
Alle Versuche, die Schnelligkeit dieser Wirkung zu messen,
beruhen auf keiner erfahrungsmässigen sichern Basis. H aller
schrieb dem Nervensafte eine Geschwindigkeit von 9000 Fuss
in der Minute; Sauvages von 32400, ein Anderer von 57600
Millionen Fuss in der Secunde zu. (Haller Elem. IV. p. 372.)
Zur Zeit, als das galvanische Agens noch mit dem Agens der Nerven
für identisch gehalten wurde, berechnete man aus der Schnelligkeit
der elektrischen Leitung die Schnelligkeit des Nerven-
princips. Wir werden wohl auch nie die Mittel gewinnen, die
Geschwindigkeit der Nervenwirkung zu ermitteln, da uns die
Vergleichung ungeheurer Entfernungen fehlt, aus der die Schnelligkeit
einer dem Nerven in diesér Hinsicht analogen Wirkung
des Lichtes berechnet werden kann. Neuerdings ist man
auf eine Verschiedenheit der Beobachtung kleinster Zeittheile
durch den Gehörsinn und Raumtheile durch den Gesichtssinn
von Seiten der Astronomen aufmerksam geworden, welche
Einigen wahrscheinlich machen könnte, dass die Schnelligkeit
der Nervenwirkung zwischen verschiedenen Theilen des Nervensystems
und selbst bei verschiedenen Individuen verschieden
ist. Das Detail dieser Beobachtung ist von Herrn Nicolai , Di-
rector der Mannheimer Sternwarte, und durch Herrn Professor
T reviranus bei der Versammlung der Naturforscher zu Heidelberg
mitgetheilt worden. Es ist zu wichtig, als dass ich es nicht
ganz erwähnen sollte.
„Ein sehr grosser Theil der astronomischen Beobachtungen
besteht darin, dass man an einer Secundenuhr die Momente be-
obachtet, wenn ein Stern, vermöge der scheinbaren täglichen
Umdrehung der Himmelskugel um ihre Achse, vor den Mikrometerfäden
eines feststehenden Fernrohrs vorübergeht. Der Raum,
den ein Stern während einer ganzen Secunde im Fernrohr durchläuft,
ist, zumal wenn dasselbe stark vergrössert, so bedeutend,
dass man das Moment des Vorüberganges des Sterns vor dem
Mikrometerfaden nicht etwa auf eine halbe oder drittel Secunde,
sondern bei einiger Uebung und bei günstigem Zustande der
Luft selbst bis auf TV Secunde anzugeben vermag. Zu diesen
Beobachtungen werden mithin zu gleicher Zeit zwei Sinne in
Requisition gesetzt, das Gesicht und das Gehör. Während man
mit dem Auge das stetige Fortrücken des Sterns im Fernrohr
verfolgt, bemerkt das Ohr die einzelnen Secundenschläge der
nebenstehenden Pendeluhr. Zum Behuf der oben angezeigten
genauen Taxation des wirklichen Vorüberganges des Sterns vor
dem Mikrometerfaden bemerkt man sich, wenn der Stern bereits
nahe au den Faden gerückt istj diejenige Entfernung, die er bei
einem gewissen Secundenschlag noch diesseits vom Faden hat,
und eben so diejenige, die bei dem nächst folgenden Secundenschlag
bereits jenseits des Fadens stattfindet. Aus der Vergleichung
der Grösse dieser beiderseitigen Abstände lässt sich sodann
mit grosser Schärfe das wahre Moment des Vorüberganges des
Sterns vor dem Faden, oder der jedesmalige Bruchtheil der Secunde,
in welchem der Sternühergang erfolgt ist, angeben. Bereits
vor einigen Jahren bemerkte: der berühmte Director der Königsberger
Sternwarte, Herr Professor Bessèl, dass er das Moment
des\Appulses eines Sterns an die Fäden des Fernrohrs merklich
anders angab, als seine Mitbeobachter. Die Aufmerksamkeit auf
diesen Gegenstand verdoppelte sich also, und es wurde zum Zweck
einer nähern Untersuchung desselben eine eigene Reihe von Beobachtungen
angestellt. Der Erfolg war aber, dassBESSEL immer
andere Momente angab, als seine Mitbeobachter, und diese wieder
unter sich mehr oder weniger von einander differirten, während
die Resultate eines jeden einzelnen Beobachters ganz vortrefflich
harmonirten. Auch ich, sagt N icolai , habe bis jetzt
zwei Mal Gelegenheit gehabt, hierüber Untersuchungen anzustel-
lèn. Im Frühling 1827 hatte ich das Vergnügen eines Besuchs
von Herrn Professor K norre, Director der Kaiserlichen Sternwarte
zu Nicolajef. Sein Aufenthalt in Mannheim wurde sogleich
benutzt, um gemeinschaftliche Beobachtungen anzustellen.
Es ergab sich aus der Vergleichung unserer Resultate
mit grosser Schärfe, dass Herr K norre um die beträchtliche
Grösse einer halben Secunde die wahren Beobächtungsmomente
später angab als ich. Vor wenigen Wochen, habe ich diesen interessanten
Versuch mit einem andern geschickten Beobachter,
dem durch mehrere astronomische und mathematische Arbeiten
bereits auf das rühmlichste. bekannten' Herrn T homas Clausen
aus Dänemark wiederholt. Es fand sich, dass dieser um ^ Secunde
die Beobachtungsmomente später angab als ich. Bei anderen
Beohachtern sind diese Unterschiede noch viel grösser so
steigt z. B- die Differenz der Angaben zwischen den Professoren
Bessel und K norre bis auf die enorme Grösse von einer ganzen
Secunde, um welche dieser- die Momente später angiebt als jener.
Ueberhaupt sind bisher über diese Merkwürdigkeit von
mehreren Beobachtern so viele sichere Proben angestellt wor-*.
den, dass das Factum selbst über allen etwanigen Zweifel weit
erhaben ist.“ Isis 1830. p. 678.
Nicolai behauptet, dass diese merkwürdige Erscheinung nicht
anders als durch eine Verschiedenheit in der Schnelligkeit der
Wirkung vom Aug'e zum Bewusstseyn und vom Ohr zum Be-
wusstseyp erklärt werdén könne. Nimmt man nämlich an, dass
bei vereinigter und auf denselben Gegenstand gerichteter Thä-
tigkeit dieser beiden Sinne ein solches Individuum früher sieht
als es hört, dass dagegen bei einem andern Individuum beide
Reflexe in einem minderen Grade verschieden, oder zu gleicher
Zeit, oder selbst in umgekehrtem Sinne, d. h. das Sehen später
als das Hören erfolgen, so erklärt sich die Erscheinung vollkommen
und ungezwungen. Es würde aber daraus die wichtige Folgerung
hervorgehen, dass dié Wechselwirkung zwischen Sinnesorganen
und dem Bewusstseyn nicht völlig momentan ist. Aus
diesen Erscheinungen liesse sich hoffen, dem Problem von der
Schnelligkeit der Nervenwirkung näher zu kommen, wenn nicht
noch eine ganz andere Erklärung derselben möglich und sogar
wahrscheinlicher wäre. Es ist bekannt, dass das Bewusstseyn
nicht leicht zweierlei Empfindungen mit gleicher Intensität der
Aufmerksamkeit haben kann, und dass das Bewusstseyn, wenn