
der obere Theil durchschnittener Nerven noch Empfindungen
zum Bewusstseyn bringen können, und den Willenseinfluss von
dem Gehirne aus erfahren; der vordere Rumpftheil des.Frosches
hinter dem Kopfe von dem Stamme getrennt, empfindet noch
und bewegt sich noch willkührlich. Durch diese Theilung hat
also das Organ der intellectuellen Vermögen nichts von seinen
Kräften, sondern nur an dem Bereich der Theile, über welche
es herrscht, verloren, gerade so, wie der Amputirte durch den
Verlust seiner Glieder nichts von seinen intellectuellen Fähigkeiten,
sondern nur an Mitteln einbüsst, sie handelnd zu äussern.
Noch weniger als das Rückenmark kann irgend ein anderer
Theil des Rumpfes der Sitz der Seelenfunctionen seyn. Die Glieder
können amputirt werden;, die Eingeweide können brandig,
d. h. todt seyn, und die Söele kann klar seyn, so lange; das Leben
in diesen Fällen besteht; ja es kann nach dpm Eintritt“ues
Brandes in einer entzündlichen Krankheit sogar die ganze Klarheit
des Bewusstseyns, die verloren war, wieder eintreten. Dass
in entzündlichen Krankheiten wichtiger Eingeweide oft Delirien
eintreten, darf uns 'nicht wundern; denn von jeder Stelle des
Körpers,'auch von solchen, die man ohne Verlust der Seelenfähigkeiten
amputiren kann, wie die Extremitäten, kann eine, heftige
entzündliche Affectiön durch die auf das. Sensorium commune
gemachte heilige Impression Delirium erzeugen. Eine heftige
Hautentzündung bewirkt Delirium: warum sollte es nicht die
Entzündung eines Eingeweides thun; und doch kann jeney Thed
der Haut .mit dem ganzen Gliede fehlen, und die Seele nichts
entbehren. Hört nun dieser heftige Eindruck eines kranken
Theiles auf die Centralorgane durch den .Brand oder Tod dieses
Theiles auf, so ist anch gleichsam der Schleier gehoben, welcher
das Sensorium commune klar zu wirken hinderte, und auf kurze
Zeit bis zu dem Tode tritt die ganze Klarheit des Bewusstseyns
oft wieder ein. Auf diese Art lässt sich zeigen, dass alle in dem
Unterleibe enthaltenen Eingeweide der Sitz von Seelenfunctionen
nicht seyn können. Die entzündlichen Krankheiten der in der
Brusthöhle enthaltenen wichtigen Theile, der Lungen und des
Herzens können schon tödten',. ehe es' zu einer Störung des Sen-
soriums kommt. Wir können indess an ihren chronischen Krankheiten,
an ihren Degenerationen auch mit JEvidenz zeigen, dass
sie der Sitz von. Seelenverrichtungen nicht sind. Der Lungenkranke
verliert nichts von seinen Seelenkräften trotz der gänzlichen
Zerstörung seiner Lungen. Der Herzkranke kann im höchsten
Grade geängstigt seyn, wie es jedesmal bei Störungen des
Kreislaufes geschieht; aberseine Seelenfunctionen sind unverändert;
und deutlich sehen wir, dass jedes Organ mit Ausnahme des Gehirns
entweder langsam ans der thierischen Oeconomie heraustreten,
oder kurze Zeit plötzlich ausfallen kann, ohne Störung
der Seelenfunctionen.
Ganz anders verhält es sich bei dem Gehirne; j&de langsame
oder plötzliche Störung seiner Verrichtungen verändert
auch die intellectuellen „Fähigkeiten. Die Entzündung dieses Organes
ist nie ohne Delirien, und später ohne Stumpfsinn; der
Druck auf - das grosse Gehirn bewirkt immer Delirium oder
Stumpfsinn, je nachdem es mit oder ohne Reizung stattfindet; so
wirkt aller Druck, rühre er von Knocheneindrücken, fremden
Körpern, Wasser, Blut, Eiter her. Dieselben Ursachen heben
oft, je nach dem Sitze des Uebels, die Fähigkeit der wilikührlichen
Bewegung oder das Gedächtniss auf. So wie der Druck weggenommen
ist, mit der Erhebung des Knocheneindruckes, tritt die
Besinnung, das Gedächtniss oft wieder ein; ja man hat sogar beobachtet,
dass der Kranke seinen Gedankengang sogleich da fortsetzte,
wo er durch die Verletzung unterbrochen worden. Bei
der Verletzung des grossen Gehirns bei den Thieren tritt Stumpfsinn,
:Besinnungslosigkeit ein; und so sind auch bei den meisten
Geisteskranken bedeutende materielle Störungen im Gehirn vorhanden,
wenn wir auch in anderen Fällen, besonders in denjenigen,
wo die Geisteskrankheiten erblich sind, die feineren materiellen
Veränderungen einer bei mikroskopischer Feinheit wirkenden
Faserung nicht mit unseren schlechten Hülfsmitteln und
Kenntnissen erkennen werden. Man hat zwar hiergegen eingeworfen,
dass man sehr bedeutende Zerstörungen einer ganzen
H'emisphäre ohne Störung des Geistes vorgefunden hat;, indess
zeigen die Versuche an Thieren, dass selbst plötzliche Verletzungen
bloss- einer Hemisphäre nicht sogleich vollen Stumpfsinn erzeugen,
dass dieser erst dann ganz auftritt, wenn beide Hemisphären
entfernt sind, so dass es scheint, dass die Hemisphären
in den Seelen Verrichtungen einander unterstützen, ja ersetzen
können.
Mehrere ausgezeichnete Gelehrte, wie namentlich B ichat und
Nasse, haben eine der unsrigen gerade entgegengesetzte Ansicht;
indem sie anerkennen, dass das Gehirn der Sitz der höheren
Seelenverrichtungen sey, behaupten sie gleichwohl, dass auch andere
Organe, z. B. die des Unterleibes und der Brust, eine gewisse
Beziehung zu den Seelenverrichtungen haben-; ja sie neigen
sich sogar zu der Ansicht hin, dass die Quelle der Leidenschaften
in diesen Organen, die davon so leicht afficirt werden können,
wohl seyn könne, und sie stützen ihre Ansicht theils auf die Af-
fectionen dieser Organe in den Leidenschaften, theils auf ihre
krankhaften -Veränderungen bei manchen Irren., Bei aller Hochachtung,
die ich vor diesen trefflichen Männern hege, muss ich
mir alle Mühe geben, die Nothwendigkeit einer solchen Annahme
zu widerlegen. Gewiss finden sich der Darmkanal, die Leber,
die Milz, die Lungen, das Herz bei Irren oft krank, nnd selbst
zuweilen, wenn man nicht gerade eine grobe materielle Veränderung
im Gehirn auffinden kann. Ich will auch gerne zugeben,
dass die Krankheit eines Eingeweides Veranlassung zur Entwickelung
einer Geisteskrankheit geben könne, wie andere veranlassende
Ursachen. Aber ich schliesse daraus nicht, dass dieses
oder jenes Eingeweide die Quelle von gewissen geistigen oder
leidenschaftlichen Beziehungen sey. Zur Erzeugung jeder Geisteskrankheit
gehört eine Disposition im Gehirne; svenn diese erworben
oder gar erblich da ist, so reicht jene anhaltende Störung
dér Functionen der Centralorgane durch eine Krankheit