Die Ka st a l i s che Quel le.
Am Eingänge dieser Felsenschlucht ist rechts eine hohe
breite Felsenwand senkrecht und eben behauen; in ihr zeigen
sich zwei kleine und darunter eine grössere Votiv-Nische.
Di eser Wand gegenüber führen vier Stufen, in dem rothen
eisenkieselig thonigen Gestein ausgearbeitet, zu einem ein Paar
Lachter breiten, länglich viereckigen Bassin; sie sind so lang
wie dieses. In diesem Wasserbehälter, der wenig über 1 Fuss
tief ist, quillt reichlich zwischen grüner Brunnenkresse herrliches,
klares, frisches Wasser, fliesst zur linken Seite ab und
bildet den kleinen Bach vor dem Eingang in die Felsenschlucht.
Es ist diess d ie he i l ig e Ka s t a l i s ch e Que l l e , in welcher
sich die Pythia oft durch ein kaltes Bad zum Wahrsagen vorbereitete
oder wenigstens zuvor mit diesem Wasser waschen
musste; es diente den Priestern und den Befragenden zur
Reinigung, Diese Quelle entspringt hier an Ort und Stelle;
ob sie ihr Wasser dem auf dem Parnassos befindlichen See
verdanke, wie die meisten Reisenden annehmen, ist schwer
nachzuweisen; auch bedarf es keines See’s, um bei einem Gebirge,
wie der Parnassos ist, einer mässigen Quelle den Ursprung
zu geben. Die Hinterwand des Bassins ist von dem
darüber, wie gesagt, senkrecht niedergehauenen Felsen ausgespart
(stehen gelassen) worden; sie ist etwa Mannshoch (über
dem Bassin) und war noch vor wenig Jahren längs hin mit
Steinplatten bedeckt, die aber jetzt von den Dorfbewohnern
weggeholt sind, denn hinter ihr ist ein enger Gang, in welchem
nur eben ein schlanker mittelgrosser Mensch durchschlüpfen
kann, ausgehauen; er geht einige Schritte links
(nördlich) von der Quelle wie ein kleiner Such- oder Wasser-
s toi ln zu Tage aus, rechts ist er im Felsen fortgetrieben, wie
die Leute behaupten, von hier bis an jene sonderbare Wand
mit den vielen Löchern, w'elche ich früher beschrieb, wo man
die angekommenen Fremden ausgehorcht haben soll; er war
über die Hälfte voll eingespülter Erde; als ihn einige Bewohner
von KastrI vor einigen Jahren so weit, als das Bassin
der Quelle geht, ausräumten, fanden, sie ein sehr hübsch gearbeitetes,
ein Paar Zoll grosses goldnes Pferd. An der südlichen
Seite der Hinterwand des Bassins hat man nicht ermangelt,
eine kleine, ganz einfache Kapelle Johannes des Täufers
aufzuführen, bei dem Wasser, das die Pythia vor dem
heiligen Dienste als Bad oder Waschung gebrauchen musste.
In ihr liegen noch die den ganzen Gang früher deckenden
Steinplatten; in der an der linken Seite ist eine grosse Oeff-
nung roh durchgearbeitet; über ihr, erzählen die Bewohner
von KastrI, habe die Pythia gesessen, wenn sie wahrsagte;
diess Loch ist aber jedenfalls durch die Steinplatte geschlagen
worden erst als die Kapelle erbaut wurde und das Orakel
mit der Dunsthöhle längst verschwunden war. Es hat sich
ferner noch bei ihnen erhalten, dass man im Wasserbehälter
dieser Quelle die Pythia oft gefunden habe, das lange, schwarze,
von Wasser triefende Haar wild um den Kopf hängend, mit
stierem Geisterblick. Unter dieser Kapelle ist die Vorderwand
des dahinter befindlichen Ganges eingeschlagen, so dass
man hier in ihn hineinsteigen kann. In dieser Vorderwand
sind in einiger Entfernung über dem Wasser Löcher eingehauen,
als hätten einst Hölzer darin gesteckt. Alles und
auch der Eingang des kleinen Stollens war wahrscheinlich einst
überbaut. So zweckmässig und günstig nun auch dieser Piat?
zu einem Orakel ist, so passt er doch nicht zu den Beschreibungen
der Alten.