
entzogene Muskeln, der Sphincter vesicae urinariae, der Darmkanal,
das Herz etc. Für diese Wirkungen des Rückenmarkes
muss in demselben ein eigener, mit dem Sensorium commune
weniger in Wechselwirkung stehender Apparat vorhanden seyn,
den wir indess anatomisch nicht nach weisen können. Bei niederen
Wirbelthieren kann seihst die Gemeinschaft des Gehirns und
Rückenmarkes aufgehoben seyn, und diese motorische Ausstrahlung
des Rückenmarkes dauert doch noch auf die Spbincteren
fort, wie M arshaix H all bei der Schildkröte sah, deren Sphincter
ani nach der Enthauptung geschlossen blieb, und erst nach der
Zerstörung des Rückenmarkes sich löste.
e)xDäs Rückenmark besitzt eine grosse Mittheilbarkeit seiner
Zustände von einem Theile desselben auf den andern; hierdurch
unterscheidet es sich durchaus von den Nerven. Hierüber
sind die schon p. 656. von mir mitgetheilten Versuche belehrend.
Ein Nerve eines Frosches wird, sofern das Rückenmark nicht ir-
ritirt ist, wenn er galvanisirt wird,, seinen Zustand nicht so leicht
auf das ganze Rückenmark übertragen. Reizt man eine vordere
oder hintere Wurzel der letzten Rückenmarksnerven des; Frosches,
die man durch geschnitten, an dem mit dem Rückenmarke
zusammenhängenden Stücke durch ein einfaches Plattenpaar, so
wirkt diess nicht leicht durch das Rückenmark durch bis zu den
vorderen Theilen des Körpers, und es entstehen keine Zuckungen
am Kopfe. Reizt man aber das Ende des Rückenmarkes auf diese
J\rt so zücken auch die Muskeln der vordereü Theile des Körpers.
Hieraus begreift man, wie eine Rückenmarkskrankbeit, auch
wenn sie anfangs ihren Sitz in dem untern Theile des Rückenmarkes'
hat, allmählig doch, schon durch t blosse Wechselwirkung,
auch die oberen Ruinpftheile, die Theile des Kopfes afficirt, wie
z. B. bei der durch Ausschweifungen bedingten Schwäche des
untern Theiles des Rückenmarkes Amblyopie, Ohrensausen etc.
Vorkommen. . 1
/) Bei einer grossen Irritation des Rückenmarkes, in der
Entzündung, nach heftigen Reizungen der Nerven (Tetanus trau-
matieus), und in der Narcotisation geräth das ganze Rückenmark
in diesen Zustand, auch nach allen willkührlichen Muskeln beständige
Entladungen zu bewirken. Jene Tension, die es im Zustande
der Gesundheit auf die Sphincteren ausübt, ist dann allgemein;
es entstehen allgemeine Convulsionen , oder tetanische
Krämpfe, die sich von Zeit zu Zeit wiederholen, und in manchen
Muskeln, wie den Kaumuskeln, selbst anhaltend sind. Diese
Zustände sind bald acut, wie in den oben angeführten heftigen
Verletzungen, bald chronisch, wie in der Epilepsie, mag die Irritation
nun von Krankheiten der Centralorgane selbst (Epilepsia
cerebralis, spinalis), oder von' einzelnen Nerven, z. B. Nervengeschwülsten,
sich ausbreiten. Eine ähnliche; aber geringere Reizbarkeit
des Rückenmarkes mit leicht abwechselnden Bewegungen
zeigt sich auch in den clonischen Krampfformen, Chorea St. Viti etc.
g) Bei der Narcotisation durch die Gifte, welche Krämpfe
erzeugen, ist das Rückenmark und nicht die Nerven die Ursache
der krampfhaften Bewegungerj. Wenn man ein Thie'r durc.i
Nux vomica oder Strychnin vergiftet, und vorher die Nerven-
stämme der Ertremitäten durcbschneidet, so entstehen bei dem
erfolgenden Starrkrämpfe keine Krämpfe in den Theilen, deren
Nerven vorher durchschnitten waren. Es geht daraus hervor,
dass jene Gifte auf die Centraltheile, und durch diese auf die
Nerven wirken. Wenn man das Rückenmark selbst vor der Vergiftung
eines Tbieres, oder nach derselben durchschneidet, so erfolgen
die Krämpfe dennoch in den Theilen hinter dem Durchschnitt.
Diese Gifte wirken daher auf jeden motorisch geladenen
Theil des Rückenmarkes bis zum Tode. Bäcker commentatio ad
(juäestionem physiologicam. Traject. 1830.
h) Das Rückenmark ist aber durch seine motorische Spannung
die Ursaahe der Kraft unserer Bewegungen. Die Intensität unserer
Kraftanstrengungen hängt grossentheifs von diesem Organe ab.
Wenn auch der grösste Theil der motorischen Nerven in der
Regel, ohne das Hinzukommen der Willensbestimmungen, von
ihm unthätig gelassen wird, so hängt von ihm doch die Stärke
und Dauer der motorischen Entladungen ab, welche das Sensorium
commune willkührlich bewirkt. Beständig enthält diess Organ
gleichsam einen Vorrath von motorischer Kraft, und wenn
es durch die Fortleitung der Nervenfasern vom Gehirn aus als
Conductor der von dem Sensorium commune ausgehenden Os-
cillation wirkt, so hängt die Intensität der erfolgenden Wirkung
nicht bloss Von der Stärke des Willens, sondern von dem Quantum
des in dieser Säule angehäuften motorischen Nervenprincipes ab.
Daher kann das Rückenmark auch seine Fähigkeit als Conductor
behalten, während es die zweite Eigenschaft, die Kraft der Mus-
kelbewegung, aufgegeben hat; diess geschieht bei der Tabes dor—
salis. ' Bei dieser nur nach Ausschweifungen erfolgenden Krankheit
mit Atrophie des Rückenmarkes, ist anfangs kein einziger
Muskel der unteren Extremitäten gelähmt; alle gehorchen, und
selbst in einem vorgerückten Stadium der Krankheit noch dem
Willen, der Kranke kann alle Bewegungen ausführen, und das
Rückenmark ist offenbar noch ein unversehrter Conductor für
die von dem Sensorium commune ausgehende Oscillation oder
Strömung. Aber die Kraft der‘Bewegungen ist erloschen; der
Kranke kann nicht lange stehen, gehen, und die Abnahme der
Kräfte nimmt immer fort bis zum gänzlichen Erlöschen zu, worauf
die Lähmung vollkommen ist. Man muss diese Art der Lähmungen
sehr von anderen unterscheiden, wo die Leitung in der
motorischen Säule an einer Stelle unterbrochen ist, die entsprechenden
Muskeln dem Willen nicht mehr gehorchen, und alle
übrigen die ganze Kraft der Bewegung behalten können.
i) Das Rückenmark ist die Ursache der Potenz und der geschlechtlichen
Spannung; die Ausübung des Geschlechtstriebes ist
durch dasselbe bedingt. Unstreitig ist das Rückenmark bei dem
Coitus am meisten in Affection; man sieht diess aus den heftigen
Reflexionsbewegungen, die nach den Empfindungsreizungen der
Rutbennerven folgen, aus den Reflexionsbewegungen der Samenbläschen
und der Dammmuskeln. Die auf die Ausübung des
Geschlechtstriebes folgende Abspannung kann nur in dem Rük-
Miiller’s Physiologie. I. 53