diese Empfindung die Medulla oblongata zur Entladung in die
motorischen Nerven anregt. Den weitern Act der Deglutition in
der Speiseröhre hält Marshall Hall für die Wirkung des unmittelbar
auf die Muskelfiber des Oesophagus wirkenden Reizes
und das Resultat der Irritabilität des letztem, welches sehr
zweifelhaft erscheinen dürfte. Selbst an geköpften jungen Thie-
ren kann man übrigens, wie schon angeführt, noch die durch
mechanische Reizung des Schlundes erfolgende, reflectirte motorische
Erregung beobachten. Marshall H all zeigt nun den
dauernden Einfluss dieser Function an den Sphincteren. Der
Sphincter ani bleibt bei einer Schildkröte nach der Enthauptung
geschlossen, so lange der untere Theil der Medulla spinalis unverletzt
ist, wird aber sogleich schlaff und öffnet sich, wenn man
das Rückenmark wegnimmt.
Marshall H all durchschnitt das Rückenmark hei einer lebhaften
Coluber natrix zwischen dem 2. und 3. Wirbel. Die Be-
wegungen hörten sogleich auf; so bleibt es auch, wenn das Thier
nicht gereizt wird. Wird es aber gereizt, so bewegt sich das
Thier eine Zeit lang, da bei jeder veränderten Lage neue Theile
seiner Oberfläche mit dem Roden in Berührung kommen. AU-
mählig kömmt das Thier wieder zur Ruhe; aber die geringste
Berührung erneuert dagegen die1 Bewegung.
Marshall Hall zeigt recht schön das Verhältniss der will-
kührlichen, respiratorischen und reflectirten Bewegungen, indem
er zugleich zu beweisen sucht, dass die nach Verlust des Gehirns
stattfindenden reflectirten Bewegungen nicht von wahrier Empfindung,
sondern nur von der bei den Empfindungen stattfindenden
centripetalen Nerven Wirkung abhängig sind. Empfindung, Wille,
Bewegung seyen die drei Glieder , der Kette, wenn eine Bewegung
durch Schmerz herbeigeführt wird; werde aber das mittlere dieser
Glieder zerstört, so höre die Verbindung zwischen dem ersten
und zweiten mit dem Bewusstseyn auf. Wir glauben auch,
dass die nach Verlust des Gehirns stattfindenden reflectirten Bewegungen
auf Hautreize keinen Beweis enthalten, dass die Hautreize
noch wahre Empfindung im Rückenmark erregen können;
es ist vielmehr die gewöhnlich auch hei den Empfindungen stattfindende
centripetale Leitung des Nervenprincips, die aber hier
nicht mehr Empfindung ist, weil sie nicht mehr zum Gehirn,
zum Organ des Bewusstseyns geleitet wird. Auch während dem
gesunden Leben erfolgen viele reflectirte Bewegungen durch
Hautreize, welche nicht als wahre Empfindungen zum Bewusstseyn
kommen, aber doch heftige Eindrücke auf das Rückenmark
erregen können, wie z. B. die dauernde, Zusammenziehung der
Sphincteren vom Reiz der Excremente und des Harns. Allein
Marshall H all geht doch zu weit, wenn er annimmt, dass bei
dem gesunden Leben jede: Bewegung auf wahre Empfindung vom
Willen bedingt werde, und alle Erregungen der empfindlichen
Theile bei den reflectirten Bewegungen ohne Empfindung seyen.
Denn die reflectirten Bewegungen des Niesens, Hustens und viele
andere erfolgen von wirklichen Empfindungen.
Die reflectirten Bewegungen und die unvvillkührlichen, nicht
reflectirten Bewegungen sind nicht mit einander zu verwechseln.
Wird die Stimmritze eines Thieres berührt, sagt Marshall H all,
so folgt eine Zusammenziehung; eben so, wenn das Herz berührt
wird.. Durch Entfernung des Gehirns tritt keine Aenderu.ng ein.
Nimmt man aber die Medulla oblongata weg, so hören die Con-
tractionen des Larynx auf Reize auf, während die des Herzens
selbst nach Entfernung der Medulla spinalis fortdauern. Die
Wirkung des Reizes auf das Herz ist eine unmittelbare (Irritabilität);
ein auf den Larynx angebrachter Reiz muss dagegen zur
Medulla oblongata fortgepflanzt werden und dié Contraction erfolgt
mittelbar von dieser aus. Bei einer Schlange trat nach
Entfernung des Kopfes eine Bewegung des Larynx ein, welcher abwärts
gezogen und geschlossen wurde, sobald Marshall H all
eine jStelle innerhalb der Zähne dès Unterkiefers oder die Nasenlöcher
berührte; Diess fand nach Entfernung der Medulla
oblongata n.icht mehr statt. Marshall erwähnt zuletzt, als zur
refleçtirenden Function gehörend, das Blinzeln der Augenlieder,
wenn dieselben berührt werden, die eigenthümliche Wirkung auf
die Respiration durch Kitzeln, oder wenn kaltes Wasser ins Gesicht
gespritzt wird, das Niesen durch Reizen der Nasenschleimhaut,
Husten, Erbrechen durch Rëizen des Larynx oder Pharynx, Te-
nesmus durch Reizung des Mastdarms, und Strangurxe durch
Reizung der Blase.
Man sieht,, dass die Krämpfe in den Krankheiten eine sehr
verschiedene Quelle haben können. Es giebt nämlich, krampfhafte
Affectionen, welche ihren Sitz in den motorischen Nerven
selbst, oder ihre Ursache im Gehirn und Piückenmark haben;
aber auch reflectirte, Krämpfe, deren Ursache in Reizungen von
Empfindungsnerven liegt, wie die nach Intestinalreizungen, bei
der Dentition, Odontalgie, und überhaupt nach schmerzhaften
Nervenleiden von organischen und nicht organischen Fehlern, oft
erfolgenden Krämpfe.
Die bisher beschriebenen Phänomene haben zwar alle mit
einander gemein, dass das Rückenmark das Bindeglied zwischen
einer sensorischen und motorischen Bewegung des Nervenprincips
ist, indess lassen sich auch noch bestimmter die Wege bezeichnen,
welche hei den reflectirten Bewegungen von den Empfindungsnerven
auf die motorischen Nerven im Rückenmark die
Leitung bewirken. Die gewöhnlichste Art der reflectirten Bewegung
ist, dass die Muskeln des, Gliedes, an welchem man heftige
Empfindungen erregt, bewegt werden, wie heim Verbrennen
der Haut Zuckungen zunächst in dem verbrannten Gliede, und
ira Anfänge der Narcotisation eines Thieres bei Empfindungsreizung
der Haut am leichtesten auch die Muskeln des gereizten
Gliedes bewegt werden, wie der Bissen die reflectirte Bewegung
der, Schlingwerkzeuge hervorbringt, und der Staub in der Con-
junctiva blosse Empfindung erregend, das reflectirte Schliessen
der Augenlieder hervorruft, und wie endlich die Reize des Urins
und der Excremente mittelbar auf die Bewegung der Sphincteren
wirken. Sobald daher die Empfindungsbewegung das Rük-
kenmark erreicht hat, so geht die Bewegung nicht auf das ganze
'-Müller,s Physiologie, h ' ^