
2) Wenn verschiedene Primitivfasern in einem Nervenstamme
gereizt werden, so ist- die Empfindung, als wenn verschiedene
Punkte an den äusseren Theilen gereizt werden.
3) Die Reizung jedes Astes ist mit Empfindung begleitet an
den Theilen, zu welchen der Ast hingeht.
Es scheint also gleich, wo die Primitiyfasern gereizt werr
den: in den Stämmen selbst, wo ..sie noch neben einander liegen,
in den Aesten, \wo sie sich in Bündel abgetheilt haben, oder in
den äussersten Theilen, wo. sie sich ganz vereinzeln. . Wird die
Haut gereizt durch. Nadelstiche oder indem Mücken darüber laufen,
sind also die Enden der Primitivfasern irritirt, so haben wir
dort die Empfindung von Nadelstichen und Mückenlaufen; werden
dagegen die Massen der Primitivfasern in einem kleinen Zweig
am Finger gedrückt, so entsteht die Empfindung von Nadelstichen
und Mückenlaufen in. der Haut der Finger; wird ein ganzer
Stamm gedrückt, so entsteht dieselbe Empfindung von Nadelstichen
und Mückenlaufen in der Haut, wo die letzten Enden
der Primitivfasepn de.s Stammes, hingehen. Ist der Druck
auf den Stamm z. B. des Nervus cubitalis oder eines anderen
an der innern Seite des. Oberarms plötzlich und stark, so. ist die
Empfindung wie von einem elektrischen Schlage in allen Fasern,
in welchen sich der Stamm verbreitet; aber dieser Schlag fühlt
sich scheinbar nicht da,..wo der Nerve gedrückt wird, sondern
da, Wo die Primitivfasern des Nervenstarumes in der Haut der
Finger, der Hand, in den Muskeln des Vorderarms sieb enden.
Es gehören hieher auch die Phänomene bei der Durchschneidung
der Nerven beim Menschen in Amputationen. Im Momente der
Durchschneidung der Nerven werden die heftigsten Schmerzen
scheinbar in dem zu amputirenden Theile, worin sich die durchschnittenen
Nerven verbreiten, empfunden. Diess ist etwas ganz
Constantes, wie mir auf meine Frage der erfahrungsreiche; Dirigent
der chirurgischen -Abtheilung des Krankenhauses zu Hamburg
Herr Dr. Fk'icke versichert hat. Da jede Primitivfaser eines
Nerven bei ihrer Länge vom Gehirn, durch den Stamm des
Nerven in die Aeste, bis in die Haut nur in einem Punkte nämlich
am Ende mit dem Gehirn zusammenbängt,; so scheint es ganz
consequent, dass diese Primitivfasern unten in der Haut, in, der
Mitte oder im Stamme afficirt, dieselben Empfindungen haben
sollen; denn alle Empfindungen, die: in ihrer .ganzen Länge stattfinden,
können sie doch nur in einem einzigen Punkte mit dem
Gehirn oder dem Organe des Bewusstseins in Verbindung, bringen.
Es scheinen daher alle Primitivfasern eines Nerven, mögen
sie lang, oder kurz seyn, immer nur einen Punkt im Gehirn zu
repräsentiren, der immer dieselbe Empfindung zum Bewusstseyn
bringt, mag die Faser in der Haut afficirt seyn oder im Stamme.
Wir scheinen bei Reizung der Nervenfasern an verschiedenen
Orten ihrer Länge die Empfindungen immer in der Haut zu haben,
weil sie in der Regel immer dann entsteht, wenn die Haut
oder die Häutenden der Primitivfasern afficirt werden. So richtig
diese Schlüsse aus den bisher angeführten Beobachtungen
sind, so ist diese Theorie der Empfindungen doch noch ziemlieh
weit von einem vollkommenen Beweise entfernt, wie sich
aus Folgendem ergieht.
VI. Obgleich beim Druck äuf einen JHervenstamm, die Empfindungen
in den äusseren Theilen zw seyn scheinen, wird doch auch
ein heftiger Druck des Stammes zugleich an der Druckstelle des
Stammes empfunden. Diese Erfahrung macht man sonst nur selten;
indem man sich an den Nervus ulnaris anstösst. Man kann
aber ohne gewaltsame Eingriffe auch Versuche darüber an sich
anstellen. Drückt man nämlich den Nervus ulnaris über dem
Gondylus internus humeri allmählig verstärkt an den Knochen
an, indem man ihn bei dem Druck zugleich fixirt und nicht verschiebt,
so wird'zwar der ganze Arm unter der Druckstelle, und
zwar so weit sich der Nervus ulnaris verzweigt, schmerzhaft, allein
ein lebhafter, nicht bloss von der Empfindlichkeit der umliegenden
Theile herrührender Schmerz, der seinen Sitz im
Stamme des Nervus ulnaris hat, fühlt sich auch an der Druckstelle.
Diess dürfte nach Analogie der vorhergehenden und noch
später zu beschreibenden Erscheinungen nicht seyn, und es scheint,
dass uns hier hoch etwas Räthselhaftes, für die Theorie der Empfindungen
Wichtiges verborgen ist. Man beobachtet etwas
Aehnliches1 bei den Neuromen. Die characteristischen Symptome
dieser Geschwülste der Nerven sind zwar; dass die Schmerzen
in allen Theilen, zu welchen der Nerve hingeht, z. B. bei
einer-Geschwulst des Nervus ulnaris am Oberarm, die Schmerzen
in der Hand und am 4.. und 5. Finger furchtbar heftig auf-
treten; wie denn auch im Moment der DurchsGbneidung des
kranken 'Nerven über der Geschwulst in jenen Theilen die
furchtbarsten Schmerzen eintreten (von mir selbst hei einer
vom Professor Wutzér im chirurgischen Clinico gemachten
Durchschneidung des .Nervus ulnaris am Oberarm über einem
Nèüroma desselben beobachtet). Vergl. Aromssohw observ. sur
les tumeurs développées dans les nerfs. Sirasb. 1822. p. 9. Allein
auch das Neuroma Seihst pflegt sehr schmerzhaft und empfindlich
zu seyn. An diese Erfahrungen , dass ein Nervenstamm afficirt,
sowohl an den Theilen, zu welchen seine Zweige hingehen,
als an sich selbst Empfindungen verursacht, schliesst sich eine
ähnliche Erscheinung vom Rückenmark an, bei dessen Krankheiten
die Schmerzen in der Regel in allen unter der afficirten
Stelle liegenden peripherischen Theilen, allein zuweilen, obgleich
selten, wie hei der Neuralgia doi’salis, auch in der Mittellinie
des Rückens vorgefundeü werden.
Leider hat die ausübende Chirurgie die herrliche Gelegenheit,
Beobachtungen über die Erscheinungen hei der Durchschneidung
der Nerven anzüstellen, bis jetzt so wenig benutzt. Bei
einem so gewaltsamen Eingriff in' die Organisation eines Menschen,
wie die Amputation oder die Durchschneidung eines Nerven,
müssten sich die wichtigsten physiologischen, Fragen aufdrängen.
Auch die Verbreitung der Schmerzen in den Neuralgien nach
dem Verlauf der Nerven scheint der früher angeführten Theorie
der Empfindungen .zu widersprechen. Doch muss bemerkt wer