
Ich wünschte nun za wissen, ob die Wurzeln der letzten
Spinalnerven $ wenn sie in einiger Entfernung vom Rückenmark
abgeschnitten werden, und wenn die noch am Rückenmark ansitzenden
Anfänge der Wurzeln armirt werden, Zuckungen in
den vorderen Theilen durch Vermittelung des Rückenmarks zu
erregen im Stande sind. _ Die Resultate waren constant, aber
unerwartet.
Weder die vorderen noch die hinteren Wurzeln bewirken, wenn
sie allein einfach armirt werden, in rückwärts gehender Bewegung,
Zuckungen an den vorderen Theilen des Rumpfs, z. B. am Kopf.
Es scheint also, dass die Fasern der Nerven im Rückenmark
nicht communiciren. Es entstanden aber Zuckungen, weun die
Wurzeln mR dem einen Pol, die entblössten vorderen Theile des
Körpers, mit' dem andern Pole armirt wurden, was wieder durch
die Leitung des galvanischen Stroms auf ferne motorische Nerven
geschieht.
Endlich löste ich bei einem Frosch alle Wurzeln der Nerven
am grössten Theile des Rückenmarks von hinten bis in die
Gegend der Arme dicht am Rückenmark ab, so dass der hintere
Theil des Rückenmarks frei emporgehöben und ein Glastäfelchen
untergeschoben werden konnte. Das Rückenmarksende,' mit beiden
Polen verbunden, erregte Zuckungen in allen Theilen, welche
noch mit dem Rückenmark in Verbindung standen. Aus
diesen letzten Versuchen folgt, dass das Rückenmark nicht bloss
das Ensemble' der Rumpfnerven ist, wie ich vermuthet hatte, sondern
dass es zwar einige Dinge mit den Nerven gemein hat, in
einigen aber noch von ihnen verschieden ist. Denn die Wurzeln
der Spinalnerven bewirken, uumittelbar gereizt, in rückwärts
gehender Bewegung in den vorderen Theilen keine Zuckungen,
wohl aber das Rückenmarksende.
Die vorzüglichsten der hier beschriebenen Versuche, nämlich
die mit dem mechanischen Reiz und mit dem einfachen Plattenpaar,
habe ich nun schon alle Jahre wiederholt, und sie haben
mir immer dieselben unzweideutigen Resultate gegeben. So mache
ich sie nicht allein regelmässig in den Vorlesungen über die
Physiologie, sondern habe sie auch in Paris vor den Herren A.
v . H umboldt, D utbochet, V alencienner,, L aubillard, und ein andermal
vor Herrn Cuvier, eben so in Heidelberg bei Herrn T ie-
demann, in Bonn mit den Herren W eber und W utzer, ebendaselbst
mit Herrn Professor R etzius aus Stockholm wiederholt,
der sie wieder mit gleichem Erfolg dort wiederholte. Gleichen
Erfolg hatte die Wiederholung der Versuche durch Herrn T homson
in Edinburg, durch Herrn Stannius in Berlin (Heckrr’s Ann.
Dec. 1832.). Die Versuche mit dem mechanischen Reiz haben
S eubert (de funct. rad. ant. et post. nerv. spin. Carlsruhae 1833),
und van D een (de differentia et nexu inter nervös vilae animalis et
organieae. Lugd. Bat. 1834.) mit Erfolg wiederholt. Die galvanischen
Versuche mit der Säule sind S eubert nicht vollkommen
gelangen. Statt Zuerst mit einem Plattenpaare zu experknenti-
ren, hat S eubert, gleichsam um es recht gut zu machen, mit 50
Plattenpaaren operirt. Nun ist es aber bekannt, dass man, um
locale Wirkungen zu erzeugen, bei Thieren nur mit ganz schwachen
Apparaten experimentiren darf, indem man bei einiger
Stärke des Apparats nicht mehr sicher ist, ob man bloss den
durch die Pole berührten Theil galvanisirt, oder ob das durch
alle nassen Theile leitangsfähige galvanische Fluidum auf andere
Theile überspringt. Es ist daher kein Wunder, wem» S e u b e r t
in einigen Fällen beim Galvanisiren der hinteren Wurzeln der
Frösche durch eine Säule von 50 Plattenpaaren doch Zuckungen
entstehen sah; hätte er noch mehr Plattenpaare angewandt,
so hätte er eben so gut Convulsionen des ganzen Frosches erzeugen
können. Diese Betrachtung drängt sich sogleich bei einiger
Kenntniss der Wirkungsart und Leitung des galvanischen
Fluidums auf. Hätte derselbe mit einem einfachen Plattenpaare
operirt, so würde er den unabänderlichen Erfolg gesehen haben,
wie ich ihn jetzt schon so ausserordentlich häufig und nie mit
irgend einer Aenderung gesehen habe. Nachdem nun Dr. S e u bert
mit dem einfachen Plattenpaare diesen Erfolg gesehen, hätte
er zw'ei, dann drei, dann vier, dann fünf u. s. w. Plattenpaare
nehmen müssen, bis er eine Höhe von 10 — 20 — 30 Paaren erreicht
hätte; er würde dann die Grenze kennen gelernt haben,
bis zu welcher er bei seiner Säule gehen durfte. P a n i z z a ’s Versuche
an Fröschen und Böcken mittelst Durchschneidung der
Wurzeln bestätigen ebenfalls die Richtigkeit der BELL’schen Entdeckung.
Ricerche sperimentali sopra i nervi Pavia. 4.
So definitiv nun die Verschiedenheit der vorderen und hinteren
Wurzeln in Hinsicht der sensibeln und motorischen Eigenschaften
erwiesen ist, so wenig ist dieser Unterschied in Hinsicht
der vorderen und hinteren Stränge des Rückenmarks erwiesen.
Ich habe diess schon in meinem französischen Memoire in den
Annales des scienc. natur. 1831. bemerkt. Nach S e u b e r t ’s Versuchen
scheint die vordere Gegend des Rückenmarks vorzüglich,
aber nicht allein, der Bewegung vorzustehen; die hintere vorzugsweise,
aber nicht allein, der Empfindung. Die pathologischen
Fälle, die man in S e u b e r t ’ s Schrift zusammengestellt findet, enthalten
auch keine vollen Beweise jener Behauptung. Uebrigens
ist es kaum möglich, über diese Frage genaue Versuche an Thieren
anzustellen, indem man bei der Intention, auf die hinteren
Stränge durch Schnitt zu wirken, ohne es zu wollen, durch
Druck auf die vorderen wirkt.
II. Capitel. Von den s e n s itiv e n und m o to risch en E ig en s
ch a ften d e r G e h irn n e rv e n .
Ohne hier schon in das Detail der Physiologie der einzelnen
Gehirnnerven einzugehen, untersuchen wir dieselben hier in
Hinsicht ihrer Uebereinstimmung oder Verschiedenheit im Vergleich
mit den Buckenmarksnerven. Die Gehirnnerven können
in folgende Classen gebracht werden.
1) Reine Sinnesnerven, die Nerven der höheren Sinne, Nervus
olfactorius, opticus, acusticus.