
aber auch jetzt zeigte sich keine irgend merklich verstärkte Auflösung.
So gross die Auflösungskraft der Säuren für mineralische
Substanzen ist, so gering ist sie für organische Substanzen, und
bedenkt man, dass verdünnte oder selbst concentrirte Säuren ein
klei nes Stückchen Fleisch oder Eiweiss von einigen Granen in
vielen Tagen nicht ganz aufzulösen vermögen, so verliert, die
scheinbar so einfache Theorie von der Auflösung der Nahrungsmittel
durch die Säure des Magensaftes alle Wahrscheinlichkeit,
die sie ohnehin für diejenigen nicht haben konnte, welche die
so häufige Gleichzeitigkeit von Indigestion mit verstärkter Säufe-
bildung erwogen haben. Man musste daher anerkennen, dass die
Untersuchungen bis dahin über das wirksame, auflösende Princip
im Magensafte keinen Aufschluss gegeben haben, und dass wir
dieses Princip nicht kennen. Diess ist dasselbe Glaubensbekennt-
niss, welches bereits Berzelius vor längerer Zeit abgegeben hat.
Alles diess führt schon zu der Ueberzeugung, dass das wirksame
Princip im Magensaft ein organischer Stoff ist, der auf dieselbe
Art wirkt, wie die Diastase auf das Stärkemehl, indem sie
dasselbe auflöst. So war der Stand der Dinge zur Zeit der Herausgabe
der ersten Auflage dieses Theils des physiologischen Lehrbuchs.
Seither sind wichtige Entdeckungen in Hinsicht des wirksamen
organischen Princips des Magensaftes gemacht'worden.
Eberle (Physiologie der Verdauung. Wiirzb. 1834.) entdeckte
nämlich, dass obgleich weder die verdünnten Säuren, noch der
Schleim allein das Vermögen besitzen, organische Materien schnell
aufzulösen, diese auflösende Kraft doch dem säuerlichen Schleime
zukommt und dass Eiweiss und Fleisch in Digestion mit saurem
Schleim oder dem säuerlichen Extracte der Schleimhäute nicht
allein bald gelöst werden, sondern auch eine chemische Umwandlung
erleiden,'indem der Eiweissstoff seine Fähigkeit verliert, zu-
gerinnen und in Osmazom und Speichelstoff umgesetzt wird. Diese
Entdeckung hat sich in der Hauptsache vollkommen bestätigt.
Siehe J. Mxjeller und Schwann in Mueller’s Archiv. , 1836. 08.
Man hat die Versuche von Eberle jetzt von vielen Seiten wiederholt
und sie haben durchgängig ein bestätigendes Resultat gegeben;
Doch hatte sich Ebrrle darin geirrt, dass er allem saurem
Schleime jene Eigenschaft 'zuschrieb, welche vielmehr nur ein
mit dem Magenschleime zugleich abgesondertes organisches Princip
besitzt. Der Schleim aus anderen Organen als dem Magen,
z. B. nach Schwann Harnblasenschleimhaut mit Salzsäure behandelt,
besitzt diese Eigenschaft nicht. Man gewinnt die Flüssigkeit zur
künstlichen Verdauung durch Extraction -der Schleimhaut des
vierten Magens des Kalbes. Die Schleimhaut desselben wird ab-
präparirt, mit kaltem Wasser ausgewaschen, bis sie nicht mehr
sauer reagirt und dann getrocknet. So kann die Schleimhaut
aufbewahrt werden, und sie ist jederzeit zu den Versuchen anwendbar.
