
oder weniger überzeugend. Unter Intensität oder Heftigkeit der
Meinungen verstehen wir daher hier nur ihre individuelle in
dem strebenden Eigenleben motivirte leidenschaftliche Grösse,
Quantität der Vorstellung. Je grösser das Misbehagen ist, das
eine unangenehme Vorstellung erregt, desto mehr ist diese Vorstellung
fähig verwandte Vorstellungen anzuziehen. Durch die Leidenschaft,
die das Unangenehme hervorbringt, wird das Unangenehme
noch unangenehmer und durch das Vorstellen des Unangenehmen,
wieder die Leidenschaft grösser. Indem daher die
Seele von der Vorstellung des Hindernisses auf die Vorstellung
der Hemmung ihrer seihst, und von dieser auf jene und so abwechselnd
übergeht, muss nothwendig die Vorstellung von der
Beschaffenheit des Unangenehmen zu einer ganz unadaequäten
Grösse wachsen. Hierdurch ist sie aber unfähig durch Gegengründe
ins Gleichgewicht gesetzt oder corrigirt zu werden. Daher
ist es oft unmöglich einen leidenschaftlichen von der Beschaffenheit
objectiver Dinge zu überzeugen, als durch vorausgehende
Beruhigung der Leidenschaft oder Befreiung der Seele von einer
Hemmung oder allzugrossen Erweiterung des Eigenlebens. Diess
wird am leichtesten auf Umwegen vollbracht. Denn alles auch
noch so verschiedene beruhigt, was das beschränkte Selbst wieder
erweitert. Sobald die Beruhigung vollbracht ist, sind die Vorstellungen
aus ihren intensiven Grössen auf ihre natürlichen
Grössen herabgesunken, und sind dem einfachen Gleichgewicht
des Gegensatzes d. h. der Gegengründe unterworfen. . Eine intensiv
oder leidenschaftlich gewordene Meinung, kann also auch
durch eine leidenschaftliche Meinung aufgehoben werden. Ist
man geneigt, weil Jemand uns unangenehmes erzeigt, leidenschaftlich
uud ohne hinreichende Gründe diesen für schlecht zu
halten, zu hassen, so reicht eine uns durch dieselbe Person erzeugte
Freude hin, wenn sie gross genug ist, uns völlig zu beruhigen,
indem sie uns mit nicht besseren Gründen bestimmt, diese
Person für gut zu halten. Hier wird eine intensive Vorstellung
durch die andere aufgehoben. Beispiele; von der bis zum lächer-
chen gesteigerten intensiven Grösse, welche die Meinungen von
den Leidenschaften erhalten, liefert die Eifersucht der Liebenden.
Die Leidenschaften mischen sich in die edelsten wie unedelsten
Bestrebungen der Menschen, und ertheilen überall den Vorstellungen
intensive Grösse zum Handeln oder zum Durchsetzen geistiger
Richtungen, zum Absolutismus, zum Umwälzen und Gegen-
umwälzen. Mit den Menschen identisch gewordene Lebensansichten,
Waturansichten, religiöse Ansichten bringen sie auf leidenschaftliche
Bestrebungen für die von ihnen erkannten Wahrheiten.
Der Mysticismus besteht in einer solchen. einseitigen Richtung
der Vorstellungen und Verdunkelung des richtigen Gegensatzes
derselben, welche daraus entsteht, dass man nur ausschliesslich
denjenigen Vorstellungen von höheren Dingen nachgeht,, welche
dem stabilen Eigenleben angenehm sind, und diejenigen meidet
und hasst, welche unangenehm sind. Hier wird die Richtigkeit
der Vorstellungen durch die Intensität derselben neutralisirt. Der
Fanatismus ist ganz verwandt und greift handelnd ein.
Soviel über die allgemeine physiologische Begründung der
Leidenschaften, so weit sie uns klar geworden ist. In Hinsicht
der statischen Verhältnisse der Leidenschaften unter sich ist es
nicht möglich, etwas Besseres zu liefern, als was S pinoza mit unübertrefflicher
Meisterschaft gelehrt. Ich muss mich daher darauf
beschränken, in Folgendem die dahin gehörigen Lehrsätze des
Spinoza mitzutheilen. Es muss bemerkt werden, dass diese Statik
bloss insofern ein nothwendiges Gesetz ausspricht, als der Mensch
allein von Leidenschaften bewegt gedacht werden kann, dass sie
dagegen durch die Vernunft der Menschen modificirt wird.
Lehrsätze von S pinoza
über die Statik der Gemüthsbewegungen.
Ethik. 3. Theil.
Der Geist sucht, so viel er vermag, das vorzustellen, was das
Vermögen der Thätigkeit des Körpers vermehrt oder erweitert.,
Wenn der Geist das sich vorstellt, was das Vermögen der
Thätigkeit des Körpers vermindert oder hemmt, sucht er, soviel
er vermag, die Dinge in das Gedäclitniss zu rufen, welche das
Daseyn von jenem ausschlies'sen, Hieraus folgt, dass der Geist
sich weigert das vorzustellen, was sein und des Körpers Vermögen
vermindert oder hemmt.
Wenn der Geist einmal von zwei Gemüthsbewegungen zugleich
erregt war, wird er, wenn er nachher von einer derselben
erregt wird, auch von der andern erregt werden.
Jedes Ding kann zufällig Ursache der Lust, Unlust oder
Begierde seyn. War der Geist zugleich von zwei entgegengesetzten
Gemüthsbewegungen erregt, nämlich von zwei Vorstellungen,
wovon die eine Lust, die andere Unlust hervorbringt, so
wird er hernach, wenn eine derselben wiederkehrt, zugleich von
der entgegengesetzten erregt werden. Die erste wird dann zufällig
Ursache der Lust und Unlust.
Daher können wir bloss deshalb, weil wir ein Ding mit der
Bewegung von Lust oder Unlust betrachtet haben, wovon es selbst
nicht wirkende Ursach ist, es lieben oder hassen. Daraus folgt:
Bloss deshalb, weil wir uns vorstellen, dass ein Ding etwas
ähnliches mit einem Gegenstände hat, welcher den Geist, mit Lust
oder Unlust zu erregen pflegt, werden wir es lieben oder hassen,
wenn auch das, worin das Ding dem Gegenstände ähnlich ist,
nicht die wirkende Ursache jener Bewegungen ist.
Wenn wir uns vorstellen, dass ein Ding, welches uns mit
der Gemüthsbewegung der Unlust zu erregen pflegt, etwas ähnliches
hat mit einem andern, welches uns mit einer eben so grossen
Bewegung von Lust zu erregen pflegt, so werden wir es Ire—