die entblössten Nerven eines Kaninchens, der Frösche und der
Kröten Zuckungen entstehen sehen, und glaube nicht, dass jemals
ein Narcoticum, unmittelbar auf einen Nerven angewandt,
eine Zuckung errege, wenn es nicht durch das Rückenmark und
Gehirn auf die Nerven wirkt. Strychnin erregt nicht einmal
Zuckungen, wenn es gepulvert auf das nasse Rückenmark eines
Frosches angewandt wird, sondern nur wenn es in: die Blutmasse
gelangt, und durch das veränderte Rlut auf das Rückenmark,
und letzteres wieder auf die Nerven wirkt. Ist daher ein Thier
durch Opium, Strychnin vergiftet, so hören die Zuckungen einer
Extremität auf, sobald ihre Nerven durchschnitten werden, und
vernichtet man einen Theil von dem Rückenmark eines .Thiers,
ehe man es durch Upas tieute oder Angustura vergiftet,-so werden
alle diejenigen Theile, die von dem vernichteten Theile des
Rückenmarks ihre Nerven empfangen, von Zuckungen befreit.
. Hieraus geht wohl unwiderleglich hervor, dass die Narcotiea nicht
durch sich selbst und auf die Nerven selbst wirkend Zuckungen
erregen, sondern durch Vermittelung des Rückenmarks und
Gehirns.
Eine ganz andere Frage ist, oh narkotische,Gifte nicht durch
sich selbst und auf die Nerven wirkend die Reizbarkeit der
Nerven erschöpfen können, auf analoge Art wie chemische Reizmittel
die Reizbarkeit der Nerven zerstören. Diese Frage haben
die Schriftsteller nicht von der vorhergehenden getrennt, und man
hat Unrecht gethan, wenn man beide gleich beantwortete. Die
gewöhnlichste Wirkungsart der narkotischen Gifte, wenn sie die
Empfindungskraft und Bewegkraft der Nerven lähmen, ist., dass
sie ins Blut aufgenommen werden, vom Blut aus in den Gaplllar-
gefässen auf das Gehirn, Rückenmark und die Nerven wirken.
Die zweite Wirkungsart, welche langsamer geschieht und vielmehr
isolirt wirkt, ist, dass sie die Nervenkraft örtlich zerstören.
1. Wirkungsart der narkotischen Gifte durch das Blut.
Es wurde sonst häufig angenommen, dass die allgemeinen
Erscheinungen hei örtlichen narcotischen Vergiftungen durch
Fortpflanzung des Zuslandes durch die Nerven entstehen. In
diesem Sinne haben selbst neuerlich, wo man hierüber besser
belehrt war, Dupuy und Brächet behauptet, dass man Thiere
durch in den Magen gebrachte Gifte nicht vergiften könne, wenn
man vorher den N. vagus auf beiden Seiten durchschnitten habe.
Diess ist jedoch eine grundlose Behauptung, denn wir haben in
den vielen Versuchen, welche Herr W ernscheidt unter meiner
Leitung über diesen Gegenstand anstellte, durchaus keinen Unterschied
der Zeit in dem. Eintreten der Vergiftungszufälle gesehen,
mochten die Nerven vorher durchschnitten seyn oder nicht.
Es ist jetzt erwiesen, dass die Vergiftungszufälle durch Aufnahme
des Giftes in das Blut durch Imbibition entstehen. Ueber die
Schnelligkeit dieses Ueberganges siehe oben p. 244. Die ersten
Beweise für diese Theorie der Vergiftungen hat F ontana geliefert.
F ontana hat Versuche mit Vipern-, Tannas-, Kirschlorheer-
gift und Opium angestellt. Das Resultat aller seiner Versuche
ist, dass diese und ähnliche Gifte nur indem sie in die Blutmasse
2. Reizhark. d. N. Veränderung ders. PVirkungsart d. narkot. Gifte. 635
gelangen, ihre allgemeinen Wirkungen hervorbringen, dass sie
aber auf die Nerven nur einen örtlichen Einfluss haben, h on-
tana, Ahhandl. über das Viperngift etc. aus d. Franzos. Berlin, 1787.
