
"Ueber die Regeneration der Nerven haben Arnemann, H aigthon,
P revost, 'M eyer, F ontana, Michaelis, Swan, Breschet, T ie-
bemann Untersuchungen angestellt; gleichwohl ist dieser Gegenstand
noch ziemlich im Unklaren, indem mehrere Beobachter die
Frage, ob die getrennten Stücke zusammenheilen, mit der Frage
verwechselten, ob die Narbenmasse -die Eigenschaften des Nervengewebes
bat, was sowohl in anatomischer als physiologischer Hinsicht
eine Prüfung von ganz ausserordentlicher Schwierigkeit ist.
Bekanntlich ziehen sich die Nervenstücke nach der Durchschnei-
dung durch die Elasticität ihrer Scheide etwas zurück. Dass aber
die Nervenstücke, wenn sie nahe an einander liegen, sich wieder
vereinigen, daran ist freilich nicht zu zweifeln. Soll nun die
Nervensubst-anz die Eigenschaften der Nerven haben, so muss sie
Primitivfasern enthalten. Arnemann (Versuche über die Regeneration.
Gott. 1797.) fand, dass die Narbensubstanz von- der eigentümlichen
Substanz der Nerven verschieden sey, und eine harte
Anschwellung bilde.' Dagegen F ontana (Versuche über das Viperngift)
die Aehnlichkeit der Substanz nach Versuchen am N.
vagus der Kaninchen annimmt. Allein 29 Tage nach der Durchschneidung
konnten sich unmöglich die Primitivfasern in jener
Narbe erzeugen, die man nach meinen Beobachtungen selbst nach
7 Wochen noch nicht deutlich darin findet,, indem die Narbenmasse
dann noch wie dichtes Zellgewebe ist. P revost (Froriep’s
Not. 360.), der den N. vagus an Katzen durchsehnitt und wieder
heilen liess, fand nach 4 Monaten eine Fortsetzung der Nervenfä-
den durch die Narbe.' Sehr unwahrscheinlich ist Michaelis Angabe
(über die Regen, der Nerven. Cassel 1785.), dass nach Ausscheidung
von 9—12 Lin. langen Nervenstücken nach mehreren Wochen
eine Vereinigung durch Nervenfäden statt fand. Meyer
(Reil’s Arch. 2. 449.) und T iedemann prüften die neu erzeugten
Substanzen durch Salpetersäure, welche die Hüllen der Nerven
auflöst, aber die Nervensnbstanz zurücklässt. Diess Prüfungsmittel
ist aber wohl trüglicb. Nach keinerlei Art chemischer Behandlung
kann man, so viel mich meine Beobachtungen lehren,
die feinsten Primitivfasern der Nerven studiren, der Nerve muss
ganz frisch mikroskopisch untersucht werden. Als ich auf diese
sichere und in derThat nicht sehr schwierige Art die Narbe des
vor 7 Wochen zerschnittenen und wieder verheilten N. ischia-
dicus eines Kaninchens untersuchte, so konnte ich mich nicht
hinreichend von der Existenz der parallelen Primitivfasern in der
noch harten Narbenmasse überzeugen.,, die aus dichtem Zellstoffe
zu bestehen schien; Schwann hat indess beim Froseh in der re-
generirten Nervensnbstanz wirkliche Primitivfasern beobachtet;
in diesem Fall hatte sieh auch die Leitungsfahigkeit der Nerve»
hergestellt. -
Von grossem Gewichte sind nun physiologische Versuche über
die Wiederherstellung der Empfindung und Bewegung' in den
Theilen, deren Nerven vorher durchschnitten worden. Man kann
aber auch wieder von den meisten der bisher angestellten Versuche
dieser Art behaupten, dass sie nicht mit hinreichender
Kritik angestellt sind.
Eine Wiederherstellung der Empfindung fand der Gegner
der Reproduction, Ärnemann, in einem seiner Versuche an einem
vorher durchschnittenen Hantnerven des Vorderfusses eines Hundes
ferner D escot (über die örtl. Krankh. der Nerven. Leipz. 1826.)
hei einem Manne, der sich den N. ulnaris verletzt hatte, und bei
dem anfangs im 4. und 5. Finger das Gefühl ganz mangelte, während
die ersten Tage nach der Verletzung das Gefühl undeutlich
war und sich nach und nach wiederherstellte. D escot’s Fall beweist
nichts, da der Nerve wohl nicht ganz durchschnitten war.
Bei einem jungen Manne sah ich Prof. W tjtzer ein Neuroma des
N. ulnaris am Oberarme exstirpiren, wo dieser Nerve ober und
unter der Geschwulst durchschnitten und mit der Geschwulst ein
Zoll langes Stück des Nerven ausgeschnitten wurde. Hier
konnte sich unmöglich die Nervensubstanz reproduciren, dennoch
stellte sich nach 3 —4 Wochen die Empfindung in der Ulnarseite
des 4. Fingers (nicht im 5. Finger) allmälilig wieder ein,
offenbar weil der Ramus volaris ulnaris digiti 4. mit einem Aest-
chen dés N> medianus verbunden ist. Nach 8 Monaten fand ich
den 4. Finger auf beiden Seiten vollkommen empfindlich. Eine
allmählige, aber unvollkommene Wiederkehr der Empfindung nach
Durchschneidung eines N. dorsalis pollicis hat G ruithuisen an
sich selbst beobachtet. " In einem Falle, den E arle (med. shir.
Trans. 7.) erzählt, wo ein Theil des N. ulnaris ausgeschnitten
wurde, konnte der kleine Finger 5 Jahre nachher noch nicht
gebraucht werden und hatte nur unvollkommene Empfindungen.
In der grossen Anzahl von Arnemann’s Versuchen war das untere
Stück eines durchschnittenen Nerven 100—160 Tage nachher
ganz unempfindlich. Unter die merkwürdigsten Versuche über
die Reproduction der Nerven gehören die von H aigthon, P revost
und T iebemann. H aigthon (Reil’s Arch. 2. 80.) durchsehnitt bei
einem Hunde den N. vagus am Halse auf der einen Seite; als er
3 Tage nachher den andern Nerven durchsehnitt, starb das Thier,
wie immer, wenn beide-Nerven zugleich durchschnitten sind. Er
durchsehnitt bei einem Hunde zuerst den einen, 9 Tage darauf
den andern Vagus. I Der Hund lebte 13 Tage. An einem andern
Hunde wurde der Vagus der einen Seite 6 Wochen nach dem
Vagus- der andern' Seite durchschnitten. Der Hund war zwar
darauf 6 Monate ungesund, aber er blieb am Leben. Die Stimme
war nach 6 Monaten wiedergekehrt und die Töne waren höher
geworden. An dem Hunde, dem H aigthon, 19 Monate vorher
beide N. vagi durchschnitten, durchsehnitt er nun wieder beide
Vagi nach einander, das Thier, starb am 2. Tage. Rtcheranb
hat die Versuche von H aigthon ohne Erfolg wiederholt. Auch
B reschet und D elpech leugnen die Regeneration der Nervensubstanz.
L unb Vivisectionen 218. Dagegen hat P revost Haigthon’s ,
Versuche bestätigt, F roriep’s Not. 360. Als 2 neugebornen Katzen
der eine N.'vagus 1 und 2 Monate nach der Durchschneidung
des andern durchschnitten wurde, starben die Thiere (im ersten
Falle in 15, im zweiten Falle in 36 Stunden). Dagegen lebten
2 junge Katzen fort, als er den zweiten Vagus 4 Monate nach
dem ersten durchsehnitt, sie lebten noch 14 Tage nachher allein