
Vernunft selbst bestimmt werden kann, als das Vernünftige in
ihr schon zum Bewusstseyn gekommen ist. Diess ist bekannt-
lieb der Begriff der Freiheit im Sinne S pikoza’s , wie er ihn in»
letzten Buche der Ethik entwickelt.
Bei der Durchführung dieser Ansicht finden sich grosse
Schwierigkeiten. Zu jeder Krümmung eines Wurmes würde ein
blosses spontanes Spiel des Nervenprincips nicht hinreichen. Es
müsste jedesmal das Sensorium desselben von irgend einem Grunde
bestimmt werden, dass dieser und nicht ein anderer Theil der
Nerven dirigirt werde, und eben so ist es beim Fötus, • dessen
im 5. Monate schon beginnende Bewegungen ohne Absicht und
ohne Kenntniss der Wirkungen, die sie haben, willkührlich er-
fol°en. Hier würden also die Gründe, die das Ich 'bestimmen,
bald diesen, bald jenen Theil des Nervenapparates in
Thätigkeit. zu setzen, ganz unbekannt seyn. Das Einzige, was
man sich hier als Veranlassung zur Bestimmung des Ichs für
Intention bestimmter Nervenfasern vorstellen könnte, Wäre, dass
diejenigen Gruppen von Nervenfasern, die eine Zeitlang der
Intention nicht ausgesetzt waren, zur Intention am meisten
prädisponirt sind. Erwägt man die lebhaften willkührlichen Bewegungen
des Neugebornen, die noch ohne Kenntniss ihres Erfolges.
geschehen, so muss man alle Gedanken aufgeben, Gründe für
die Bestimmung des Ichs zu diesen Intentionen des Nervenpïin-
cips nachzuweisen, wenn man nicht etwa eine instinctmässig wirkende
Macht auf das Sensorium einwirken lässt, von deren Impulsen
die Direction und Folge der vom Ich bewusst intendir-
ten Bewegungen eingegeben werden. Diejenigen, welche dieser
Ansicht folgen, können sich darauf berufen, dass jede Fähigkeit
zu ihrer Aeusserung in einer bestimmten Art unter vielen möglichen
Arten auch bestimmende Gründe nothwendig habe. Es liegt
in der Natur einer Pflanze, so und solche Blätter- und Stengel zu
haben, dass aber das Individuum einer Pflanze seine Aeste so,
das andere so treibt, in ungleicher Zahl und Stellung, kann von
keiner gesetzlosen Spontaneität, sondern nur von bestimmten inneren
Ursachen, die im Fortschritte der Entwickelung zum Vorschein
kommen, abhängen.
Bleibt man hei der Ansicht, dass das Princip der willkührlichen
Bestimmung im selbstbewussten Ich gelegen, proteusartig
ohne Grund und äussere Bestimmung jede Bewegung intendiren
kann und nur deswegen auch auf veranlassende Ursachen bestimmte
Bewegungen hervorruft, weil es eben jede’Bewegung aus
sich selbst hervorrufen kann, wie der gewöhnliche Begriff der
Willkühr ist, so sind alle jene Schwierigkeiten abgeschnitten ;
aber damit ist auch der Versuch einer wissenschaftlichen Erklärung
aufgegeben.
Die Bestimmung der Quantität des Nerveneinflusses hei der
willkührlichen Bewegung, oder die Stärke der Oscillation und
die Stärke der Bewegung hängen von denselben Ursachen, wie
die Bestimmung der Oertlichkeit der willkührlichen Bewegung ab.
Beide haben eine gewisse Grenze. Am leichtesten ist die will-
kührlicheBewegung ganzer Muskelgruppen (obgleich bei der Anstrengung
vieler Muskeln zugleich auch die Kraft früher erschöpft),
und man kann im Allgemeinen sagen, dass eine will-
kührliehe Bewegung um so schwieriger auszuführen ist, je weniger
Nervenfasern dabei wirken sollen und je kleiner der bewegte
Theil seyn soll. Das Nervenprincip setzt viel leichter viele Ner-„
venfasern, als wenige in Thätigkeit; daher die Leichtigkeit der
Mitbewegungen. Viele Menschen sind nicht einmal im Stande,
einzelne Gesichtsmuskeln, einzelne Abzieher oder Anzieher der
Finger, einzelne Ohrmuskeln zu bewegen; sie können es nur,
wenn sie andere Muskeln mitbewegen. Dagegen sind alle im
Stande die einzelnen Bäuche des Flexor subtimis und profundus
der Finger zu bewegen. Ob wir einzelne Strecken eines langen
Muskels für sich willkührlich in Thätigkeit setzen können, ist
sehr zweifelhaft. Die Localisation der Einwirkung des Nervenprincips
bei dem willkührlichen Einfluss ist hier jedenfalls
viel geringer, als bei gelegentlichen unwillkürlichen Reizungen.
Aus "inneren Ursachen zuckt oft eine ganz kleine Strecke eines
Muskels, z. B. des Biceps brachii. Diess kömmt bei willkürlichen
Bewegungen nie vor. Durch vielfache Uebung nimmt unser
Vermögen die Intention des Nervenprincips auf einzelne Gruppen
von Nervenfasern zu isoliren zu; und je häufiger gewisse
Nervenfasern die Strömungen oder Oscillationen des Nervenprincips
aus willkührlichen Bestimmungen erfahren, um so mehr bildet sich
ihre Fähigkeit zur isolirten Wirkung, wie beim Clavierspielen u.
dgl. aus. Nach oft wiederholter Bewegung einzelner Muskeln in
kurzer Zeit tritt jedoch ein Hinderniss ein und es entsteht auch
bei dem Geübten ein Ungeschick, so wie die Kraft unserer
Bewegungen durch unterbrochene Anstrengungen verstärkt wird,
aber nach jeder grossen Anstrengung für kurze Zeit scheinbar abnimmt.
Die Erklärung dieser Phänomene ergiebt sich aus den Bd. I.
p. 52. angestellten Betrachtungen. Die Irritation des Nerven und
Muskels verändert seinen Zustand und macht ihn augenblicklich
ungeschickt, wie die Retina für einen langem Eindruck unempfindlich
wird, in dem Maasse, als sie dadurch materiell verändert
wird. Aber die Intention des Nervenprincips auf bestimmte Fasergruppen
ist auch die Ursache, dass diese gerade vorzugsweise
während der Ruhe sich restauriren und an Reactionskraft
zunehmen. Abwechselung von Ruhe und Anstrengung ist daher
das Geheimniss, wodurch wir unsere Organe für die Anstrengung
stärken. Dagegen Muskeln und Nerven, denen die Intention des
Nervenprincips sehr selten zu Theil wird, wie die Ohrmuskeln,
an Bewegungsfähigkeit auch verlieren.
Die Frage, warum die dem N. sympathicus unterworfenen Theile
dem Willen entgegen sind, ist schon in derNervenphysikBd.I. p. 721.
untersucht und ebendaselbst sind auch die Thatsächen erörtert
worden, welche beweisen, dass willkührliche Entladungen des
Nervenprincips nach den willkührlichen Muskeln nicht ganz ohne
gleichzeitigen Einfluss auf die unwillkührlichen sind. Die Bewegung
der Iris mit gewissen Stellungen des Auges,.die Häufigkeit
des Herzschlages bei langer Anstrengung von vielen Muskeln und
der wöhlthätige Einfluss der Körperbewegungen auf die Bewe