
I lf. Abschnitt. Von der Gebur t und den Entwik-
kelungen naeh der Geburt.
I. Capitel. Von d e r Geburt,
a. Geburt.
Neun Sonnenmonate oder zehn Mondesmonate vollenden die
Entwickelung der menschlichen Erucht. Während dieser Zeit
dient der Uterus der Wechselwirkung mit dem Kind und seiner
eigenen plastischen Ausbildung, und in seiner Substanz entstehen
immerfort neue Muskelfasern in der Weise, wie beim Embryo
zuerst Muskeln entstehen; daher man zu dieser Zeit alle Em-
wickelungsperioden des Muskel fleisch es zusammen im Uterus beobachten
kann. Seine Muskelkraft ruht. Nach vollendeter Entwickelung
wird diese Wechselwirkung aufgehoben, das Kind ist
selbstständig geworden, ist dem Uterus ein fremder Körper und
dessen Muskelkraft reagirt dagegen durch Zusammenziehungen,
welche die Geburt bewirken. Diese Reactionen im Uterus treten
aber auch dann auf, wenn das Kind ausser ihm liegt, bei der
Graviditas extrauterina, wenn die Wechselwirkung der Mutter
und des Kindes sich löst. Die Zusammenziehungen, mit einem
heftigen Druck auf lebende Theüe verbunden, sind meist schmerzhaft,
W eb en , sie wiederholen sich rhythmisch von Zeit zu Zeit,
doch hört auch in den Pausen der Wehen die Zusammenziehung
nicht ganz auf und bleibt der Uterus vielmehr um den Inhalt
angelegt. Nach der Geburt dauern sie in gleicher Wiederholung
noch eine Zeit lang fort, Nachwehen. Bei Personen, die vor
der Geburt verstorben sind, erfolgen die Contraetionen nicht
selten noch nach dem Tode und haben die Geburt nach dem
Tode zur Folge. Diese Contraetionen scheinen vom Muttermunde
her zu beginnen, gegen* den Grund fortzuschreiten und wieder
zum Muttermunde zurückzukehren, wodurch der Inhalt anfangs
gehoben, dann immer tiefer gegen den Muttermund hingetrieben
und die Lippen desselben oder der Sphineter uteri membranartig
verdünnt und erweitert werden. Bei diesen Bewegungen wirken,
wenn sie heftiger werden, wie bei der Harnausleerung und bei
der Entleerung der Excremente die Muskeln der Rumpfwände
mit, indem sie die Bauchhöhle von oben (Zwerchfell), von den
Seiten und von vorn (Bauchmuskeln) zusammenpressen. Die
Bewegungen der willkürlichen Muskeln treten, bei heftigen Zusammenziehungen
unwillkürlich ein nach dem Gesetz der Mitbewegungen
und reflectirten Bewegungen, denn zu beiden sind die
Ursachen vorhanden, heftige Bewegungen und heftige Empfindungen
im Uterus. Zugleich tritt noch in vielen anderen Muskeln
des Rumpfes ein Nisus zur Mitanstrengung ein, die Extremitäten
stemmen sich, der Athem wird angehalten und die Arme
ergreifen Alles, was im Stande ist einen Anhaltspunkt zum Druck
zu liefern.
Mechanismus der Geburt. 761
Die Lage der Frucht ist gegen das Ende der Schwangerschaft,
während die Gebärmutter im letzten Monat der Schwangerschaft
sich herabsenkt, so, dass ein Kindestheil, meist der Kopf
des mit seiner Längsachse der Längsachse des Uterus entsprechenden
Kindes, dem Muttermund sich anlagert oder sich zur Geburt
stellt. Das Kind hat die Kniee angezogen, die Arme an die
Brust angelegt und den Kopf gegen die Brust geneigt. Bei der
Geburt folgen die in das Becken eindringenden Kindestheile mit
ihrem grossem Durchmesser den grös'sern Durchmessern der verschiedenen
Beckenregionen, sie erhalten daher eine schraubenförmige
Bewegung. Bei den häufigsten Geburten, den Kopfgeburten
ist diese gewöhnlich folgende. Der gerade Durchmesser
des Beckeneinganges lässt das Eintreten des grossen Durchmessers
des Kopfs ebenso wenig als die Breite der Hüften des Kindes in
dieser Richtung zu, wohl aber ist das Eintreten des Kopfes mit
seinem grossem Durchmesser in dem queren und schiefen Durchmesser
des Beckens gestattet. Die Geburt beginnt mit dem Eindringen
des grossen Kopfdurchmessers in den schiefen Durchmesser
des Beckeneinganges. Indem sich der Kopf unter fortdauernden
"Wehen durch das Becken bewegt, geht der grosse
Durchmesser des Kopfes in den geraden Durchmesser der Beckenhöhle
ein, so dass bei der gewöhnlichsten Art der Kopfgeburt,
Scheitel und Hinterhaupt nunmehr unter den Schossbogen gera-
then während das Gesicht der Aushöhlung des Kreuzbeins zugewandt
ist. Bei der Krümmung des Beckenkanals beschreibt der
an der vordem Beckenwand herabsteigende Theil des Kindes
einen kleinen, der an der hintern Wand des Beckens herabgleitende
Theil einen grossem Raum.
Die Geburt wird gewöhnliche m mehrere Perioden getheilt.
Die erste umfasst den Zeitraum von dem Beginn der Wehen bis
zur Eröffnung des Muttermundes, die zweite von da bis zur Zer-
reissung der Eihäute. Nach Eröffnung des Muttermnndes ragt
nämlich ein Theil der Eihäute mit Liquor amnii blasenartig vor;
diese Blase zerreisst und die Flüssigkeit fliesst ab. Die dritte
Periode umfasst den Zeitraum von dem Zerspringen der Blase,
dem Wassersprimg, AK zn dem Einschneiden des Kopfes in die
äusseren Geburtstheile. Während dieser Zeit wird der Kindestheil
durch den geöffneten Muttermund in die Scheide herahbewegt. In
der vierten Periode dnrchschneidet der Hinterkopf die äusseren
Geburtstheile, worauf die übrigen Theile des Kindes folgen, so dass
wieder die Schultern im schiefen Durchmesser des Beckeneinganges
eintreten und im geraden der Beckenhöhle austreten. In der
letzten Geburtsperiode wird die Nachgeburt, Placenta und Eihäute
geboren, indem nach erfolgter Geburt des Kindes die Zusammenziehungen
des Uterus fortdauern, und durch Zusammendrängen
der Verbindungsstelle der Placenta die Lostrennung mit
Erg uss von Blut aus den zerrissenen Gefässen bewirken. Diese Lösung
und der Abgang der Placenta erfolgt innerhalb einer halben
bis ganzen Stunde nach der Geburt des Kindes, so dass innerhalb
6 — 12 Stunden meistens alle Geburtsperioden abgelaufen
sind, Nach dem Abgang der Nachgeburt zieht sich der Uterus