
Fluidum in mehreren Fällen verloren. . Hiernach sprechen die
vorhin erwähnten Versuche doch mehr für als gegen die Herstellung
der Nervenleitung. Im dritten Falle allein fehlte die Reizbarkeit
im untern Nervenstücke fast ganz, und in diesem Falle scheint
daher zwar eine Vernarbung derNerven, aber keine Herstellung der
Leitung statt gefunden zu haben. Da der Einfluss des Gehirns
und Rückenmarks auf die Nerven zur längern Erhaltung der Reizbarkeit'eines
Nerven, nach Sticker’s Versuchen,N nöthig ist, so
giebt die blosse Reizbarkeit des untern Stückes eines durchschnittenen
Nerven nach mehreren Monaten den Beweis ab, dass die
Heilung mit Herstelluug der Leitung ..verbunden war. S chwann
bat neulich einen Versuch über die Reproduction der Nerven
bei einem Frosche angestellt. Er durchschnitt in der Mitte beider
Oberschenkel den N. ischiadicus. In der ersten Zeit nach
der Operation hüpfte der Frosch nur selten, sondern bewegte
sich meistens durch Kriechen fort. Nach Verlauf eines Monates
hüpfte er schon häufiger, und nach 3 Monaten ging diese Bewegung
fast eben so gut von Statten, wie bei einem gesunden Frosch.
Auch die Anfangs aufgehobene Empfindlichkeit in den Füssen war
nach dieser Zeit grösstenfheils zurückgekehrt. Wurden die blossgelegten
Nerven hoch oben oder dicht über der Narbe. mit
einer Nadel gereizt, so entstanden starke Zuckungen an den entsprechenden
Muskeln. Dasselbe zeigte sich, wenn die Nerven
unter der-Narbe und wenn die Muskeln selbst gereizt wurden.
Bei der Untersuchung des Nerven fand Schwann Folgendes: Nachdem
der Nerv (die Untersuchung konnte nur an Einem gemacht
werden) von den umgebenden Theilen, womit er an der verletzten
Stelle zusammenhing, getrennt war, bemerkte inan ein Stück von
ungefähr 1'" Länge, welches nicht die glänzende.Weisse zeigte,
wie der übrige Nerv, sondern etwas mehr durchscheinend war.
Es schien dadurch die Grenze angedeutet, wie weit sich die
durchschnittenen Nerven, wenigstens das Neurilem derselben zurückgezogen
- hatte. Das mehr durchscheinende Stück musste
also theils aus der aus dem durchschnittenen Nerven hervorquellenden
Nervensubstanz, theils aus neu erzeugter Masse bestehn.
Das ganze Stück liess sich aber nicht für hervorgepresste Ner-
venmasse erklären, weil es dafür zu lang war. Unter dem MU
croscop zeigte die fragliche Stelle aber an ihrer ganzen Länge
dicht an einander liegende Nervenfäden, und das mehr durchscheinende
Ansehn schien nur durch ein weniger vollständig re-
producirtes Neurilem zu entstehn. Diese Fäden gingen continuir-
lich in die Nervenfäden der beiden Nervenstumpfe über, und
wenn an einzelnen Stellen die Nervencylinder nur durch ganz
dünne Fäden .zusammenhingen, so liess sich diess, durch die behufs
der mikroskopischen Untersuchung vorgenommene Zerrung
erklären. Der obere Nervenstumpf war übrigens eben so angeschwollen,
wie es an den Nerven in Amputationsstümpfen zu
seyn pflegt; beim unteren Nervenstumpf war diess nicht der Fall.
DerVersuch von Schwann beweist die Reproduction derNerven deutlich.
Die Versuche von H aigthon, von P bevost und von T iedemann
sind ohnehin platterdings nicht erklärlich, wenn man nicht eine Re*-
production der Nerven annimmt. T iedemann, der bei einem Hunde
in der Achselhöhle die Nervenstämme des Vorderbeins, namentlich
den N. ulnaris, radialis, medianus, cutaneus ext. durchschnitten,
beobachtete nach 8 Monaten und noch mehr nach 21 Monaten
eine Herstellung der Empfindung und Bewegung, so dass
der Hund zuletzt den vollständigen Gebrauch des Fusses wieder
erlangt hatte. Diess ist einer der überzeugendsten Versuche-für
die Regeneration der Nerven. Für die Regeneration der Nerven
bei kleinen durchschnittenen Nervenfasern spricht auch, die Wiederkehr
einiger Empfindung in transplantirten Hautluppen, die
nach der Transplantation und Anwachsung von der Hautbrücke,
mit der sie früher noch zusammenhingen, getrennt werden, wie
z. B. der aus der Stirn gebildete Hautlappen für die neue Nase
nach dem Anwachsen ao der Stelle des Zusammenhanges mit der
Stirnhaut getrennt wird. Wenn hier keine Regeneration der feinen
Nervenfäden an den Verwachsungsstellen einträte, so müsste
ein solches Hautstück zuletzt ganz unempfindlich seyn. Nach den
Erkundigungen, die ich in dieser Hinsicht bei dem Erfahrensten
in diesen Dingen D jeffenbach, eingezogen, bleibt die Empfindlichkeit
in diesen Theilen zwar immer sehr gering, aber sie ist doch
nicht ganz zu läugnen.
Ein,Umstand, der es •'besonders schwierig macht, sich eine
deutliche Vorstellung von dem Hergange bei der Regeneration der
Nerven zu machen, ist das Vorhandensejm von Bündeln verschiedener
Nervenfasern in manchen Nerven, motorischer und sensibler
Fasern, wovon die ersteren, wie später gezeigt wird, allein die
Fähigkeit haben, Muskelbewegungen zu erzeugen. Bei der Regeneration
solcher Nerven müssten daher die motorischen Fasern
mit den motorischen, die sensiblen mit den sensiblen verwachsen,
was wieder schwer ist sich .vorzustellen, wenn man die Feinheit
dieser Fasern bedenkt. Schwann bezweckte bei seinem oben
erwähnten Versuch hauptsächlich zu ermitteln, ob das Zusammenheilen
von Empfindungs- und Bewegungsfasern an durchschnittenen
Nerven dadurch bewiesen werden könne, dass, wenn
die hinteren (Empfindungs-) Wurzeln, solcher Nerven im Rücken-
markskanale gereizt werden, vielleicht Zuckungen entständen. Er
legte daher an dem Frosche, an dem die N. ischiadici auf beiden
Seiten durchschnitten und wieder zusammengeheilt waren, das
Rückenmark bloss und durchschnitt die hinteren Wurzeln beider
Seiten; allein es zeigte sich keine Bewegung in den Schenkeln,
dagegen entstanden starke Zuckungen in den Muskeln des
Unterschenkels,, als die vorderen Wurzeln durchshnitten wurden.
Aus diesem negativen Resultat aber liess sich kein Schluss gegen
das Zusammenheilen von Empfindungs- und Bewegungsnerven ziehen,
weil der Erfolg dadurch, erklärt werden kann, dass die Empfindungsnerven
vielleicht nicht das Vermögen besitzen, eine Reizung
vom Centrum nach der Peripherie zu leiten.
Die von den Neuralgien hergenommenen Gründe für die Reproduction
der Nerven sind wohl die schwächsten. Nach der
Durchschneidung eines schmerzhaften Nerven kehren die Schmerzen
oft wieder. Diess würde sich allein schon aus dem Umstande
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