Brodie durchschnitt in der Achselhöhle eines Kaninchens alle
Nerven der Vorderbeine, und streute WAraragift in eine Wunde
am Fusse; die Wirkung des Giftes erfolgte dennoch. Er unterband
das Hinterbein eines Kaninchens, die Hauptnerven ausgenommen,
mit einer- starken Ligatur, und streute Worara in eine
Wunde am Bein; die Wirkung blieb aber ganz aus, bis er die
Ligatur löste, und sogleich erfolgte die Vergiftung. Phi/os. trans.
1811. p. 178. 1812. p. 107. W edemeyer fand durch Versuche
mit Blausäure, die so heftig wirkte, dass sie in’s Auge und mehrere
Stellen des Körpers gebracht, innerhalb einer Secunde töd-
tete, dass sie unmittelbar auf die Nerven angewendet, gar keine
plötzliche Wirkung hervorbrachte. Physiol. Untersuchungen über das
Nervensystem u. die Respiration. Hannover, 1817.p. 234. Vrgl.E mmert,
Tübing. Blätter. 1811. 2. Bd. p. 88. Salzb. medic. Zeitung. 1813.
3. Bd. p. 62. Meckel’s Archiv 1.176. Schnell Diss. sist. hisloriarn
veneni upas antiar. Tubing. 1815. Emmert amputirte an Thieren die
Extremitäten, so dass sie nur mit dem übrigen Körper durch die
Nerven in Verbindung standen, das in den Fuss eingehrachte
Gift äusserte keine Wirkung. Ebenso wendete er das Gift unmittelbar
auf die Nörvenstämme an, auch hier blieb die Wirkung
aus. C. Viborg {Act. reg., soc. med. Hajn. 1821. p. 240.) hat fast
eine Drachme concentrirter Blausäure unmittelbar auf das durch
Trepanation entblösste Gehirn eines Pferdes gebracht, ohne irgend
eine Wirkung des Giftes zu spüren. Siehe Lund Vivisectionen p.
103.104. Hubbard (Philade/ph. Journal. Aug. 1822.) hat zwar hei
Anwendung der Blausäure auf die Nerven sehr schnelle Wirkung
gesehen, gesteht aber selbst, dass wenn er den Nerven isolirte
durch eine untergelegte Karte, durchaus keine Wirkung erfolgt
sey. Die oben p. 238. angeführten Versuche von Magendie,
Delille und Emmert beweisen auch, dass die Aufnahme des Giftes
in die Blutmasse durch Resorption und Tränkung ausserordentlich
schnell ist, und Emmert hat gezeigt, dass die Unterbindung
der- Aorta die Wirkung des in die Venen eingebrachten
Giftes hemmt. Emmert fand die schnellste Wirkung der Angu-
stura, der Upas antiar, der Blausäure 2 t— 5 Secunden. Ueber
die Schwierigkeiten der Erklärung einer so schnellen Wirkung,
siehe oben p. 245, '
Vor Kurzem habe ich selbst einige Versuche über die Wir-
kung der Gifte auf die. Nerven angestellt; ich habe bei Kröten
den Schenkelnerven blossgelegt, und alles Schenkelfleisch abprä-
parirt, so dass der Unterschenkel mit dem Oberschenkel nur durch
den Nerven und den Knochen mit dem Rumpf in Verbindung
stand. Bei diesen Kröten habe ich die präparirten Schenkel m eine
Auflösung von essigsaurem Morphium und in concentrirte Auflösung
von Opium "getaucht, und lange in dieser Stellung erhalten.
Bei diesen Thieren fand durchaus keine Narcotisation am
Rumpfe statt, selbst viele Stunden nachher waren sie noch von
ganz unversehrter Empfindung und Bewegung.