
unter welchen sich das ihr einwohnende latente Princip des Lehens
in der bestimmten Form des organischen Körpers äussern-muss.
So wird dann die Vermehrung der organischen Kraft zu einem
Multiplum durch das Wachsthum und die Fähigkeit der Thei-
lung einsichtlich. Alles Lebendige aber, was vergeht, verliert
bloss die Bedingung zur Aeusserung des Lebens in der bestimmten'Form,
und die lebensfähige und beseelte Materie geht wieder
in den Schooss der Natur zurück.
So ausgedrückt würde jene zugleich pantheistische und materialistische
Ansicht von der Materie am reinsten und frei von
historischen Eigenthümlichkeiten ausgesprochen und so hingestellt
seyn, wie sie zur Erläuterung der vorher aufgestellten Probleme
geeignet ist. Mehr oder weniger eigentümlich gefärbte cosmo-
logische Lehren dieser Art finden sich bei den Naturphilosophen
Griechenlands H eraklit, Anaxagoras n. A. Der Letztere lehrte,
dass Alles aus Allem werden könne, und dass der Geist die Seele
aller Dinge und die Universalform aller Dinge sey.
H eraklit liess die belebten Wesen, das geistige Princip des
Weltalls durch das Athrnen und die Sinne in sich aufnehmen.
Aber keiner hat diese Grundansicht von der Welt klarer vorgetragen
als G iordano Bruno in seinem Werke Dialog hi de la causa,
principio et uno. Siehe die Uebersetzung dieses Werkes in R ixner
und S iber Leben und Lehrmeinungen berühmter Physiker am Ende des
16. und Anfang des 17. Jahrhunderts als Beiträge zur Geschichte
der Physiologie. V. Heft J ordahus Brunus. Sulzbach 1824 Die
folgenden Sätze aus jenem speculativen Werke mögen zu einem
Begriff von diesem cosmologischen System, welches sich in der
neuern Philosophie wiederholt und weiter entwickelt hat, genügen.
„D ie Weltseele erfüllt und erleuchtet das ganze Weltall und
unterweiset die Natur, die Gattungen und Arten der Dinge, wie
es seyn soll, hervorzubringen. Dieser schaffende allgemeine Verstand
verhält sich gerade so zur Hervorbringung der Naturdinge
wié sich unserVerstand in Hervorbringung der vorgestellten Gattungen
und Arten verhält.“ a. a. O. p. 4.
„Die Endursache, welche die allererste Ursache, die schaffende
Weltseele sich vorsetzt, ist die Vollkommenheit deS Alls,
die darin besteht, dass an verschiedenen Theilen und Massen der
Materie alle mögliche Formen verwirklicht seyen, an welchem
Endzweck sich der allgeméine Verstand so sehr ergötzt und gefällt,
dass er nimmer ermüdet, alle Arten von Formen aus dem
Schoosse der Materie hervorzurufen.“ a. a. O. p. 45.
„Eine Seele muss die allgemeine aller Dinge seyn, jene
Seele nämlich, die durch das ganze All über die gesammte Materie
herrscht, und welche an sich Ein e demnach nach der Verschiedenheit
der Gestaltsamkeit der Materie und der Fähigkeit
ihrer thätigen Kräfte verschiedene Dinge hervorbringt, die verschiedene
Fähigkeiten' zeigen. Einige nämlich leben ohne Empfindung,
je nachdem die geistigen Kräfte entweder ihrer eigenen
Schwachheit (?) wegen, oder aus andern Ursachen von der
überwiegenden Materie unterdrückt werden.“ a. a. O. p. 56.
„Daraus, dass jene Himmelskörper und die Natur überhaupt
nicht menschliches Denkvermögen oder Gedächtnis«' haben, folgt
uar nicht, dass 'sie? ohne allen Verstand oder Absicht hervorbringen
was sie hervorbringen; indem ja auch vollkommen ausgelernte
Musiker und Schreiber, obschon sie wenig oder gar nicht
auf das, was sie vollbringen, aufmerken, doch nicht gegen die Regeln
verstossen.“ a. a. O. p. 48. . . .
/. Ich sage also, dass die Tafel als Tafel nicht beseelt ist, noch
das Kleid als Kleid, noch das Leder als Leder, noch das Glas
als Glas, gleichwohl aber haben sie als Naturproducte und zusammengesetzte
Dinge nothwendig Materie und Form. Sei also
ein Ding so klein und geringfügig, als man will, so hat es doch
allemal "einen Theil der geistigen und begeistigenden Substanz an
sich, welche immer eine schickliche Grundlage ist, woraus Allerlei
werden mqg z. B. eine Pflanze, ein Thier, kurz ein Geist
findet sich in allen Dingen und es ist kein Körper so klein, der
nicht einen Theil der göttlichen, Substanz in sich enthielte, wodurch
er beseelt wird.“ a. a. O. p. 53.
Dem zu Folge sind also die Organismen Wirkungen der ersten
aller Ursachen, beseelte Körper, in welchen die Erscheinung
des Lebendigen und Geistigen in bestimmter Form durch
eine gewisse Structur und chemische Zusammensetzung bedingt
wird. Diese Structur ist durch keinen Zufall entstanden, denn
auch sie ist von dem schaffenden Geist Gottes ausgegangen und
der ideale Zusammenhang aller zu Classen, Familien, Gattungen,
Arten geordneten organischen Whsen schliesst schon allen Zufall aus.
Sobald aber die sogenannte todte Materie mit dem vorhandenen
Organismus in Wechselwirkung kömmt und von demselben in dieselbe'Structur
verwandelt und dem Lebensprincip des Oigamsmus
unterworfen wird, tritt auch die in ihr latent gewesene Fähigkeit
zum Lehen in einer bestimmten Form in Aeusserung und die
Form des Wirkens ist durch die schon vorhandene Organisation
in ihrer Grenze eingeschlossen. Auf diese Weise wird^ durch
das Aneignen der Mpterie von einem organischen Wesen, die organische
Kraft mit der angeeigneten und organisirten Materie vermehrt
und durch die Vermehrung der Kraft wieder eine Thei-
lung derselben möglich. Als'analoge Erscheinungen für die Aeusserung
des in der "Materie latenten allgemeinen Princips dey Lebensfähigkeit
wären dann die physicalischen Erscheinungen anzuführen,
bei welchen eine vorhandene aber füi die Erscheinung
latente Kraft, Electricität, Licht u. a. unter bestimmten Bedingungen
der Wechselwirkung der Körper in Erscheinung tritt.
Bei dieser Darstellung der pantheistischen cosmologischen
Lehre hat inan bloss-das .Allgemeinste im Auge gehabt. Die verschiedenen
Formen der hierher gehörigen philosophischen Systeme,
zu erörtern, liegt ausser dem Zweck dieser Darstellung, bei welcher
es überhaupt bloss, Aufgabe war, die beiden Hypothesen
durchzudenken, welche ausser dem Gebiete der erfahrungsmässi-
gen Physiologie, den Faden fortführen, wo er bei der empirisch
physiologischen Zergliederung nothwendig abgebrochen wird.