
späteren Theile des Ganzen gesondert yorhanden sind, und sie ist
es, welche die Glieder, die zum Begriff des Ganzen gehören, wirklich
erzeugt. Der Reim ist das Ganze, Potentia, bei der Entwik-
kelung des Keimes entstehen die integrirenden Theile des Ganzen
actu. Wir sehen diess Werden des Einzelnen aus dem potentiellen
Ganzen vor unseren Augen bei der Beobachtung des bebrüteten
Eies. Alle Theile des Eies sind bis auf die Keimscheibe,
Blastoderma, nur zur Nahrung des Keimes bestimmt; die ganze
Kraft des Eies ruht nur in der Keimscheibe, und da äussere Einwirkungen
für die Keime der verschiedensten organischen Wesen
gleich sind, so muss man die. einfache, aus körnigem formlosem
Stoffe bestehende Keimscheibe als das potentielle Ganze des spätem
Thieres betrachten, begabt mit der wesentlichen und spe-
cifischen Kraft des spätem Thieres, fähig, das Minimum dieser
specifischen Kraft und Materie durch Assimilation der Materie zu
vergrössern. Dieser Keim breitet sich zür Keimhaut aus, welche
den Dotter umwächst, und die .Organe des Thieres entstehen
durch Umwandlung des Keimes," indem zuerst die Elemente des
Nervensystems, des Darmschlauchs, des Gefässsystems entstehen,
und selbst wieder aus den Elementen der organischen Systeme die
Details der Organisation sich immer weiter ausbilden, so dass man
die erste Spur der Centraltheile des Nervensystems, weder für
Gehirn, noch für Rückenmark, sondern für das noch potentielle
Ganze der Centraltheile des Nervensystems halten'muss. Auf gleiche
Art entstehen die Theile des' Herzens sichtbar aus einem
gleichartigen Schlauche, und die erste Spur des Darmschlauches
ohne Speicheldrüsen,'Leber, ist mehr als Darmschlauch, sondern
das potentielle Ganze des Digestionsapparates, weil Leber, Speicheldrüsen,
wiePancreäs, wie von Baer zuerst entdeckt hat, aus dem,
was man für Rudiment des Darmschlauches hält, wirklich sich
durch weitere Vegetation sichtbar entwickeln. Es kann jetzt nicht
mehr bezweifelt werden, dass der Keim nicht die blosse Miniatur
der späteren Organe-ist, wie Bonnet und H aller glaubten, sondern
dass der Keim das .von der specifischen organischen Kraft
beseelte und bloss potentielle Ganze ist, welches actu sich entwik-
kelt und die Glieder zur Thätigkeit des Ganzen neben einander
erzeugt. Denn der Keim selbst ist nur formlose Materie und die
ersten Rudimente der Organe werden nicht durch Vergrösserung
erst sichtbar, sondern ihr erstes Erscheinen ist deutlich, und die
Rudimente sind sogleich schon ziemlich gross, aber einfach, so
dass wir aus der Umgestaltung des einfachen Organes die spätere
Zusammensetzung desselben entstehen sehen. Diese Bemerkungen
sind heut zu Tage keine Meinungen mehr, sondern Facta, und
nichts ist deutlicher als die Entstehung der Drüsen aus dem Darm-
schlaueh, die Entstehung des Darms aus dem sich ahsondernden
Theile der Keimhaut. Hätte E rnst S tahl, diese Thatsachen gekannt,
so würde er noch mehr in seiner berufenen Ansicht gestärkt
worden seyn, dass die vernünftige Seele selbst das pnmum
movens der Organisation, dass sie selbst der letzte und einzige
Grund der organischen Thätigkeit sey, dass die Seele ihren Körper
nach den Gesetzen ihrer Wirksamkeit zweckmässig baue, und
erhalte, und dass durch ihre organische Thätigkeit die Heilung
der Krankheiten geschehe. Stahl’s Zeitgenossen und Nachfolger
haben diesen grossen Mann zum Theil nicht verstanden, wenn sie
glaubten, nach seiner Ansicht sollte die Seele,, welche vorstellt,
mit Bewusstseyn und Absicht, auch die Organisation betreiben.
Stahl’s Seele ist die nach vernünftigem Gesetz sich äussernde
Kraft der Organisation selbst. Allein Stahl ist darin zu weit
gegangen, wenn er die mit Bewusstseyn verbundenen Seelenäusserungen
in gleichen Rang mit der zweckmässig, aher nach blinder
Nothwendigkeit sich äussernden Organisationskraft stellte.
Die organisirende Kraft, die nach ewigem Gesetz die zum Bestehen
des Ganzen nöthigen Glieder erzeugt und belebt, residirt
wohl nicht in einem Organ; sie äussert sich in der Ernährung
noch bei der hirnlosen Missgeburt bis zur Geburt; sie verändert
das schon vorhandene Nervensystem wie alle übrigen Organe bei
der sich verwandelnden Insectenlarve, so dass dann mehrere Knoten
des Nervenstranges verschwinden und andere sich vereinigen,
sie bewirkt, dass b'ei der Umwandlung des Fi’osches das Rückenmark
sich verkürzt, in dem Maasse, als der Schwanz seine Organisation
verliert und die Nerven der Extremitäten entstehen. Die
bewusstlos wirkende zweckmässige Thätigkeit wirkt auch in den
Erscheinungen des Instinctes. Cuvier sagt davon sehr schön und
verständlich, dass die Thiere beim Instinct gleichsam von einer
angebornen Idee, von einem Traum verfolgt werden. Allein dasjenige,
was diesen-Traum erregt, kann nur die nach vernünftigen
Gesetzen wirkende organisirende Kraft, die Endursache eines Geschöpfes
selbst seyn. Diese ist vor allen Organen im Keim vorhanden,
und scheint daher auch im Erwachsenen an kein Organ
gebunden; das Bewusstseyn dagegen, welches keine organischen
Producte erzeugt, sondern nur Vorstellungen bildet, ist ein spätes
Erzeugniss der Entwickelung selbst und an ein Organ gebunden,
von dessen Integrität das Bewusstseyn abhängt, wenn das
primum movens zweckmässiger Organisation selbst in der hirnlosen
Missgeburt noch fortwirkt. In den Pflanzen fehlt das Bewusstseyn
mit dem Nervensystem, während die nach dem Urbilde der
Pflanzenspecies wirkende Kraft der Organisation vorhanden ist.
Man darf daher die organisirende Kraft nicht mit etwas dem Gei-
stesbewusstseyn Analogen, man darf ihre blinde nothwendige Thätigkeit
.mit keinem'Begriffbilden vergleichen. Unsere Begriffe vom
organischen Ganzen sind blosse bewusste Vorstellungen. Die organische
Kraft dagegen, die Endursache des organischen Wesens
ist eine die Materie zweckmässig verändernde Schöpfungskraft.
Organisches Wesen, Organismus, ist die factische Einheit von organischer
Schöpfüngskraft und organischer Materie. Ob beide
jemals getrennt gewesen seyen, ob die schaffenden Urbilder, die
ewigen Ideen P laton’s, wie er im Timaeus deutete, zu irgend einer
Zeit zur Materie gelangt sind, und sich von da an in jedem
Thiere un ft jeder. Pflanze fortan verjüngen, ist kein Gegenstand
des Wissens, sondern der unerweislichen Mythen, Traditionen
die uns die Grenze unseres blossen Bewusstseyns deutlich genug
anzeigeu. Das Thatsächliche ist, dass jede Thierform, jede Pflan