
Eine Einwirkung der Gesichtsnerven auf die anderen Sinnesnerven
in den Grenzen, wie überhaupt ein Nerve auf den andern durch
Vermittelung des Gehirns einwirken kühn, wird Niemand bestreiten
können; welche ausgebreitete Affection bringt nicht eine Neuralgie,
welche mannigfaltige Störungen der Sinnesorgane ein nervöser Zustand
hervor, der in den Unterleibsorganen seine Quelle hat.
Wie gewöhnlich ist hier das schlechte Sehen, das Ohrenbrausen
u. a., obgleich allerdings Vieles der Art, was man in den, Unterleib
verlegt, einen viel tiefem Sitz in der Irritation des Rückenmarks
hat.
Von diesem Gesichtspuncte aus muss auch die Einwirkung
vom Nervus frontalis aut den Sehnerven und jene nach Verletzungen
des Nervus frontalis beobachtete Amaurose betrachtet werden;
aber vielleicht dürfte diese in neueren Zeiten meines Wissens
selten beobachtete Affection, noch richtiger aus der Erschütterung
des Auges und Sehnerven durch die Contusipn der Stirn
erklärt werden.
Die anatomischen Beobachtungen für das Vertreten eines
Sinnesnerven durch einen andern, haben eine sehr unsichere Grundlage.
Der Sehnerve des Auges des Maulwurfes sollte der Augenhöhlenzweig
des Trigeminus seyn; K och und H enle haben indegs ge-
zeigt, dass der Maulwurf einen ungemein feinen, dér Grösse seines
Auges entsprechenden Sehnerven besitzt und ebenso mag es beim
Proteus anguinus seyn. Die Unabhängigkeit des N. acusticus der
Fische, vom N. trigeminus haben T reviranus und E. H. W eber
gezeigt. Selbst wenn in einer Nervenscheide Fasern verschiedener
Function eingeschlossen sind, beweist diess keineswegs etwas für
die Leitung verschiedener Empfindungen durch einerlei Leiter.
So kann man die Thatsache auslegen, dass es bei den Fischen einen
Nervus accessorius nervi acustici giebt, der bald'selbsständig
vom Gehirn, bald vom Trigeminus, bald vom Vagus abgeht (E. H.
W eber de aure et auditu. Lip. 1820. p. 33. 101.) und dass nach
T reviranus (Zeitschr.f Physiol. V.) bei einigen Vögeln der nervus
vestibuli ein Ast des facialis seyn soll. Bei den Delphinen sind
zwar Rudimente der Geruchsnerven nach Blainville, Mayer
T reviranus (Biologie. 5. 342) vorhanden und es wäre schon deswegen
nicht nöthjg andere Nerven für den Geruch dieser
Thiere in Anspruch zu nehmen, indess ist es überhaupt unbekannt,
ob diese Thiere riechen.
Von wahrer Vertretung eines Sinnesnerven durch einen spezifisch
davon verschiedenen, ist uns unter den beglaubigten physiologischen
Thatsachen keine bekannt. Die Ausbildung des Gefühls
in der Weise des Gefühls bei Blinden wird man beut zu
Tage nicht Sehen durch die Finger nennen;, das Sehen mit den
Fingern, mit der Herzgrube, bei sogenannten Magnetischen scheint
ein pures Mähreben, wenn es nacherzählt wird, und Betrim,
wo es geschehen soll. Die Gefühlsnerven sind keiner andern Empfindung
als der Gefühlsempfindung fähig. Daher ist auch kein
Hören als durch die Gehörnerven möglich; wgs die Gefühlsnerven
von den Schwingungen der Körper empfinden, sind Blosse Gefühle
der Bebungen und nichts dem Ton Äehnliches. Die Beispiele
sind zwar heut zu Tage nicht selten, dass man die verschiedene
Art, wie die-Schwingungen der Körpfer aut das Gehör und Gefühl
wirken, miteinander verwechselt. Ohne das lebendige Ohr giebt,
es in der Welt keinen Ton, sondern nur Schwingungen, ohne das
lebendige Auge in der Welt kein Hell, keine Farbe, kein Dunkel,
sondern nur die Oscillationen der imponderabein Materie des Lichtes
und ihren Mangel. * „ .
, VII. Ob die Ursachen der verschiedenen Lnergieen der Sinnesnerven
in ihnen selbst liegen, oder in Hirn und Riickenmarkstheilen,
zu welchen sie hingehen, ist unbekannt, aber es ist gewiss, dass die
Ceiitraltheile der Sinnesnerven im Gehirn, unabhängig von den JSer-
venleiiern, der bestimmten Sinnesempfindungen fähig sind.
Die specifisehe Reizbarkeit der Sinnesnerven für besondere
Reize muss wohl in ihnen selbst liegen, so z. B. dass Schwingungen
von der Schnelligkeit oder Langsamkeit, wie sie hörbar sind,
nur auf den Gehörsinn und Gefühlssinn wirken* dass rein mechani-
sehe Einflüsse auf, die Geschmacksnerven fast gar nicht zur Erregung*
des Geschmackes wirken u. dgl.. Aber die eigenthümlicke
Art der Reaction nach der Erregung eines Sinnesnerven kann auf
doppelte Art stattfinden, entweder dass das Sensoriuin an und
für sich gleich verschiedene Qualitäten von den Nerven aus erhält,
oder dass an und für sich ähnliche Schwingungen in den
Nerven andere -Qualitäten in dem Sensorium zur Pereeption bringen,
je nach den Eigenschaften der Organtheile des Sensoriuüis,
miUwelchen die verschiedenen Sinnesnerven in Verbindung stehen.
Diese Frage halten wir Vor der Hand für unauflöslich, sie hängt
mit einer andern zusammen, ob es einen qualitativen Unterschied
der sensoriellen, motorischen, organischen Nervenfasern giebt, ob
sie sich bloss durch die bestimmte Art der Strömung und Oszillation
des Nervenprineips in den verschiedenen Leitern unterscheiden,
oder ob die Verschiedenheiten ihrer NVirkung bloss duich
die Theile entstehen, zu welchen sie hingehen. Was sich vorläufig
hierüber besprechen lässt, ist im 3. Buch mitgetheilt worden.
So viel ist aber gewiss, dass gewisse Centraltheile des Gehirns
jedenfalls an den eigenthümlichen Energieen der Sinne
participiren; denn Druck auf das Gehirn bewirkt auch Lichtempfin—
düng, wie mehrmals schon gesehen wurde. Nach vollständiger
Amaurose der Nervenhaut sind noch leuchtende Phantasmen aus
innern Ursachen möglich. Siehe die Beispiele in meiner Schrift
über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Cobl. 1826. Alexander
v. Humboldt galvanisirte einen Mann, dem das Auge
ausgelaufen war, er sah Lichterscheinungen auf der blinden Seite.
D ieige:reizte Muskel u n d N e rv en fa se r T. II. 444. Lincke
[de fungo medullari Lips. 1834.) erzählt einen F a t, wo bei einem
Kranken einen Tag nach der Exstirpation eines fungösen bulbus
oculi allerlei subjective Lichterscheinungen entstanden, die ihn so
quälten, dass er auf den Gedanken kam, als sähe er diess alles mit
wirklichen Augen (wie die Gefühle der Amputirten). Indem ei das
gesunde Auge .schloss, sah er verschiedene Bilder vor seiner leeren
Augenhöhle, umherschweifen, als Lichter, Feuerkreise, xiele
tanzende Menschen. Dieser Zufall dauerte einige Tage.