
Gerüche unempfindlich, ist, der Gefühlsnerve die Schwingungen
der Körper nicht als Ton, sondern als Gefühl von Erzitterungen
empfindet. Diese Betrachtungen haben die Physiologen
genöthigt, den einzelnen SinnqsneFven eine specifisöhe Empfänglichkeit
für gewisse Eindrücke zuzuschreiben, vermöge welcher
sie nur Leiter für gewisse Qualitäten, nicht aber für andere
seyn sollten.
Die Vergleichung der Thatsachen mit dieser Erklärung, an
welcher man noch vor 10 und 20 Jahren nicht im geringsten
zweifelte, zeigte aber bald, dass sie unbefriedigend ist. Denn
dieselbe Ursache kann aüf alle Sinnesorgane zugleich einwirken,
'wie die EJektricität; alle sind dafür empfänglich, und dennoch
empfindet jeder Sinnesnerve diese Ursache auf eine andere Art;
der eine Nerve sieht davon Licht, der andere hört davon einen
Ton, der andere riecht., der andere schmeckt die Elektricität,
der andere empfindet sie als Schmerz und Schlag. Ein Nerve
sieht von mechanischem Reiz ein leuchtendes Bild, der andere
hört davon Brausen, der andere empfindet Schmerz. Der vermehrte
Reiz des Blutes erregt in dem einen Organe spontane
Lichtempfindungen, in, dem andern Brausen, yin dem andern Kitzel,
Schmerz u. s. w. Wer die Nothwendigkeit fühlte, die Con-
sequenzen dieser Thatsachen durchzüdenken, musste einsehen,
dass die specifische Empfänglichkeit der Nerven für gewisse, Eindrücke
nicht hinreicht, da alle Sinnesnerven -für dieselbe Ursache
empfänglich, dieselbe Ursache anders empfinden; und so
lernten Einige einsehen, dass ein Sinnesnerve kein bloss passiver
Leiter ist, sondern dass jeder eigenthümliche Sinnesnerve auch
gewisse unveräusserliche Kräfte oder Qualitäten hat, welehe durch
dieEmpfindungsnrsächen nurängeregLund zur Erscheinung gebracht
werden. Die .Empfindung ist also nicht die Leitung einer Qualität oder
eines Zustandes der äusseren Körper zum Bewusstseyn, sondern die
Leitung einer Qualität, eines Zustandes unserer Nerven zum Bewusstseyn,
veranlasst durch eine äussere Ursache. Wir empfinden nicht
das Messer, das uns Schmerz verursacht, sondern den Zustand
unserer Nerven .schmerzhaft; die vielleicht mechanische Oscilla-
iion des Lichtes ist an sich keine Lichtémpfindung; : auch wenn
sie zum Bewusstseyn kommen könnte, würde sie das Bewusstseyn
einer Oscillation seyn: erst dass sie auf den Sehnerven als den
Vermitteler zwischen der Ursache und dem Bewusstseyn wirkt,
wird sie als leuchtend empfunden,; die Schwingung der Körper
ist an sich kein Ton: der Ton entsteht erst hei der Empfindung
durch die Qualität des Gehörnerven,- und der Gefühlsnerve empfindet
dieselbe Schwingung des scheinbar tönenden Körpers als
, Gefühl der Erzitterung. Wir stehen also bloss durch die Zustände,
welche äussere Ursachen in unseren Nerven erregen, mit
der Aussenwelt empfindend in Wechselwirkung. .
Diese Wahrheit, welche sich aus einer, einfachen und unbefangenen
Zergliederung der Thatsachen ergiebt, .führt uns nicht
allein zur Erkenntniss der eigenthümlichen Kräfte der verschiedenen
Empfindungsnerven, abgesehen von ihrem allgemeinen Unterschiede
von den motorischen .Nerven, sondern zeigt uns auch
den Weg, eine Menge von irrthümlichen Vorstellungen über die
Fähigkeit der Nerven, einander zu ersetzen, aus der Physiologie
ein- für allemal zu verbannen. Man weiss längst, dass Blinde die
Farben mit den Fingern nicht als Farben erkennen können; aber
wir’ sehen nun die Unmöglichkeit davon aus Thatsachen ein,
welche erklärend für viele andere Thatsachen sind. Wie sehr
sich auch das Gefühl der Finger bei einem Blinden durch Ue-
bung steigern mag, es bleibt immer Qualität der Gefühlsnerven,
Gefühl.
Hieraus widerlegen sich auch die oft noch gangbaren Vorstellungen
von Compensation des N. opticus durch den N. trigeminus,
des N. olfactörius durch denselben u dergl.
Einigen Thieren mit Augen hat man den NV opticus abgesprochen,
und die Gesichtsempfindung durch denRam. ophthalmicus
n. trigemini geschehen lassen,, wie beim Maulwurf und Proteus
anguinus. Diess beruht indess beim Maulwurf auf nipht hinreichend
genauer Untersuchung, und wahrscheinlich ist es eben so
beim Proteus. Der Maulwurf besitzt einen ungemein feinen Sehnerven
und ein sehr zartes Chiasma n. opticorum, wie mir Dr.
H enle gezeigt hat. Von den Cetaceen hat man gesagt, dass der
Geruehsnerve; welcher nach B lainville, Mayer, T reviranus äus-
serst fein und rudimentär,' aber doch vorhanden ist (Treviranus
Biologie V. 342.), durch die Nasaläste des N. trigeminus ersetzt
werde. Wie wenig diese: Annahme gerechtfertigt ist, geht aus
der Bemerkung hervor, dass wir nicht den entferntesten Beweis
haben, dass die Cetaceen riechen. Magendie glaubte zeigen zu
können, dass der N. olfactorius gar nicht Gerucbsnerve sey, und
dass der Geruch den N. nasales des N. trigeminus zugetheilt
werden müsse. Journal de physiol. T. IV. 169. Er bemerkte,
dass die Zerstörung der Geruchsnerven die Empfindung für Es»
sigsäure, flüssiges Ammonium, Lavendelöl, Dippelsöl, welche
in die Nase gebracht worden, nicht aufhebt, indem die Thiere
die Nase mit den Füssen rieben und niesstem Diess beweist,
wie E schricht (Diss. de funct. primi et quinti paris in oljactorio
orga.no. Magendie Journal de physiol. T. VI. p. 339.) zeigt,
und jeder leicht einsieht, dass die Geruchsnerven eben nur die
Geruchsnerven und nicht die Gefühlsnerven der Nase sind.
Denn alle die genannten Stoffe erregen auch das allgemeine Gefühl
der Nasenschleimhaut, welches von den Nasalästeu des N.
trigeminus abhängt. Fleisch erregt nur die Geruchsempfindung,
und hier gesteht Magendie selbst, dass, wenn einem Hunde ein
in Papier gewickeltes Stück Fleisch hingelegt würde, nachdem
ihm die N. olfactorii zerstört worden, er diess nicht bemerkte.
Dass der Geruch bei Mangel der Geruchsnerven oder nach Zerstörung
derselben bei Menschen fehlte, haben die Fälle' von R.u-
DiüS} von R olfink., Magnenus und O ppert, von Balonvs,- L oder
und S erres gezeigt. Vergl. E schricht a. a. O. B äcker com-
ment. ad quaest. physiol. Traject. 1830. Dagegen wollen Mery,
Berard bei Verhärtung der Geruchsnerven oder der vorderen
Lappen des Gehirns Geruch bemerkt haben. Mery hist, de l’anat.
et chirurg. par P ortal. T .III. p. 603. Magendie Journal. T. V. 17.