
Elektricität ist, so haben doch manche Aerzte und seihst grosse
Physiker nicht aufgehört, an eine gewisse Aehnlichkeit der Elektricität
und Nervenkraft zu glauben, die sich hei näherer Untersuchung
als die grösste Verschiedenheit zeigt. Unter andern
haben einige Versuche von Ure und W ilson Missverständnisse
erzeugt. Ure machte galvanische Versuche an dem-Körper eines
Gehenkten eine Stunde nach dem Tode. Die Medulla ob-
longata wurde, blossgelegt und ein metallischer Leiter damit in
Berührung gesetzt,- während ein anderer Leiter mit dem N.
ischiadicus in Berührung gebracht wurde. Diese Leiter wurden
mit einer Säule von 270 Plattenpa^en verbunden, worauf alle
Muskeln des Rumpfes wie bei einem heftigen Schauder in Bewegung
geriethen. Als die Kette zwischen dem N. phrenicus und
dem Zwerchfell geschlossen wurde, zog sich das. Zwerchfell bei
jeder Schliessung zusammen, und als man mit dem Leiter auf
dem Polstück hin und her strich, entstanden eine Menge Stösse,
wie bei einem schweren Athmen; durch die Zusammenziehung
des Zwerchfells und die Remission in dieser Bewegung hob und
senkte sich der Bauch abwechselnd, wie wenn das Leben zurückkehrte.
Als nun ferner die. Gesichtsmuskeln in den Kreis der
Kette gezogen wurden, entstanden fast leidenschaftlich aussehende
und schaudererregende Bewegungen der'Gesichtsmuskeln. Diese
Versuche .haben nichts Ausgezeichnetes vor dem gewöhnlichsten
galvanischen Experiment, ausser dass sie an einem Menschen gemacht
wurden; da die Ursache der bewegten Gesichtszüge die
Zusammenziehung der Gesichtsmuskeln ist^ so muss die künstliche
Erregung dieser Muskeln, die man eben so gut durch mechanische
Reizung ihrer Nerven in Bewegung setzen kann, eine
Art von Grimassen hervorbringen, Eben so wenig ist das scheinbare
Athmen bei periodischer Schliessung der Rette, wenn der
Zwerchfellnerve in der Kette liegt, auffallend. Man hat ferner
viel zu viel aus W ilson P hilip’s' Versuchen geschlossen. Dieser
hat behauptet, ein durch die Enden des durchschnittenen N. va-
gus zum Magen eines lebenden Säugethiers geleiteter galvanischer
Strom könne auf ähnliche Weise die Verdauung befördern, als
die Magennerven selbst. Wenn diess richtig wäre, so wäre fes
kein Beweis für die Aehnlichkeit des Nervenprincips und der
Elektricität; denn das vom Gehirn abgewendete Stück eines
durchschnittenen Nerven behält noch einige Zeit die Fähigkeit,
auf Reizung in einigem Grade seine gewöhnlichen Functionen
auszuüben. Ferner haben Wiederholungen der Versuche von
P hilip nicht durchaus dasselbe Resultat gehabt; wir haben sie
mit Dr, Dieckboff an einer ganzen Reihe von Thieren wiederholt
und gar keinen Unterschied bei Thieren mit durchschnittenem
Vagus, mit und ohne Anwendung der Elektricität, bemerkt.
Siehe das Weitere oben p. 5"49.
Wenn in den Nerven Elektricität wirkte, so könnte sie, da
das Neurilem feucht ist und die umliegenden Theile auch feucht
sind, nicht auf die Nerven beschränkt bleiben. Man hat auch
hypothetisch eine isolirende Eigenschaft der Nerven angenommen.
F eciiner vergleicht die Nervenfäden mit von Seide überT
sponnenen Leitungsdrähten. (Biot Experimental-Physik. Bd. III.)
Allein eben das Neurilem ist ein vortrefflicher Leiter des Galvanismus,
und die Nerven sind, wie später gezeigt werden wird,
nicht einmal bessere Leiter der Elektricität als andere nasse thie-
rische Theile; denn der galvanische Strom folgt nicht notliwen-
dig der Verzweigung der Nerven, sondern nur das Nervenprin-
cip folgt dieser Verzweigung. Der galvanische Strom springt
aber eben so leicht auf nahe thierische Theile über, wenn diese
ihm einen kürzern Weg von Nerven zum andern Pol darbieten.
Auch lässt sich die Leitung des Nervenprincips durch eine Ligatur
in dem Nerven aufheben, welche für den galvanischen Strom
cin ; trefflicher Leiter ble.ibt.
Man erkennt die Elektricität an den Körpern, welche sie
iisoliren und welche sie leiten; diess sind die einzigen und sicheren
Merkmale derselben. Gerade in dieser Hinsicht zeigt sich
das Nervenprincip verschieden, und es kann daher keine Elektrizität
seyn. Es lassen sich aber auch noch andere Beweise aus
den schon berührten Eigenschaften der Nervenkraft aufführen:
1) Wenn man einen Nerven mit beiden Polen armirt, oder
einen galvanischen Strom durch die Dicke des Nerven gehen
l^sst, so zuckt sein Muskel, nicht weil der Galvanismus bis zum
Muskel wirkt, sondern weil durch den queren Strom durch die
Dicke des Nerven die motorische Kraft des Nerven erregt wird,
welche nur nach der Richtung der Verzweigung wirkt, gerade
so, wie wenn man durch Brennen, mechanische Zerrung oder
durch Kali causticum auf den Nerven wirkt und dadurch Zuk-
kung erregt,
, 2) Wenn man aber nicht den .Nerven selbst durch beide
Pole, sondern mit dem einen Pol den Muskel, mit dem andern
den Nerven armirt, so entsteht nicht bloss ein galvanischer Strom
durch die Dicke des Nerven, sondern zwischen beiden Polen
von :dem Nerven bis zum Muskel, und es ist gerade so gut, als
wenn der Muskel selbst galvanisirt würde. In diesem Falle reizt
man die Nervenkraft in jedem Punkte des Nerven bis zum Muskel.
3) Daher entstehen auch keine Zuckungen, wenn ein gequetschter
oder unterbundener Nerve über der gequetschten oder
unterbundenen Stelle mit beiden Polen armirt wird. Hier geht
zwar der Galvanismus durch die Dicke des Nerven, wie im ersten
Falle, ab,er die Nervenkraft wirkt nicht mehr durch die gequetschte
oder unterbundene Stelle hindurch.
4) Dennoch ist der gequetschte und unterbundene Nerve
vollkommen leitungsfähig für den Galvanismus, und sobald nur
die Armaturen über und unter der verletzten Stelle angebracht
werden, geht der galvanische Strom durch diese Stelle hindurch
und es erfolgt eine Zuckung, weil der noch gesunde Nerve zwischen
-Muskel und der verletzten Stelle erregt wird.
5) Die Nerven bleiben auch im gänzlich mortificirten Zustande,
wie alle nassen thierischen Theile, Leiter des Galvanismus,
während sie die Fähigkeit, Contractionen der Muskeln zu verursachen,
verloren haben. ,
6) Endlich zeigen meine eigenen und Sticker’s Versuche,