
Unterschenkel der gesunden Sèite auf dieselben Reize der Nerven
sowohl als der Muskeln allein die heftigsten'Zusammenziehungen
eintraten. An dem szweitert Kaninchen hatte der Nerve
nach 5 Wochen allp Empfänglichkeit sowohl für den galvanischen
als mechanischen und chemischen Reiz von Kali causticuin
verloren; eben so wenig war eine Spur von Contractilität an den
Muskeln selbst durch diese Reize hervorzurufen, während auf
der andern Seite die Muskeln auf dieselben Reize sich kräftig
zusammen zogen. Die gegenwärtigen Versuche erweisen jedenfalls,
dass die Kräfte der Nerven* die Muskeln zu Bewegungen
zu veranlassen, nach gänzlich aufgehobener Communication mit
den centralen Theilen des Nervensystems nicht allein verloren
gehen, dass auch die Reizbarkeit der Muskeln selbst sich nach
so langer Lähmung der Nerven verliert. Sie würden indess ein
noch entscheidenderes Resultat geliefert .haben, wenn man zur
Prüfung der Reizbarkeit der Nerven und Muskeln nicht bloss
ein einfaches Plattenpaar, sondern eine kleine galvanische Säule
angewendet hätte. Nur dadurch hätte sich mit Bestimmtheit
unterscheiden lassen, ob alle Kraft in den Muskeln in zweien
der Fälle erloschen war. Indessen beweisen die Versuche deutlich
genug, dass die Reizbarkeit der Muskeln-mit dem Verluste
der Reizbarkeit der Nerven auf die Dauer sich nicht erhält.
2. Sind die Nerven allein die Leiter, durch welche alle
Reize auf die Muskeln zunächst wirken? Die Gründe, welche
diess beweisen, sind folgende. >
a. Die Reize, welche auf die Muskeln selbst abgewandt ihre
Bewegung veranlassen, sind dieselben, wie diejenigen, welche auf
die Nerven angewandt die Muskeln zur Contraction errègen.
Ich beobachtete zwar öfter einen Unterschied, indem die mineralischen
Säuren und der Weingeist auf die Nerven applieirt
keine Zuckungen hervorbrachten, während sie an den, Muskeln
selbst angewandt diess thaten. Indess scheint diess, keine constante
Verschiedenheit zu seyn; denn A. v. Humboldt hat dürch Alcohol,
oxygenirte Salzsäure, Arsenikoxyd, und selbst Metallsalze bei
ihrer Anwendung auf die Nerven eine zitternde Bewegung in
den Muskeln hervorgebraqht, und B ischoff und C. W indischmann
haben, wie ich aus brieflicher Mittheilung weiss, einzelne Fälle
gesehen, wo die Mineralsäuren, auch auf die Nerven der Frösche
applieirt, Zuckungen hervorbrachten.
b. Die Stoffe, welche den Muskeln ihre Reizbarkeit nehmen,
tilgen sie auch in den Nerven. Obgleich die Narcotica, wenn sie
in den Kreislauf kommen und durch Alteration des Gehirns und
Rückenmarkes tödten, die Reizbarkeit der Nérven und Muskeln
nicht unmittelbar auf heben, die' Muskeln und Nerven bei
auf diese Art getödteten Fröschen noch lange erregbar bleiben;
so hat doch die örtliche Application der Narcotica auf die, Nerven
3 und Muskeljn die Vernichtung der Reizbarkeit in so viel
Theilen eines Nefventodep Muskels zur Folge, als mit dem Gifte
in Berührung kommen. Nerven in Opiumlösung eine Zeitlang getaucht,
verlieren dié Reizbarkeit an der benetzten Stelle, während
die zwischen dieser und dem Muskel liegenden Stellen noch reizbar
sind. Vergl. Bd. I. p. 613. Der Muskel in Opiumlösnng getaucht
wird auch,, so weit diess, geschieht,| todt; diese gleichartige
Wirkung der Narcotica auf die Nerven und Muskeln macht
es wahrscheinlich, dass die Narcotica, indem sie bei der Benetzung
des Muskels die Reizbarkeit der in ihnen verbreiteten Nec-
venzweige vernichten, dadurch auch die Fähigkeit des Muskels
aufheben, für R.eize empfänglich zu sevn.
«. Alexander v. Humboldt präparirte und schnitt die Nerven
musculöser Theile bis in die feinsten Zweige heraus (an den oberen
Theilen von Froschschenkeln öder an den Flossen der Fische),
und diese, hatten aufgehört, vom Metallreize afficirt zu
werden.
d. Sehr heftige electrische Schläge, die entweder die Muskeln
oder die Nerven allein treffen, sollen sehr schnell die Con-
tractionsfäbigkeit der Muskeln für äussere Reize aufbeben. T ie-
demann Physiol. I. 551. j
e. Auch das von, mir beobachtete verschiedene Verhalten
der sensoriellen und motorischen Nerven bei galvanischen und
mechanischen Reizen gegen Muskeln, die Zweige von beiden erhalten,
kann hier angeführt werden. Durch den N. lingualis
konnte ich keine Zuckungen in den Zangenmuskeln, durch den
Iufraorbitalis keine Zuckungen in den Schnauzenmuskeln bewirken.
Man siebt daher, dass nicht der blosse Nerveneinfluss
im Allgemeinen Reiz für die Contraction der Muskeln gleich andern
Reizen ist, und dass ein specifiscbes Verhaltniss einer be-
sondern Clas.se' von Nerven, der motorischen, zur Erregung der
Muskeln notliwendig ist.
f . Endlich beweist das Erlöschen der Reizbarkeit der Muskeln
nach langer Lähmung der durchschnittenen Nerven, deren
glückliche Reproduction verhindert worden, auch und vielleicht
am meisten und entschiedensten von allen Gründen, dass zur Erregung
der Muskeln die Integrität der-in ihnen sich verbreitenden
Nerven nöthig ist* die Muskeln aber nicht durch sich für
Reize empfänglich sind. So gewiss diess nun scheint, so kann
doch die Fähigkeit der Zusammenziehung nur eine Eigenschaft
der Muskeln seyn, und T iedemann bemerkt mit Recht, dass ihnen
die lebenden Nerven' nicht eine Kraft mittheilen können, die sie
selbst nicht haben. Aber die den Muskeln inhärente Fähigkeit
der Zusammenziehung setzt zu ihrer Aeusserung die Mitwirkung
der Nerven voraus, und wohl ist die von den Nerven ausgehende
Entladung eines imponderabeln Agens, eben so nöthig, die Primitivfasern
der Muskeln zur Anziehung ihrer kleinsten oder grösseren
Theile gegen einander zu bringen, als die Anziehung
derselben nöthig ist, um die Verkürzung hervor zu bringen.
Welche Arten der Anziehung in den von dem Nervenagens im-
prägnirten Muskeln statt finden, ist im vorigen Capitel schon aus
Thatsaehen aufgeklärt worden. Wie stark diese Anziehung
aber zwischen den Winkeln der gebogenen Muskelfasern ist, lässt
sich am besten aus der Fähigkeit äbleiten, welche die lebenden
Muskeln besitzen im Zustande der Zusammenziehung der grössten
Last, der grössten Ausdehnung zu wiederstehen, während sie nach