirn, abhängt, wie viel Muskeln des Rumpfes jedesmal bewegt
werden, so scheint daraus nothwendig hervorzugehen, dass die
Pi’imitivfasern der Nervenstämme, welche ins Rückenmark treten,
auch im Rückenmark sich nicht verbinden, sondern parallel neben
einander, wie im Stamme eines Nerven zum Gehirn treten,
um.isolift dem Gehirn örtliche-Empfindungen mitzutheilen, und
isölirte Excitationen zur Bewegung zu erhalten. Denn wenn sich
die Pfimitivfasern der Nerven im Rückenmark verbänden, so
wäre eine örtliche Empfindung am Rumpfe eben so wenig möglich,
als eine isölirte Zusammenziehung einzelner Muskeln am
Rumpfe. Auch die Ursache der Zuckungen im Gehirn und
Rückenmark wirkt auf einzelne Theile am Rumpfe, und so entstehen
auch Empfindungen in einzelnen Theilen des Rumpfes,
bei, Verletzungen gewisser Theile des Rückenmarks und Gehirns.
Uebrigens ist die Ordnung der Primitivfasern zu Nerven
beim Hervortreten aus dem Rückenmark noch nicht vorgebildet,
sondern tritt erst durch das bündelweise Zusammenfassen von
Wurzeffäden ein. Bekanntlich inseriren sich die vorderen und
hinteren Wurzeln in den vorderen und hinteren Strängen in einer
seitlichen Linie, jederseits etwas entfernt von der Mittellinie.
Die W urzelbündcl der Cauda equina inseriren sich hier dicht
nében einander ohne Unterbrechung, die Wurzeln der übrigen
NerVen dagegen mit scheinbarer Unterbrechung, indem die Fasern
zwar aus einander .fahren, aber die Büschel der Nervenwurzeln
sich nicht erreichen. So ist es scheinbar in den genannten seitlichen
Insertionslinien,' wo die Faserbündel die pia mater durchbohren.
Allein von jener Insertionslinie aus fahren sie noch weiter
aus einander, und wenn man sie noch tiefer verfolgt, sce
sicht man, dass die Wurzelanfänge aller Nerven ziemlich eine
nicht unterbrochene LäqgSlinie bilden, so dass die Wurzel eines
Spinalnerven erst entsteht durch das Zusammenfassen einer
gewissen Anzahl der Primitivbündel. Sieht man von dem bün-
delfbrmigeu Zusammenfassen der Primitivfasern zu Nervenstämmen
ab, und betrachtet man die Ursprünge der Primitivlasern
im Rückenmark hinter einander, ihre Isolation in den Nervenstämmen,
ihr Auseinandergehen in der letzten Verzweigung, so
gleicht das Rückenmark einem aus Nervenfasern gebildeten Stamme,
von welchem ununterbrochen mit Regelmässigkeit vorn uud hinten
viele Millionen Primitivfasern, theils von motorischer Kraft, theils von
sensibler Kraft gleichsam wie Strahlen zu allen Theilen gehen, welche
zwischen ihrem Ursprünge imRückenmarke und ihren peripherischen
Enden in so viel grössere und kleinere Bündel durch Nerven-
scheiden zusammengefasstsind, als es Rückenmarksnerven und Zweige
derselben giebt. Wir haben aber schon gesehen, dass diess Zusam-
menfassen ohne alle wahre Verbindung der Primitivfasern, und
ohne Mitteilung der Urkräfte der Primitivfasern geschieht.
Die vergleichende Anatomie giebt uns über das Verhältniss