
Der letzte Zweck der Verdauung ist 1. die Auflösung der
Nahrung, weil nur Aufgelöstes fähig ist zur Aufnahme in resor-
birende Gefässe, und 2. eine Reduction dieser verschiedenen Be-
standtheile in das einfachste Material der tinerischen Processe, in
Eiweiss, welches sich in dem verdauten Speisesafte theils aufgelöst,
theils in Rügelchen enthalten zeigt. Die Verdauung hat also
zum Wesen, dass sie nicht allein die Stoffe auflöst, sondern dass
sie alle eigenthümliehen Qualitäten, welche den organischen Stoffen
von ihren Quellen noch zukommen, tilgt, dass sie die Nahrungsstoffe
auflöst und Alles in Eiweiss verwandelt. Hierzu sind
ausser der mechanischer! Zertrümmerung chemische Einflüsse, Verdauungssäfte
nöthig. Diejenigen Substanzen sind nun am leichtverdaulichsten
und nahrhaftesten, welche am löslichsten und bei
welchen die Reduction in Eiweiss am leichtesten, oder welche
selbst eiweisshaltig sind; und so ist der Dotter als eine concen-
trirte Auflösung von Eiweiss (mit Dotteröl) der Nahrungsstoff
selbst, aus welchem der Embryo unmittelbar assimilirt und der
keiner vorbereitenden Verdauung bedarf. Alles wird aber unverdaulich
seyn , welches wegen seiner unauflöslichen Beschaffenheit
(wie Holzfasern, Hülsen) keinen Nahrungsstoff abgeben kann, oder
selbst eine chemische Qualität geltend macht, Welche die irn Organismus
von der organischen Kraft im Gleichgewicht gehaltene
Tendenz der Elemente, binäre Verbindungen einzugehen, entfesselt.
Man muss übrigens zwischen leicht verdaulichen und nährenden
Stoffen unterscheiden. Ein Stoff kann durch seine leichte Auflöslichkeit
in einer Hinsicht leicht verdaulich , aber doch wenig
nährend seyn, weil er durch seine Zusammensetzung weniger
leicht in Eiweiss verwandelt werden kann. Andere Stoffe, die
an sich, einmal aufgelöst, wohl nährend sind, können durch ihre
schwere Auflöslichkeit für schwache Verdauungskräfte schwer
verdaulich seyn. Zu einer güten Nahrung gehört also nicht allein
leichte Auflöslichkeil , sondern auch nährende Beschaffenheit. Je
entfernter eine Substanz in Hinsicht ihrer Zusammensetzung von
dem Eiweiss ist, um so weniger ist sie nährend, und um so grossem
Aufwand der Verdauungskräfte nimmt sie zu ihrer Verwandlung
in Anspruch. ,
Käme es bei der Verdauung bloss auf die Auflösung an und
enthielten alle Nahrungsstoffe eine gewisse Menge eines und desselben
Nutrimentes, das keiner weitern chemischen Veränderung
bedarf, so könnte die Verdaulichkeit darnach bestimmt werden,
wie leicht ein Stoff auflöslich ist,, wie viel Nutriment von dem
Darmkanal aus ihm ausgezogen werden kann und wie leicht diese
Ausziehung des Nutrimentes aus den übrigen Beimischungen ist.
Dieser unrichtige Begriff von Nahrungsstoff liegt dem Hippokratischen
Satz zu Grunde, dass es verschiedene Arten der Alimente*
aber nur ein AümPiitum gebe. Die in Eiweiss zu verwandelnden
Stoffe enthalten aber zum Tfieil kein präformirtes Eiweiss in sich,
wie die vegetabilischen Nahrungsmittel, Das Alimentum in jenem
Hippokratischen Sinne entsteht daher erst durch die Verdauung,
indem die in Hinsicht ihrer Zusammensetzung von dem
Eiweiss verschiedenen Nahrungsstoffe erst in die Zusammensetzung
des Alimentum umgewandelt werden müssen.
