
die Reizbarkeit in dem ganzen Nerven oder im ganzen Organismus
aufgehoben:; wirkt sie nur auf einer Stelle dés Nerven, wie Cau-
stica, Druck, Quetschung, so wird auch nur diese Stelle gelähmt,
und die zwischen der Quetschung und dem Muskel befindlichen
Theile des Nerven haben ihre motorischen Kräfte behalten.
Die Wärme und die Kälte, welche in einer gewissen Stärke
und einer gewissen Zeit Stimulantien sind, werden deprimirend,
sobald sie sehr lange im , stärkern Grad angewandt werden.
Die Kälte, welche so gut wie die Wärme Entzündung und
Brand erregen kann , macht die Glieder taub oder empfindungs-
und bewegungslos; diese Wirkung kann örtlich und allgemein
seyn: die Wärme scheint .örtlich ohne Entzündung und Brand zu
erregen, nicht die Glieder taub zu machen; allein dié allgemeine
anhaltende Wirkung der Wärme ist auch Schwäche der
Nervenfunetionen.
Bei einigen Einflüssen geht vor der Zerstörung noch eine kurze
Irritation vorher, wie beim Quetschen der Nerven, bei der Behandlung
derselben mit Alkali. Dieselben Reizungserscheinungen beobachtet
man noch deutlicher bei einem grossen Theil der Narcotica,
deren Hauptwirkung scheint, die Mischung der Nerven zu verändern
und in höherem Grad der Wirkung, die Nervênkraft aufzuheben.
Eine ganze Abtheilung von Stoffen besitzt im aufgelösten
Zustande einen gewissen Einfluss auf die Kräfte der Nerven
und zerstört dieselbèn, ohne dass diese Stoffe sich auf
sehr eigentümliche Art gegen andere chemische Reagentien
verhalten, ohne dass sie caustisch sind, und die organischen
Verbindungen im Allgemeinen auflösen. Diess sind die Alte-
rantia nervina, die man Narcotica nennt. Allé diese Mittel alte-
rirep die materielle Zusammensetzung der Nerven. Einigè. sind
in kleinen Gaben reizend und weniger deprimirendy wie Opium,
Nux vomica, alle in grossen Gaben sogleich deprimirend durch
Alteration. Dass diess durch eine unseren Sinnen und der chemischen
Probe entgehende Umwandlung der Nefvenmaterie geschieht,
: ist wahrscheinlich und anzunehmen notwendig ;• allein
diese Umwandlung zeigt sich uns nur an dem Verluste der Nerven-
kräfte, und der durch Narcotica getödtete Nerve verhält sich dein
äussern Anschein nach ganz so wie der gesunde Nerve, wenigstens
wenn man .reine Narcotica in wässrigen Auflösungen, zum Beispiel
wässrige Auflösung von Opium, anwendet.
Ehe, wjr nun aber die Wirkung der narcotischen Stoffe auf
die Nerven näher untersuchen, wollen wir erwägen, ob es nicht
auch Stoffe giebt, welche die Reizbarkeit der Nerven erhöhen.
I. Integrirende Reize.
Nach früheren Versuchen war es sehr wahrscheinlich, dass
es viele .Stoffe giebt, welche die Reizbarkeit der Nerven erhöhen,
und die Heilkunde erwartete von diésen Versuchen einen
grossen Erfolg. A. v. Humboldt über die gereizte Muskel- und
Nervenfaser. Allein die stärkere Wirkung der galvanischen
Action nach Befeuchtung der Nerven mit Aqua oxymuriatica und
alkalischen Solutionen beweist noch nicht,-;dass die Reizbarkeit
der. Nerven durch jene Flüssigkeit erhöht werde, sondern beweist
nur, dass die galvanische Action stärker ist. Auch hat
P faff, nord. Archiv. Bä. 1. p. 17. durch Versuche erwiesen, dass
die inehrsten jener Stoffe nicht durch Erhöhung der Reizbarkeit
wirken, sondern insofern sie als .Glieder der galvanischen Kette
den galvanischen Reiz selbst vermehren, und die galvanische
Actiön bei derselben Stärke der Reizbarkeit erhöhen; jene Flüssigkeiten
wirken daher nur immer stärker als das Wasser, welches
zur galvanischen Action als Leiter nöthig ist. Die Heilkunde
hat auch ihre Hoffnungen auf Mittel, welche die Kraft der Nerven
verstärken; ganz aufgegeben, ,und diese Mittel leisten das,
was sie sollen, nur in den Lehrbüchern der Materia medica.
Mittel, welche reizen giebt és allerdings genug, wie Kam-
pher, die Nmmoniakalien, die Elektricität, und diese Mittel sind
vortrefflich, wo die nicht erschöpften, sondern bloss geschwächten
Nervenkräfte des Reizes bedürfen. Sie reizen, sie verursachen
eine Nervenaufregung, aber sie vermehren nicht die Stärke
dér Reizbarkeit. Die Nervenkraft nimmt nur zu durch dieselben
Proeesse, wodurch sie beständig wiedererzeugt wird, nämlich die
beständige Reproduction aller Theile aus dem Ganzen, und des
Gänzen durch die Assimilation. Für einen geschwächten Theil
de's Nervensystems sind gelinde Reize daher nicht darum nützlich,
weil sie die Reizbarkeit erhöhen, denn das thun sie nicht,
sondern weil ein gereizter Theil mehr die Ergänzung des Ganzen
anspricht, und daher vorzugsweise wiedererzeugt und ergänzt
wird. So stelle ich mir die nützliche Wirkung der Reize in den
Nervenkrankheiten vor; und hier ist wieder am meisten auf die
Wärme oder das Feuer zu halten, denn die Wärme ist die Ursache,
dass zuerst die Erzeugung der Theile äus der vorhandenen
Kraft des Ganzen beginnt; daher ist auch das Feuer oder
eine récht anhaltende, langsam abbrennende Moxa, oder besser das
lange andauernde Nähern einer brennenden Kerze an den leidenden
Theil ohne Branderzeugung das allein bewährteste und wirklich
hülfréichp Mittel in den anfangenden Lähmungen, Neuralgien, Tabes
dorsalis u. s. w.
II. Alterirende Reize.
Hiéhér gehören die 'Narcotica, welche, indem sie reizen, zugleich
dié Nervenmaterie zu zersetzen scheinen. Insofern diese
Mittel dié materielle Zusammensetzung' der Nèrven alteriren, bedient
sich die Arzneikunde derselben in kleinen Gaben zuweilen
mit Erfolg in Lähmungen, um feinere materielle Veränderungen
der Nerven auszugleichen, oder nach einer' solchen Umstimmung
dér Nätur selbst Gelegenheit zur Einleitung der Heilung zu geben.
In stärkerem Grade angewandt, wirken die Altérantia nervina
Seu Narcotica sogleich zersetzend.
Die Veränderung der Nerven bei unmittelbarer Application
des Giftés auf dieselben tritt ohne Zeichen von Reizung,
ohne Zuckung allmählig bis zur Paralyse ein. A. v. Humboldt
beobachteté; dass auch das Opium, nämlich Opiumtinctur,
Zuckungen errege. Ich selbst habe nie, weder bei der Anwendung
des Opiums in wässriger Auflösung, noch des Strychnins
, noch des spirituösen Extractes von Nux vomica auf