
Uebergang der Vorstellungen, wie er bei dem Eindruck des Lächerlichen
stattfindet, jene Entladung bewirkt, die sieb dann in
den Gesichtsmuskeln und Athemmuskeln äuSsert.
Hieher gehört auch das Gähnen, insofern es durch die Vor-
steliung des Gähnens oder durch das Hören oder Sehen des
Gähnens veranlasst werden kann. Die Disposition zu den respiratorischen
und Gesichtsbewegungen des Gähnens ist nämlich dann
schon vorher da gewesen; sie tritt in Erscheinung, indem durch
die Vorstellung die Bewegung des Nervenprmc.ps die bestimmte
Direction erhält. Auch hei dieser Bewegung wirken die üespi-
rationsnerven und der N. facialis sowohFmit seinen Gesichtsasten,
als dem sich über den Musculus digastricus verbreitenden Aste.
Plötzlich hervorgernfene Vorstellungen von iurchtharen oder ver^-
abscheuungswürdigen Gegenständen erregen, auch wenn sie durch
blosse erdichtete Erzählungen hervorgerufen werden, bei reizbaren
Menschen zuweilen die Muskelbewegung des Schauders, und
dasselbe geschieht zuweilen hei der blossen Vorstellung eines
ekelhaften Arzneistoffes; ja die Vorstellung des ekelhaften Geschmackes
kann sogar Vomiturition hervorbringen.
B Bewegungen durch Leidenschaften.
Der respiratorische Theil des' Nervensystems ist auch vorzugsweise
der unwillkührlichen Bestimmung durch leidenschaftliche
Seelenzustände unterworfen. Es bestätigt sich hier wieder,
dass jede söhnelle Veränderung im Gehirn , welche auf die Medulla
oblongata sich fortpflanzt, sogleich den Modus der Athem-
hewegungen, die Wirksamkeit aller Athemnerven mit Einfluss
des respiratorischen Nerven des Gesichts verändert. Die Natui
der Leidenschaften, welche Spinoza im 3. und 4. Theil seiner
Ethik aufgeklärt hat, wird erst im 6. Buch dieses Handbuchs untersucht
werden. Man kann hier nur so viel erwähnen, als zum
Verständniss des Folgenden nöthig ist. Der Grund aller Ge-
müthshewegung ist nack Spinoza, dessen unübertrefflicher und
von Niemand erreichter Zergliederung der Leidenschaften wir
durchaus folgen, das Streben der Seele, einen bestimmten Zustand
zu behaupten, und was diesem Zustand gemäss ist, zu erzielen.
'Wird diese beständig in der Seele vorhandene Affirmation
was ihrem jedesmaligen Zustand nützlich ist, zu behaupten,
durch ein Object gefördert, so ist die Gemütsbewegung F r en de,
und indem das Object, was so wirkt, « was für nützlich und^in
diesem Sinne gut gehalten wird, bald höherer, bald niederer Art
und nach seiner Natur wieder sehr verschieden ist, entstehen
verschiedene Leidenschaften, deren Grundzustand allgemein derselbe
ist; und welche bloss nach dem Object, welches.dem Be-
harruhgsstreben der Seele angemessen ist, verschieden sind. Alle
Gemütsbewegungen oder Leidenschaften dieser Art kann man
reizende, incitirencle nennen. Wird hingegen die beständig in
der Seele vorhandene Affirmation, einen bestimmten Zustand,
den sie «'für nützlich, gut hält, zu behaupten, durch irgend
etwas gehemmt, so ist die Gemüthshewegung N ied e rg e sch la g
e n h e it, und je nachdem das Object, was für gut gehalten
wird, verschieden ist,^entstehen aus dieser zweiten Grund-
I leidenschaft wieder verschiedene Gemüthsbewegungen. Das Streben
selbst, das für gut und einem gewissen Seelenzustande für
"zweckmässig Erscheinende zu erzielen, ist das Begehren, welches
t wieder nur nach seinen Objecten verschieden ist. Viele Leiden- 1 schaften sind zusammengesetzt, theils durch den Kampf mehrerer
der obigen elementaren Gemüthsbewegungen, theils durch die
I Objecte. S pinoza hat sie sämmtlich nach einer mathematischen
Methode analysirt und eine Art Statik der Leidenschaften gegründet,
welche uns mit der grössten Bestimmtheit zeigt, was
bei einem Menschen in dem Conflict der Leidenschaften gesche—
I hen muss, so lange er, als bewegt und unfrei gedacht wird. Die
I kalte Vernunft allein wirkt allen Leidenschaften zugleich entge-
igen, sie allein affirmirt nur das Vernünftige, der Seelenzustand
l i n der Leidenschaft nur das augenblicklich für zweckmässig, nütz-
| lieb, für relativ gut Gehaltene, welches in Beziehung auf dieFor- jffl derungen der Vernunft bald gut, bald auch schlecht seyn kann.
Dass das affective Princip in einer besondern Provinz des
Sensoriums residire, von wo aus es seine Wirkungen ausstrable,
I lässt sich bei dem Mangel aller Gründe weder beweisen, noch
II widerlegen. Die Wirkungen erfolgen übrigens nach allen Rich-
Iftungen der motorischen Leiter," welche je nach dem Zustande I der Leidenschaft entweder exCitirt oder geschwächt und gar pa-
1 ralysirt werden.
In den excitirenden Leidenschaften erfolgen Spannungen und
H oft selbst convulsivische Bewegungen, namentlich der von den
a respiratorischen Nerven und dem N. facialis abhängigen Muskeln.
ÏNicht allein wird das Gesicht verzerrt, auch die Athembewegun-
Ägen werden bis zum Weinen, Seufzen; Schluchzen verändert.
tt.Jede heftige Leidenschaft; von was immer1 * für einer Art, kann
H Weinen und Schluchzen hervorbringen. Mart kann vor Freude, 1 Schmerz, Zorn,4Wuth weinen, ln den deprimirenden Leiden-
I schaften, wie in der Angst, in der Furcht, im Schrecken sind
Balle Muskeln des ganzen Körpers abgespannt, indem der motori-
B sehe Einfluss des Gehirns und Rückenmarkes' abnimmt. Die
Fiisse tragen nicht, die Gesichtszüge werden hangend, das Auge
'$ starr, der Blick wie gebannt und kaum der ausweichenden Bell
wegung fähig, die Stimme wird unterdrückt und vergeht. Manche
gl Gemüthsbewegungen sind gemischt, indem die Seele von einer
|| deprimirenden Vorstellung nicht frei werden kann, aber das
| | Selbsterbaltungsstreben excitirend wirkt auf Entfernung der bedrängenden
Einflüsse. In diesen gemischten Leidenschaften kann
der Ausdruck der Abspannung in gewissen Muskeln, namentlich
S des Gesichts, mit der Thätigkeit anderer verbunden seyn; mögen
II nun die durch Abspannung géwisser Muskeln frei gewordenen
i; Antagonisten die Gesichtszüge in einer Richtung bewegen oder
>3 diese Muskeln selbst cönvulsivisCh bewegt werden. Oft auch,
fa sowohl in den gemischten als in den deprimirenden Leidenschaf-
ten, tritt ein Zittern, Beben einzelner Gesichtsmuskeln ein. Die
11 willkührliche Bewegung eines in der Leidenschaft halb gelähmten
Muskels wird auch zitternd werden müssen, weil er nicht mehr
I ganz dem Einflüsse des Willens gehorcht. Wir erfahren diess na