DER KOPAIS- ODER TOBOL-SEE UND DIE
KATAWOTHREN.
Z u diesem See mul den Katawothren gelangt man von
Theben aus auf drei Wegen: 1) der gewöhnliche Weg nach
Livadia führt einige Stunden am südwestlichen Theile des
Sees hin; 2) der Weg nach Tobole geht mehr nach der östlichen
Hälfte des See’s; 3) der über Kokkino nach der Ostseite
des See’s zu dem grossen Katawothron.
Ich wählte den erstem, da es mein Zweck war, diesen
See ringsum zu untersuchen und zu sehen, auf welche Weise
er am besten entwässert werden könne. Um aber darüber
urtheilen zu können und eine richtige Vorstellung von dem
See und seinen unterirdischen Abflüssen zu bekommen, muss
man ihn zu zwei verschiedenen Jahreszeiten besuchen: im
Februar, wo er am vollsten, und im September, wo er am
trockensten ist. Es war im Juni freilich keine günstige Zeit,
denn man konnte weder eins noch das Andere vollständig beobachten,
und es war nicht möglich, wenn ich nicht den
Hauptzweck der Reise bei Seite setzen wollte, ihn vor November,
also wieder etwas zu spät zu besuchen. Doch glaube
ich hinreichend Aufschluss über denselben geben zu können
und stelle beide Beobachtungen hier zusammen.
Zur leichtern Uebersicht des Folgenden werde ein allgemeiner
Ueberblick des Gegenstandes gegeben, und einige alte
historische Nachrichten vorausgeschickt.
Der Kopa'is- oder Tobol-See erfüllt jetzt eine grosse
Ebene, welche sich schmäler gegen Nordost zusammenzieht
und sich in dieser Richtung als ein weit geöffnetes ebenes
Thal forterstreckt, bis sich plötzlich wie ein Damm oder Wall
ein felsiger Bergrücken (|uer vorzieht. ]\Jan schätzt die Fläche
des Kopa'is-See’s 120,000 Stremata fruchtbares Land, die,
mässig gerechnet, einen Werth von fünf und einer halben
Million Drachmen haben. Der Kopa'is hat von der Nord- und
Ostseite des Parnassos und den südlichen Abhängen des Oeta-
gebirges ein sehr grosses Sammelrevier für die im Winter so
heftigen Regengüsse, den im Frühjahr von den hohen Gebirgen
schmelzenden Schnee und wird auch das ganze Jahr
hindurch durch den kleinen Fluss Kephissos, der von Livadia
her einen starken Bach, die Herkyna, aufnimmt, der Länge
nach durchströmt; hierzu kommen noch mehrere starke Quellen
an den Seitenrändern der Ebene. Diese im Winter sich
sammelnde Wassermasse hatte in den urältesten Zeiten natürliche
Abzüge durch das sich östlich als ein mächtiger Wall
quer vorziehende Kalkgebirge, durch die sogenannten Katawothren,
diess sind lang gezogene Spalten und Höhlungen, von
welchen später mehr die Rede sein wird. Zwölf reiche Ortschaften
blühten sonst in und neben der grossen Ebene, mit
einer halben Million Menschen; jetzt ist sie ein Sumpf voll
Rohr und Schilf, in welchem Millionen Frösche und Fische
leben.D
ie Katawothren wurden in den frühesten Zeiten offen
erhalten, aber nachdem das reiche Orchomenos, die Hauptstadt
der Minyeten, welche am Rande dieser Ebene lag, deren
üppigen Gefilden sie ihren Ueberfluss zu verdanken hatte,
durch die Thebäer ausgeraubt und zerstört worden war, unterblieb
die Reinigung derselben. Der abwechselnde grosse
Druck des durchströmenden Wassers im Winter, der bei der
darauf folgenden Trockenheit völlig aufhört und die jährlich
wiederkehrenden Erderschütterungen brachten Brüche im Innern
der Katawothren hervor, die nicht ausgeräumt wurden.
Das hineinströmende Wasser führte Zweige, Schilf, Rohr und
Gras in die engen winkligen Höhlungen und setzte reichlich