
schiedene Theile der Retina nacheinander einer und derselben
Beleuchtung auszusetzen. Alle Theilchen der Retina stehen in
Beziehung mit bestimmten Contractionsgraden der Muskeln, und
so Sei durch die Erziehung die Beleuchtung und Empfindung an
bestimmten Stellen der Netzhaut stillschweigend an das Bewusst-
seyn der jenen Stellen ungehörigen Contractionsgrade geknüpft.
Bei einer weitern Zergliederung dieser Vorstellung findet sich
indess leicht, dass sie etwas rein unmögliches voraussetzt. Denn
wenn nicht die einzelnen Theilchen der Retina in der Qualität
der Empfindung von Natur verschieden sind,: so lassen sie
sich auch nicht von einander als verschieden wiedererkennen,
und ohne diese Unterschiede der Qualität lässt sich kein Con-
traetionsquantum mit einem Theilchen der Retina in der Erinnerung
combiniren. In der That nimmt auch T ourtual, welcher
die unmittelbare Empfindung der räumlichen Ausdehnung des
Organismus läugnet, an, dass die Seele von allen Theilen des
Körpers Empfindungen erhalte, die in dem Wie der Empfindung
verschieden sind, und dadurch entstehe die Unterscheidung verschiedener
Theile des Körpers. Bedenkt man aber, dass ein neu-
gebornes Thier sogleich Anschauungen vom räumlichen Nebeneinander
durch den Gesichtssinn hat und Bilder wahrnimmt,
indem es auf die Zitzen der Mutter hingeht, so glaube ich
lässt sich die Thatsache nicht bestreiten, dass vor aller Erziehung
räumliches in der Retina als räumliches wahrgenommen
werde. Hat aber die Seele das Vermögen, das räumliche Nebeneinander
des Körpers zu unterscheiden, so ist es unbegreiflich,
wie eine bloss in einem Puncte existirende Monade dazu kommen
soll. Möge sie sich auch über alle Theilchen der Retina hinbewegen
können, und durch die Exeursionen nach allen Richtungen
sich eine Summe aus ihren- eigenen Veränderungen bilden, so
entspricht doch das Simultane in einer Empfindung, die Möglichkeit
der unmittelbaren Auffassung einer bestimmten flächenhaften
Ausdehnung einer Empfindung nicht wohl dieser Ansicht. Wenn
dem so ist, so ist auch die Ansicht wahrscheinlicher, dass die
Seele in der ganzen Organisation des Gehirns zugleich wirksam
sei, ohne selbst aus Theilen zusammengesetzt zu seyn, und dass
sie die Unterschiede des P.äumlichen in den Sinnen durch ihre
allgemeine Gegenwart wahrnehme. Wir müssen uns aber wohl
hüten, dieses für eine Erklärung zu halten. Denn es bleibt hierbei
immer unbegreiflich, wie das sieh berührende materielle der
Sinne, welches jedenfalls allen räumlichen Anschauungen des sinnlich
Empfundenen zu Grunde liegt, als aussereinander vorgestellt
werde. Auch wenn ich mir bildlich denke, dass die sich berührenden
materiellen Theilchen in der empfindlichen Substanz der
Sinnesorgane in die Vorstellung als sich gegenseitig abstossende
Punete, wovon andere andere abstossen, aufgenammen werden,
so ist diess eben nicht mehr als ein Bild, und der Uebergang
von organisirten Theilchen zum Vorstellen ist noch ebenso schwer
öder nicht zu begreifen, wie das-Verhältniss der Seele zur Organisation
überhaupt-
Es ist leicht zu sagen, den Knoten zerhauend, dass Organisation
tind innere Kräfte des Vorstellens nur verschiedene Namen
für eine und dieselbe Sache seyen, dass Materie und Geist durch
die Art der Auffassung eines und desselben Dinges uns verschieden
scheinen, es aber nicht sind. Aber das Gehirn bleibt
immer eine Vielheit von organisirten Theilen, und in dieser Hinsicht
ein äusserst zusammengesetzter Mechanismus, der zum bloss
latenten Zustand der Existenz der Seele im Keime nicht nöthig,
zu ihren Wirkungen auf die Organisation aber nöthig i s tu n d
der Gebrauch dieses auf das feinste gegliederten Mechanismus
durch die Seele bleibt gleich unbegreiflich.
Indem ich rnich an dieser Stelle bescheide klare Begriffe über
Dinge zu geben, die einmal für immer allem physiologischen Forschen
entzogen sind, und die, wenn sie irgend möglich, von der
Philosophie aufzustellen sind, habe ich es gleichwohl für die Aufgabe
des Physiologen gehalten, den mit anderen Wissenschaften
zusammenhängenden Stoff, so weit es auf unserm Gebiete möglich
ist, zu zergliedern und die Resultate der speculativen Forschungen
zur Erzielung einer künftigen Näherung prüfend zu vergleichen.
Ich verweise bei dieser Gelegenheit nochmals auf die im Anfänge
dieses Abschnittes erörterten cosmologischen Systeme, welche mit
der zuletzt erörterten philosophischen Monadenlehre den Kreis
der möglichen allgemeinsten Gedanken über diesen Gegenstand
durchlaufen.
II. Capitel. Phänomene d er W ech se lw irk u n g .
Wenn einmal durch die Wirkung des Keims die Structur
des Gehirns erzeugt ist und die Sinne zu wirken anfangen, so
entstehen auch Vorstellungen oder geistige Wirkungen, und
wie man Licht hervorrufen kann an einem Körper durch Stoss
und Veränderung seines körperlichen Zustandes, so können auch
die geistigen Wirkungen durch Veränderung der Organisation des
Gehirns und Veränderung der Materie, welche in die Structur
eingeht, verändert werden. Nicht minder verändern die geistigen
Wirkungen, mit denen die Organisation des Gehirns gleichsam
gleichen Schritt hält, auch die Organisation des Gehirns und
die Materie, und diesem zufolge auch die Organisation in allen
übrigen, vom Gehirn beherrschten, belebten Körpertheilen. Die
Vorstellungen und Gedanken sind nicht aus Theilen zusammengesetzt,
erfolgen aber an der theilbaren organisirten Materie, und
die Klarheit der Vorstellungen hängt von der Beschaffenheit des
Theilbaren durchaus ab.
Hieraus ergiebt sich, dass alle Wirkungen der Seele auf den
Organismus, zunächst durch Wirkungen auf die Organisation des
Gehirns, an welchem die sonst latenten geistigen Kräfte actu erscheinen,
und vom Gehirn auf den übrigen Körper wie Irradiationen
erfolgen und dass jedes Organ, in so fern es durch das von
ihm kommende Blut und seine Nerven auf das Gehirn wirken
kann, auch Einfluss auf die Vorstellungen und das Vor stellen
haben muss.