
470 II. Buch. Organ, chem. Procissc. III. Ahschn. Absonderung.
in den Schleimhäuten der Nase, der Conjunctiva, auf der äus-
sern Haut. Alles dieses beobachtet man an den natürlichen wie
krankhaften Absonderungen auf gleiche Art; das gereizte Geschwür
sondert reichlichen Eiter ab; die Verstärkung des entzündeten
Zustandes bebt die Absonderung auf; das erschlaffte Geschwür
mit aufgelockerten Wänden sondert reichliche wässrige Secrete
ab, das erschlaffte Geschwür mit verdichtetem Gewebe von Entzündungsprodukten
sondert sparsam ab.
Der aufgehobene Nerveneinfluss vermindert die natürlichen
Beständtheile eines Absonderungsorganes; der Harn wird in Ner—
venzufällen wasserhell, die Haut in Fiebern mit geschwächtem
Einfluss des Nervensystems trocken, die Haut ist im Froststadium
des Fiebers trocken. Aber räthselbaft ist, dass eine viel stärkere
Entziehung des Nerveneinflusses, wie in der Ohnmacht die Absonderung
so ungemein vermehren kann, wie beim kalten Schweiss,
bei der Diarrhoe von Schrecken, Angst. Die qualitativen Veränderungen
der Secreta durch veränderten Nerveneinfluss, kennt
man mehr aus den schädlichen Wirkungen dieser Secreta, wie
der Milch, der Galle nach Leidenschaften, als aus chemischen
Untersuchungen.
Dadurch, dass alle Absonderungen durch die Entziehung gewisser
Beständtheile des Bluts auf die Mischung desselben wirken,
kann eine Absonderung aus demselben nicht verändert werden,
ohne dass das Gleichgewicht, welches die verschiedenen Absonderungen
gegen einander in Hinsicht ihrer Wirkung auf das
Blut hatten, gestört wird; daher die Vermehrung einer Absonderung
die" Verminderung einer anderen zur Folge hat, -was man
den Antagonismus der Secretionen nennt. Auf dem Princip dieses
Antagonismus beruht die Hervorrufung mancher künstlichen
Secretionen um'andere krankhafte aufzuheben. Hierbei finden
folgende Gesetze statt:
1. D ie Vermehrung einer Absonderung in einem Gewebe A,
welches weniger reizbar als das Organ B ist, kann in dem Organe
B die Absonderung nicht antagonistisch Vermindern, daher
z. B. künstlich erregte Absonderungen in der Haut, wie durch
Blasenpflaster, in der Nähe, des Auges, bei Augenentzündungen,
fruchtlos sind, weil das Auge reizbarer als die Haut selbst ist. »
2. Die Vermehrung einer Absonderung in einem gewissen
Gewebe A kann nicht vermindert werden durch Hervorrufung
derselben Absonderung in einem anderen Theile des Gewebes A,
im Gegentheil wird die Absonderung in allen Theilen desselben
Gewebes eher verstärkt als vermindert, weil die verschiedenen
Theile eines Gewebes nicht in einem antagonistischen, sondern in
einem sympathischen Verhältnisse stehen. Man kann also eine
Blennorrhoe der Genitalien oder Harn Werkzeuge durch eine künstlich
erregte Diarrhoe nicht antagonistisch heilen.
3. Dagegen stehen diejenigen Gewebe oft in einem antagonistischen
Verhältnisse der Absonderung, welchö nicht zu derselben
Klasse der Gewebe gehören. ’ So bewirkt die Vermehrung
der Absonderung durch die Haut eine Verminderung der wässrigen
Absonderung durch die Nieren. Im Sommer ist die Hautausdünstung
stärker und die Nierenabsonderung verhältnissmässig
3. Von den Veränderungen der Absonderung. Metastasen. 471
geringer; im Winter findet das umgekehrte Verhältniss statt. Bei
der Ablagerung wässriger Flüssigkeiten im Zellgewebe und in den
serösen Häuten ist die äussere Haut trocken und der Urin sparsam,
und der Fluss des Urins steht in geradem Verhältnisse mit
der Abnahme der wassersüchtigen Anschwellung. Durch Unterdrückung
der Hautausdünstung, durch Erkältung, entstehen Blen-
norrhoeen der Schleimhäute, in den Lungen und im Darmkanal.
4. Nur am Ende der colliquativen Krankheiten beschränken
sich die Absonderungen nicht gegenseitig mehr, sondern alle werden
zuletzt durch Erschlaffung der Gewebe- vermehrt, wie denn
durch den sogenannten colliquativen Zustand, z. B. colliquative
Diarrhoeen, SchweisSe und Wasserergiessungen vor dem Tode
bei den Phthisikern entstehen.
5. Gewebe, welche gegen einander in Antagonismus treten,
werden bestimmt theils dadurch, dass sie einigermassen ähnliche
Flüssigkeiten im natürlichen Zustande absondern, gleichwie die
Verminderung der Wasseraüsscheidung durch die Nieren auf die
Vermehrung der Wasserausscheidung durch die Haut wirken
muss; oder das antagonistisch erregte Absonderungsorgan war
ohnehin schon zu krankhafter Thätigkeit prädisponirt. So bewirkt
die Erkältung bei demjenigen eine Affection der Schleimhaut
der Lungen, welcher zu dieser schon vorher disponirt war,
hei Anderen aber aus denselben Gründen leichter eine Veränderung
der Sehleimabsondertfng im Darmkanal. Vgl. Heusingep,
über den Antagonismus der Excr et ionen; desselben Zeitschrift für
organ. Physik.. Bd. I.
Zuweilen bewirkt die Unterdrückung der Absonderung an
einem Orte das Erscheinen desselben Fluidums an einem anderen
Orte. Dieses geschieht vorzüglich leicht bei denjenigen Absonderungsflüssigkeiten,
welche als solche schon ini Blute vorhanden
sind. Vicarirende Blutungen für die Menstruation lassen sich
nicht läugnen, und die Unmöglichkeit, den im Blüte bereits vorhandenen
Harnstoff (siehe pag. 15.9) durch gänzlich zerstörte Nieren
mit dem Harne abzusondern, muss mit Harnstoff geschwängerte
Ausscheidungen in allen übrigen Theilen des Körpers zur
Folge haben können. Nysten (Récherches de chimie et de physio-
logie pathol. Paris 1811. pag. 263 — 293) hat die Existenz von
Harnstoff in bei gänzlicher Harnverhaltung ausgebrochenen Flüssigkeiten
constatirt, und an der Ablagerung harnsauren Natrons
in den Gichtknoten ist kein Zweifel.
" Ist aber ein Absonderungsstoff als solcher nicht schon im Blute
vorhanden, so kann die Unterdrückung dieser Absonderung in
dem dazu bestimmten Apparat nicht dieselbe Absonderung in anderen
Theilen metastatisch verursachen, und was man auch hie-
für angeführt hat, beruht auf schlechten Gründen.
Nach verhaltener Aussonderung der Galle kann zwar die
schon einmal abgesonderte Galle resorbirt ins Blut gelangen und
von dort aus in anderen Theilen sich ablagern. Diess ist aber
ein ganz anderer Fall, der keine Aehnlichkeit mit demjenigen hat,
wo ein Absonderungsorgan ganz entfernt wird; hier ist kein Apparat
mehr dazu vorhanden, wie nach Exstirpation des Hoden
MUller’e Physiologie. I. Jjl