
76' IV. Buch. Bewegung. II. Absekn. V'. den verschied. Muskelhewegg.
sie liest in dem Eindrücke des arteriellen Blutes auf diesen so
höchst reizbaren Theil des Nervensystems. Dass die Empfindung,
der atmosphärischen Luft in den Lungen, und das in den
Lunsen empfundene Athembedürfniss ■weder beim ersten Ath-
men, noch spater die Ursache seyn kann, gebt aus den von mir
anghstelj'tcn Versuchen hervor, wo ich diese Empfindungen heim
Kaninchen durch Durchschneidung des N. vagus auf beiden Seiten,
durch Durchschiieidung auch des höher entspringenden Ramus
laryngeus superior auf beiden Seiten, tja durch gänzliche Ablösung
des Kehlkopfes unmöglich machte,1 und der Rhythmus der
Athembewegungen viele Stunden bis zum Tode des Thieres fortdauerte'.
Die Theorie von Ktkd, dass hingegen der Reiz der
atmosphärischen Luft auf die Hautnerven, der auf das Rückenmark
geleitet werde, das Athmen als Reflexionsbewegung errege,
ist nicht sehr wahrscheinlich. Ein von der Haut ganz befreiter
Frosch atlimet ungestört fort. Ein Frosch athmet gleich gut mit
dem Kopfe in der Luft, mag die Haut seines Körpers von Wasser
oder Luft umgehen seyn. Wäre der Hautreiz von Wasser
zur Incitation der Athembewegungen hinreichend, so müsste auch
der Fötus der Säugefhiere im Uterus Athembewegungen machen.
Es ist daher offenbar, dass die Ursache des ersten wie fernem
Athmens eine 'solche ist, welche auf den Fötus night wirken
konnte und nach der Geburt sogleich auf das Kind wirkt,
und diese Ursache liegt nicht in dem Empfindungsreize der atmosphärischen
Luft wéder auf die Lungen, noch auf die Haut.
Sie kann keine andere se^n als das arterielle Blut, welches bei
dem ersteujEindringen der Luft in die AthemWerkzeuge entsteht,
und in weniger als einer Minute ‘‘schon bis zum Primum movens
aller Athembewegungen im Gehirne, zur Medulla oblongata gelangt
und diese zu Entladungen des Nervenprincips in die vori
ihr abhängigen Bahnen der respiratorischen Nerven erregt. Dass
diess die fortdauernde Ursache der Athembewegungen während
des ganzen Lebens ist, ergiebt sieh sehr schön aus den von mir
angestellten Versuchen mit Fröschen, die ich einige Stunden in
Wasserstoffgas athmen liess, Wobei sie nach einiger Zeit zu athmen
aüfhörtën, obgleich sie noch lebten. Ihre Atbembewegungeü
treten anfangs wieder auf kurze Zeit ein, wenn man sie rüttelt in
dem verschlossenen Gefassé, später werden die Tbiere scheintodt.
Nimmt man sie pach 2— 3 Stunden aus dem Gefässe an die atmosphärische
Luft heraus, so scheinen sie wie vollkommen todt;
keine Spur von Bewegung oder Empfindung ist an ihnen zu bemerken.
Man lege nun ibr Herz bloss. Schlägt es gar nicht
mèhr, so leben sie auch nicht mehr an der atmosphärischön Luft
auf. Schlägt es noch, wenn auch in sehr grossen Pausen, von
U-—LMinute, so lasse man den Frosch nur liegen; er lebt in
der Regel wieder auf, ohne alle Reizung von aussén, als die all—
mählige Oxydation des Blutes in den Lungengefässen, deren Mangel
die Ursache des Scheintodes war. Das mit Oxygen geschwängerte
Blut kömmt, so schwach und so selten die Herzschläge
auch seyn mögen, doch zuletzt wieder ins Gehirn, zur Medulla
oblongata; die Medulla oblongata fängt wieder an das Nervenprincip
auszuströmen. Die ersten Spuren des Wiederauflebens
zeigen sich an dem ganz ruhig in der atmosphärischen Luft liegenden
Frosch,;! daran, dass er auf Kneipen der Haut die Extremitäten
einzieht; nach einiger Zeit sieht man ihn von Zeit zu
Zeit athmen, und nach einigen Stunden sitzt er frisch wieder da.
Also die Ursache der ersten und dauernden Erregung der Medulla
oblongata zur Entladung des Nervenprincips nach den respiratorischen
Muskeln ist das arterielle Blut. >,
2. Was ist der Regulator des Rhythmus der Athembewegun-
opn? Die/ Incitation der Medulla oblongata durch das arterielle
Blut ist continuirlich, und wenn auch das Blut, isochronisch mit
dem/Herzschlag, mit stärkerem Impuls in die kleinen Arterien
strömt, , so steht doch diese stossweise verstärkte Bewegung iu
keinem Verhältnisse mit den Perioden der Athembewegung. Wie
gellt nun die beständige Erregung der Medulla oblongata in die
periodische Bewegung des Nervenprincips, von dieser aus über :
Die Frage scheint anfänglich auch durch eine ähnliche Supposi-
tiop löslich, wie bei den automatischen Bewegungen des organischen
Systems. Befindet sich in der Medulla oblongata irgend
eine Isolation, wodurch das sich dort entwipkelnde Nervenprineip
aufgehalten wird, sich in dem Maasse zu entladen, als. es durch
die Wirkung des arteriellen Blutes auf die Nervensubstanz entbunden
wird, so wird sich dasselbe bis zu dem Momente anbäu-
fen, wo es die Isolation durchbricht und in die respiratorischen
Nerven übergeht. Eine andere Lösung der Frage würde sich
auf die Thatsache gründen, dass' entweder die, Fähigkeit eines
Nerven, einen Strom oder eine Schwingung des Nervenprincips
zu leiten, oder die Fähigkeit der Muskeln, dem vorhandenen
Nervenimpuls zu gehorchen, pine begrenzte äst und nach einer gewissen
Zeit so lange auf hört, bis sich diese Fähigkeit durch den Le-
bensprocess in den Capillargefässen wieder hergestellt hat. In
den Muskeln, der Extremitäten ist diese Fähigkeit offenbar viel
grösser, als in den Muskeln, welche dem Athmen dienen; wir sehen
diess an der Dauer der willkührlichen Bewegungen. Wir
können sehr lange stehen, ein Gewicht tragen, aber nur kurze
Zeit einathmen, nur kurze Zeit ausathmen. Wollen wir das Eine
oder Andere länger fortsetzen, so fühlen wir die Grenze der will-
kührlichen Anstrengung. Jede Muskelbewegung kann aber die
längste Zeit fortgesetzt werden, wenn sie mit anderen- Bewegungen
abwechselt. Es fehlt hier nicht an dem Nervenprincip, denn
es wird zu anderen Bewegungen verwandt; es fehlt entweder an
der (Leitungsfähigkeit der Nerven oder Contractionskraft der
Muskeln, wovon die eine oder die andere oder beide vielleicht
durch die Bewegung erschöpft werden. Die regelmässige Aufeinanderfolge
von Einathmen und Ausathmen, die regelmässige Folge
von 3 Momenten bei den Fröschen deuten ziemlich deutlich an,
dass weder die erstey noch die zweite Erklärungsart hinreicht,
dass vielmehr in der Medulla oblongata eine unbekannte Ursache
bewirkt, dass nach jeder Bewegung des Nervenprincips nach den
Inspiratoren, jedesmal die Bewegung desselben nach den Exspira-
toren erfolgt, und umgekehrt, so dass die eine Direction, wie beim