Eine Versuchsreihe, welche die Hauptphänomene auf
die einfachste Art darlegt, ist folgende. Die getrocknete Schleimhaut
wird in Stücke zerschnitten, und diese in 5 Probirgläser,
mit destillirtem Wasser übergossen, gelegt. In 2 von diesen Gläsern
werden in jedes 6— 8 Tropfen Salzsäure zugesetzt, in 2 andern
in jedes 12—14 Tropfen Essigsäure. Zur Vergleichung enthält
ein Gläschen Schleimhautstücke und blosses Wasser, und
ein sechstes Gläschen so viel Wässer als die übrigen mit 8 Tropfen
Salzsäure ohne Schleimhautstücke. In alle diese Gläser werden
Würfel von geronnenem Eiweiss und gekochtem Fleisch von
gleicher Grösse und mehreren Grau Gewicht gelegt. Nach einer
Digestion von 12 Stunden bei 30° R. zeigen die herausgenommenen
Fleisch- und Eiweisstücke folgende Beschaffenheit. Die
mit blosser Säure behandelten Stücke zeigen sich unverändert,
ebenso die mit blossen Schleimhautstücken und Wasser ohne
Säure digerirten Nahrungsstoffe, welche später einen fauligen Geruch
zu entwickeln beginnen. Die Stücke in dem säuerlichen Extracte
von Schleimhaut sind erweicht. Das Eiweiss durchscheinend, in
der Mitte’ käseartig, leicht zerdrückbar. Wird die Digestion noch
länger bis 24 Stunden ,fortgesetzt, so lösen sich die Nahrungsstoffe
in dem säuerlichen Extract von Schleimhaut ganz oder
grösstentheils auf. Die Digestionsflüssigkeit erhält einen eigen-
thümlichen, durchaus nicht fauligen Geruch, welcher dem Gerüche
des Commissbrotes einigermassen vergleichbar ist; der Geschmack
ist säuerlich, nicht angenehm. .Sehr schnell löst sich Faserstoff
des Blutes auf, die Auflösung geht auch bei der gewöhnlichen
Temperatur der warmen Jahreszeit vor sich und schon nach einigen
Stunden werden geronnene Eiweissstücke im Umfang durchsichtig
und sind von einer Wolke grösstentheils aufgelöster Ei-
weisstheilchen umgeben. Das;, aufgelöste Eiweiss hat seine vorigen
Eigenschaften ganz verloren, es_ ist nicht mehr gerinnbar,
und die Untersuchung der Lösung zeigt. Osmazom und Speichelstoff
und nach Schwann noch einen dritten eiweissähnlichen Stoff, der von
kohlensaurem Natron niedergeschlagen wird, in Wasser und Weingeist
unlöslich, in verdünnter Salzsäure und Essigsäure löslicli ist.
Er wird nicht durch Siedhitze, weder durch essigsaures Blei,
noch durch Weingeist, wohl aber durch Salpetei’säure und Sublimat
; stark und durch Kaliumeisencyanür und Galläpfeltinctur
schwächer, niedergeschlagen. Wir stellten Versuche an, um zu
entscheiden, ob bei der künstlichen Verdauung wie bei der Gäli-
rung Kohlensäure entwickelt und Sauerstoffgas absorbirt wird.
Weder das eine noch das andere findet dabei statt.
i Ueber die Natur des Verdauungsprincips und des bei der
Verdauung stattfindenden Proeesses hat Schwann weitere Aufschlüsse
gegeben. Schwann über das PVesen des Verdauungspro-
cesses. Mueller’s Arch. 1836. 90. In den vorhergehenden Versuchen
bleibt es unklar, ob das Verdauungsprincip durch Con-
tact wirkt, oder ob es selbst im aufgelösten Zustande sofort die Nahrungsstoffe
auflöst. Schwann erkannte nun, dass das klare Filtrat
der Verdauungsflüssigkeit die künstliche Verdauung eben so gut
als vorher bewirkt. Das Verdauungsprincip war also vollkommen
aufgelöst, und die Meinung, dass es durch Contact wirke, verlor
< ihre Basis. Das klare Filtrat, welches die Verdauungsflüssigkeit
enthält, ist an Farbe saturirtem Urin ähnlich, es behält die Fähigkeit
zur künstlichen Verdauung Monate lang. Um gute Verdauungsflüssigkeit
zu bereiten, empfiehlt Schwann so viel Säure