So unscheinbar und geringfügig nun auch Ein oder ein
Paar Stücke Rohr zu sein scheinen., so hatten sie, zur Flöte
benutzt, und die Schildkrötenschaalen vom Ptoongebirg, die
zuerst hier zur Lyra Veranlassung gaben, einen wichtigen
Einfluss auf die Bildung des Volkes in Hinsicht der Kunst,
so wie der todte Stein, den man Marmor nennt, bei den Athenern;
durch ihn hob Phidias und Praxiteles die Plastik
auf einen Grad der Vollkommenheit, die noch heute Bewunderung
und Nachahmung erregt; durch Flötenrohr und die
Lyra hoben Hesiodos und Pindar Musik und Gesang zu einem
solchen Grade, dass nah und fern Sänger und Kitharisten
herbeiströmten, das Fest der Charitinnen (Grazien) zu feiern und
den Preis zu erringen. So bildete sich am Helikon die Verehrung
der Musen, und wie die Horen die Natur mit ihren
Reizen ausdrückten, so waren die Charitinnen das Leben zu verschönern,
durch Gesang und Musik die Sitten zu mildern.
Von Skripu aus verlässt man den Kephissos und bald
auch den Kopais-See; an seinem nördlichen Rande durch fette,
thouige Ebene, die zum Theil bebaut ist, kommt man an das
linke Ufer der Heikyna, verlässt sie aber bald wieder; ein
schrecklicher Pflasterweg voll tiefer Löcher und jetzt in
der nassen Jahreszeit zähen, glitschrigen Thon führt zwischen
Gärten nach Liwadia, was in einem Winkel des Gebirges, an
dessen Abhange und am Eingänge einer engen Feisenschlucht
liegt. Ueber der jetzt Mieder auflebenden Stadt, die von den
Türken ganz zerstört war, liegt auf einem kleinen Berge ein
zerstörtes Schloss des Mittelalters; im Alterthum war auf
ihm die erste Niederlassung der dortigen Ansiedler, welche
Mideia hiess; später, als Lewados von Athen dahin kam, stiegen
sie von der Burg herab und gründeten neben ihr die
Stadt, welche nach ihm nun Lewadeia genannt wurde. In Liwadia
steht rother thoniger Schiefer stark nach Norden fallend
zu Tage. Aus der Gebirgsschlucht, an deren Eingänge
Liwadia liegt, rauscht ein starker Bach, die Herkyna, hervor.
Seit 3 Tagen stürzte der Regen stromweise herab, so
dass ich die nahe Orakelhöhle des Trophonios nicht besuchen
konnte; auch sagten mir die Griechen, dass es jetzt vergeblich
sei, in die Höhle, wo man das Orakel vermuthet, und
welche bis in ihr Tiefstes zu untersuchen am interessantesten
ist, sich zu begeben, weil sie ganz voll Wassei stehe. Das
Wetter hellte sich ein wenig auf, und da bereits der 1% Dec.
war, so musste ich weiter eilen, ohne das Orakel zu befragen,
so nah ich ihm auch war, denn ich hatte noch den westlichen
Theil von Romelien zu bereisen; der erste Schneefall
konnte verhindern, dass die Gebirgsuntersuchung dieses Jahr
nicht beendigt werden konnte, was doch der Wille der Regierung
Mrar. Nach Liwadia war ich aus dem rauhesten Theile
Romeliens gekommen, werde aber des bessern Zusammenhanges
willen Romelien von Westen her beschreiben. Ich bemerke
hier, dass Romelien wohl der ursprüngliche Name seit dem
Eindringen der Römer in diese Länder war; die Türken
nennen sie Rumelien, und schon um sie von diesem noch
türkischen Gebiet zu unterscheiden, soll man sie Romelien
nennen.