Auf eine wichtige Unterscheidung der Nahrungsmittel in stickstoffreiche,
stickstoffarme und stickstofflose hat Magendiu aufmerksam
gemacht. Physiol. ed. 2. t. 2. 486. Meckel’s Archiv. 3. 311. Nahrungsmittel,
weiche wenig oder keinen Stickstoff enthalten, sind
die zuckerhaltigen und säuerlichen Früchte, die Oele, Fette, die
Butter, die schleimigen Vegetabiliën, der raffinirte Zucker, die
Stärke, das Gummi, der Pflanzenschleim, die vegetabilische Gallerte.
Hierher gehören die Getreidearten, der Reis, die Kartoffel.
Stickstoffhaltig dagegen sind Pflanzeneiweiss, Kleber, Fungin der
Schwämme und einige in verschiedenen Pflanzen vorkommende,
dem Fleischextract ähnliche Stoffe. Sie finden sich vorzüglich in
den Samen der Gräser, in den Stengeln und Blättern der Gräser
und Kräuter. Auch die Leguminosen (Linsen, Erbsen, Bohnen),
die Mandeln, die Nüsse gehören hierher. Aus dem Thierreiche
sind zu nennen: die Gelatina, das Eiweiss, der Faserstoff,
der KäsCstöff. Ausser dem Fett enthalten die meisten thie-
risclien Theile vorzüglich mehr oder weniger Stickstoff. Einige
Schriftsteller haben für eine Quelle des Stickstoffs in den thieri-
'schèn Körpern das Athmen aus der Atmosphäre gehalten, andere
haben angenommen ,- dass sich Stickstoff in Tbieren aus anderen
Elementen erzeuge. Hierbei stützte man sich auf das Beispiel der
pflanzenfressenden Thiere, die sich von stickstofllosen oder stick-
stoffarrhen Stoffen nähren sollen, auf das Beispiel der Neger, welche
lange Zeit bloss von Zucker sich nähren. Magendie bemerkt
hiergegen, dass fast alle Vegetabiliën, von denen sich Thiere und
Menschen nähren, 1 mehr oder w'eniger Stickstoff enthalten, dass
der unreine Zucker ziemlich viel Stickstoff enthalte, dass die Völker,
die sich mit Reis, Mais, Kartoffeln nähren, Milch oder Käse
‘hinzufügen. Magendie hat sehr dankenswerthe Versuche über
die Nahrung von Thieren. (Hunden) aus blossen stickstofllosen
Mitteln, wie raffinirtein Zucker, mit destillirtem Wasser, gemacht.
Die ersten 7— 8 Tage waren die Thiere munter, frassen und
tranken wie gewöhnlich, in der zweiten Woche, fingen sie an abzumagern,
obgleich der Appetit immer gut war und täglich 6 — 8
Unzen -Zucker verzehrt wurden. Die Abmagerung steigerte sich
-in der dritten Woche, die Kräfte nahmen ab, die Thiere verloren
die Munterkeit und den Appetit. Zu dieser Zeit entwickelte
sich auf beiden Augen eine Exulceration der Cornea mit Ausfluss
der Augenfeuchtigkeiten — ein Phänomen, was sich hei wiederholten
Versuchen bestätigte. Obgleich die Thiere noch täglich
3-— 4 Unzen Zucker frassen, so wurden sie doch zuletzt so
schwach, dass sie zu aller Bewegung unfähig waren, und der Tod
erfolgte am 31 — 34. Tage. (Man muss hierbei erwägen, dass
Hunde- ohne alle Nahrung fast eben so lange aushalten.) Bei der
Section fand sich alles Fett verzehrt, die Muskeln waren sehr
an Volumen vermindert, Magen und Darmkanal sehr zusam-
mengezögen, Gallenblase und Urinblase ausgedehnt. Chevbeul
fand den Urin, wie bei den Pflanzenfressern, nicht sauer, sondern
alkalisch , aber auch ohne Spur von Harnsäure und Phos