
I I . Abschnitt. Von der Entwickelung der Organe
und Gewebe des Fötus.
I. Capitel. E n tw ic k e lu n g d e r o rg a n isc h e n Systeme
und Organe.
Im vorhergehenden Abschnitte hatten wir uns zur Aufgabe
ein gedrängtes Bild der wichtigsten allgemeinen Bildungsvorgänge
und Entwickelungen im Eirund ihrer wesentlichsten Verschiedenheiten
in den verschiedenen ClaSsen gemacht. Dort haben wir
absichtlich vermieden, die XJebersicht des Ganzen durch die Menge
des Einzelnen zu erschweren. Jetzt wird nun die Entwickelung
der organischen Systeme im Einzelnen, so weit es sich für den
Zweck dieses Werkes eignet und allgemeine Resultate vorliegen,
zu verfolgen seyn. Die allgemeineren, sich über die Entwickelung
der verschiedenen organischen Systeme verbreitenden Werke
sind: B urdach’s. Physiologie, B. II. R athke, Abh. zur Bildungs- u.
Entwickelungsgeschichte. Leipz. 1832. 1833. v. Baer über Entwickelungsgeschichte
der Thiere. B. I. und II. V alentin, Entwickelungsgeschichte.
v. Ammon, die chirurgische Pathologie in Abbildungen,
H. 1. Leipzig 1838. Die hauptsächlichsten besonderen Schriften
über die Entwickelung einzelner organischer Systeme und Organe
sollen später namhaft gemacht werden.
Alle Entwickelung des Besondern aus einer ungesonderten
Grundlage setzt eine keimkräftige Bildungsmasse, Blastema, voraus,
welche in sich dasjenige noch potentia enthält, was durch die
Entwickelung actu daraus hervorgeht. So war der Reim potentia
selbst das ganze Thier und so verhält sich die erste Grundlage
eines Organes zu allen später daraus hervorgehenden Gewebe-
theilen, mit dem Unterschiede, dass der potentielle Keim sich
selbst bei dem Aneignen des Nahrungsstoffes genug ist und von
anderm nicht beherrscht wird, die Potenz eines Organes zur Entwickelung
seiner spätem Bildungstbeile aber durch die Kraft des
Ganzen, zu dem .es gehört, beherrscht wird und gleichsam dadurch
delegirt ist. Dieses Blastema eines werdenden Theiles verhält sich
also in seiner Abhängigkeit vom Ganzen ungefähr so, wie der
gewordene ausgebildete Theil zum Ganzen. Bei den niederen
Thieren wirkt dieser besondere Theil als delegirter Theil des
Ganzen so lange er mit dem Ganzen verbunden ist, kann aber
vom Ganzen und seinem herrschenden Einfluss getrennt, selbst
die Grundlage eines neuen Ganzen werden, wie wir bei den Hydren
und Planarien gesehen haben , siehe oben p. 593, und so
würde bei jenen einfachem Wesen wahrscheinlich auch das Blastema
eines Theils, welches von der Kraft eines sich entwickelnden
Wesens beherrscht wird, ein specielles zu bilden, diesem Einfluss
entzogen und von dem Ganzen getrennt, statt ein specieller Theil
zu werden;, vielmehr der Stock zu einem neuen Ganzen werden
müssen.
Unter Blastema dürfen wir uns aber nicht etwa bloss eine
weiche bildsame, gallertige, ganz structurlose oder nur aus Kügelchen
zusammengesetzte Masse denken, wie es dem blossen Auge und
bei geringen Vergrösserungen erscheint, vielmehr besteht dasselbe
nach den Untersuchungen von S chwann, theils aus Flüssigkeit, theils
aus Körnchen, die sich in Kerne von Zellen und Zellen selbst
verwandeln, theils auch schon gebildeten Zellen. Nur in diesem
Sinne ist es im Folgenden zu verstehen, wenn, ohne jetzt in das
Zellenlehen bei der Bildung der einzelnen Theile einzugehen,
vom Blastema der verschiedenen organischen Systeme die R.ede ist.
1. W i r b e l s ä u l e u n d H i r n s c h ä d c l .
Die von G. Cuvier, C. A. S. Schultze , v. Baer und mir beschriebenen
perennirenden Zustände der Wirbelsäule bei mehreren
Fischen bieten sehr merkwürdige Vergleichungspuncte mit
dem fötalen Zustand der Wirbelsäule der höheren Thiere dar.
Der Urtheil der Wirbelsäule ist bei allen Wirbelthieren die
gallertige, ans Zellen bestehende Chorda dorsalis, welche am Schädel
und Schwanztheil des Thieres spitz ausläuft, und an welcher
man in der weitern Entwickelung eine häutige Scheide bemerkt,
die nach vollkommner Ausbildung der Chorda eine deutliche
fibröse, aus Ringfasern gebildete Structur zeigt. Diese Chorda
ist als die unpaare Achse des ganzen Rückgrats und insbesondere
der späteren Wirbelkörper zu betrachten, geht aber seihst nie,
weder in knorpeligen, noch knöchernen Zustand über, und bleibt
vielmehr in den um sie herum sich entwickelnden perennirenden
Theilen des Rückgrats wie in einem Etui stecken, nur bei wenigen
Thieren perennirend, bei den meisten vielmehr zeitig selbst
vergehend.
Die entweder knorpeligen oder knöchernen Wirtelabtiieiliin-
gen entstehen immer zuerst paarig zu den Seiten der Chorda,
aus ihnen entstehen die Wirbelkörper und Bogen der Wirbel.
Bei einigen Thieren kommt es aber nicht einmal zur weitern
Entwickelung dieser paarigen Wirbeltheile und das sind gerade
diejenigen, bei welchen die Chorda durchs ganze Leben perennirt.
Bei den Myxinoiden giebt es,gar keine Wirbelabtheilungen
am Rückgrat, und das einzige Analogon ist hier eine die Choida
und ihre Scheide umgebende fibröse Schicht, welche man die
skeletbildende Schicht nennen kann, diese ist es, welche auch
nach oben das häutige Dach für das Rückgrat bildet. Bei den
Petromyzon finden sich in dieser skeletbildenden Schicht schon
knorpelige Bogenschenkel, den Wlibelbogen entsprechend, während
noch nichts von Wirbelkörpern vorhanden ist. Bei den
Chimären und Stören sitzen an der Chorda oder an deren Scheide
sowohl oben als unten -Knorpelstücke, oder die skeletbildende
Schicht hat sich in obere und untere paarige Wirbelstücke entwickelt.
Die oberen bilden die oberen Bogen, die unteren bilden
Querfortsätze und vereinigen sich am Schwanz der Störe zu unteren
Bogen, worin das Ende der Aorta liegt. Eine Vereinigung