
den, dass die Verbreitung der Schmerzen in den Neuralgien keineswegs
immer nach dem Verlauf der Nerven erfolgt. In mehreren
Fallen, von reinen Neuralgien, die-ich in Berlin untersuchte,
verliefen die Schmerzen durchaus nicht nach der anatomischen
Verbreitung des Nerven ; ich sah z. B. eine Neuralgie des Gesichts,
die Vom Scheitel anfangend durch die Orbita auf die Wange
ging und dort endete. Bei einer andern Neuralgie konnte man den
N. ulnaris, so gut als den N. radialis im Verdacht haben, und doch
passte Beides nicht recht. Eben so sah ich eine Neuralgie am Schenkel;
die der Arzt wohl gewöhnlich für.Ischiadik, aher ein Anatom
nicht dafür halten würde. Dagegen sah ich auch wieder eine Neuralgie
der N. facialis und lingualis) wo die Schmerzen; wenn auch
nicht constant, doch öfter unter dem Ohr hervorzukommen und
sich strahlenförmig im Gesicht zu verbreiten schienen. Bei demselben
Manne ging der Schmerz oft gegen die ahatomische Verbreitung,
und warf sich oft vom Gesicht auf die Zunge. In diesem
Falle bilden die Neuralgien aber einen Einwurf gegen die früher
erwähnte Theorie der Empfindungen. Wenn dié oben erwähnten
Thatsachen gegen lene Theorie von der Mechanik der Empfindungen
sprechen, so sind ihr die folgenden wieder günstig; hier
fehlt uns ein Aufschluss, der diese Widersprüche aufhellt.
VII. Wenn die Empfindung in den. äusseren Theilen durch
Druck oder Durchschneiden vollkommen gelähmt - ist, so, kann der gereiste
Stamm des Nerven noch Empfindungen haben, welche in den
analogen äusseren Theilen zu seyn scheinen. Beweis. Es giebt
bekanntlich Lähmungen, bei welchen die Glieder durchaus keine
Empfindlichkeit für äussere Reize haben, und wobei gleichwohl
die heftigsten Schmerzen in . dem für äussere Reize unempfindlichen
Theile stattfinden. Solche Glieder kann man stechen, anschneiden,
stossenj ohne die geringste Empfindung, und dennoch
sind die Schmerzen aus' inneren Ursachen zuweilen stark. Bei
dem bisherigen rohen Zustande der Nervenphysiologie waren
diese Fälle ein Widerspruch, ein unauflösliches Räfhsel. In Bonn
habe ich einen solchen Fall bei einem gewissen H eidenreich gesehen
, der an den unteren Extremitäten vollständig, sowohl in
Hinsicht der Empfindung als der'Bewegung, gelähmt ist. Von
Zeit zu Zeit werden die Glieder von Zuckungen ergriffen, wobei
heftige Schmerzen im ganzen Beine .eintreten, aber die Empfindung
für äussere Reize nicht wiederkehrt. Wenn die: äusseren
Theile der Nerven gelähmt sind, so kann die Irritation der
Stämme noch die heftigsten Schmerzen verursachen, welche in
den . äusseren Theilen zu seyn scheinen (Anaesthesia dolorosa).
Man sieht leicht ein, dass* die schmerzhaften Lähmungen der
Empfindung vorzüglich solche seyn müssen, wo die äusseren
Theile der Nerven gelähmt sind, die Stämme und Ursprünge aber
noch unversehrt, also in den rein örtlichen Lähmungen derNér-
ven bei vollkommener Integrität des Gehirns und Rückenmarks,
wie in den örtlichen rheumatisch-gichtischen Lähmungen, in
örtlichen Lähmungen, die durch Druck auf die Nerven, durch
gangliöse Anschwellungen der Nerven verursacht sind. E arle
erzählt einen Fall (med. C h i r u r g , transact. 7. 173. Meckels Archiv
3. 419.) von Lähmung des Armes durch einen Schlüsselbein-bruch.
Die Fin ger und der ganze Arm waren empfindungslos gegen äussere
Eindrücke, dennoch empfand der Kranke bei jedem Versuch
das Glied zu bewegen, bisweilen sogar bei voller Ruhe, heftige
Schmerzen in den Fingerspitzen.
Hierher, gehört auch die durch unzählige Erfahrungen bestätigte
Thatsache, dass die Durchschneidung der Nerven bei Neuralgien
in der Regel nichts fruchtet, und dass die Schmerzen oft
wiederkehren, obgleich die Nerven durchschnitten, ja stückweise
ausgeschnitten 'waren, so dass die Schmerzen in der Wange eben
so heftig wurden als zuvor. In der That, wenn der Nervenstamm
die Ursache der Neuralgie ist, kann die Durchschneidung
des Stammes z. B. des Nervus facialis, infraorbitalis, durchaus
nichts fruchten, denn der Stumpf des Stammes, der noch
mit dem Gehirn in Verbindung steht und noch alle Primitivfasern
enthält, die sich in der Haut entwickelten, hat, wie wir wissen,
bei seinen Reizungen dieselben Empfindungen scheinbar in
den äusseren Theilen, als wenn diese selbst afficirt sind. Nur selten
fruchtet die Durchschneidung des Nerven und die Ausschneidung
eines Stückes, und natürlich nur dann, wenn die Ursache
der Neuralgie in den Aesten, nicht im Stamme war.
Mit der Durchschneidung eines Nerven hört daher nur die
Möglichkeit auf, mit dem Hautende der Nervenfasern äussere Eindrücke
zu empfinden, weil der Eindruck nicht, mehr zum Gehirn
geleitet werden kann. Aber dieselben Empfindungen, die
sonst aus äusseren Eindrücken entstehen, werden aus innerer Ursache
erscheinen, wenn nur die Primitivfasern des Stammes mit
dem Hirn- oder Rückenmark in Verbindung stehen.
Wenn ein Nerve zufällig z. B. am Finger durchschnitten
wird, so tritt im Zeiträume der Wundentzündung Schmerz in
dem gelähmten Theile des Fingers ein, während derselbe Theil
gar kein Gefühl gegen äussere Reize hat. Die Empfindung, des
Schmerzes vergeht wieder nach der Wundentzündung, und nun
ist, der Theil wieder ganz empfindungslos. Von besonderem Interesse
ist in dieser Hinsicht eine Beobachtung von Gruithuisen
an sich;, die ich schon p. 411. berührt habe. Nach einer Verwundung
am Daumen, welche den N. dorsalis radialis pollicis
durchschnitt, wurde die Seite des Daumenrückens bis unter den
Nagel ganz unempfindlich.' ZurZeit der Entzündung wurde diese
Hautstelle sehr schmerzhaft; diese Schmerzen verschwanden nach
acht Tagen mit der Heilung, worauf der für äussere Eindrücke
unempfindliche Zustand allein übrig blieb. Wenn G ruithuisen
später auf die Narbe klopfte, hatte er die Empfindung von Prik-
keln unter dem Nagel. Beiträge zur Physiognosie und Eautognosie.
E verard H ome erzählt in den Phil, transact. einen Fall von
Gesichtsschmerz. In einem Falle, wo man die Durchschneidung
des Nerven verrichtet, gelang die Vereinigung per primam inten-
tionem nicht, und während der Zeit, dass die Wunde offen war,
verursachte der entzündliche Zustand des getrennten Nervenen