
38S V. Buch. Von den Sinnen. I. Ahschn. Vom Gesichtssinn.
«las Betrachten einer weissen Papierflache durch zwei dicht vor die
Augen gehaltene verschiedenfarbige Glaser, z. B. durch ein blaues und
gelbes Glas. Siehe meine Schrift Physiol. des Gesichtssinnes p. 79.,
vergl. Muell. Archiv 1836. CXLIV.\ V olkmann und H eermann a.
a. O. Statt dass "man unter jenen Umständen das Papier grün sehen
sollte, sieht man es theils blau, theils gelb. Zuweilen wiegt die blaue
Farbe vor, zuweilen die gelbe, zuweilen wird eine blaue Wolke
oder blaue Flecken auf gelbem Grunde, zuweilen das, umgekehrte
gesehen. Jetzt absorbirt das Blaue das Gelbe, jetzt das Gelbe
das Blaue. Die Schwierigkeit der Nichtvermischung der verschiedenen
Eindrücke an identischen Stellen beider Netzhäute erkannte
ich auch bei der durch Schielen hervorgeb rächten künstlichen
Deckung zweier verschiedenfarbiger Doppelbilder. Eine Ausgleichung
beiderlei Eindrücke, wie sie I I uscuke sah, nahm ich bei
Doppelbildern als möglich, aber schwierig wahr, H eermann und
V olkmann, haben die Erscheinungen im Wesentlichen ganz so wie
ich gesehen.
Werden die Versuche sehr lange mit farbigen Gläsern fortgesetzt,
so dass man sehr lange einen weissen Papierbogen durch
zwei dicht vor, die Augen gehaltene farbige Gläser ansieht, so
gleichen sich beide Eindrücke mehr aus (Völckers in Muell. Archiv
1838. 60.),. wozu Anfangs nicht die geringste Neigung ist;
aber auch jetzt blitzt von Zeit'zu Zeit die eine der Farben das
TJebergewiclit erhaltend hervor, oder tritt fleckenartig auf. Die
Vermischung hat kein weiteres physiologisches Interesse, wohl
aber ist der Wettstreit beider Sehfelder, und das; theilweise oder
gänzliche Verdrängen- der einen Farbe durch die andere von dem
grössten Interesse, und zeigt uns auf das Deutlichste, in einem
leicht zu beobachtenden Phänomen, die Art der gleichzeitigen Thätigkeit
beider Augen. Denn dass sich beide Augen auch bei nicht
verschiedenfarbigen Eindrücken in dieser Weise verhalten; ist
schon aus dem Versuch -zu schliessen und ergiebt sich auch aus
anderen Thatsachen.
Das bald flecken weise Hervortreten der einen Farbe .auf der
andern, bald gänzliche momentane Verdrängen der einen durch
die andere und die schwierig zu Stande kommende Vermischung
beider beweisen: 1. gleichzeitige Thätigkeit beider Augen in gewissen
Zeitmomenten, denn Flecken, Wolken der einen Farbe
werden auf der andern gesehen. 2. Gänzliches oder fast gänzliches
Erlöschen des Eindrucks des einen Auges Und Vorwalten
des andern auf Zeitmomente. 3. Ausgleichung der Eindrücke
beider Augen auf Zeitmomente. Da die Zustände beständig wechseln,
so zeigen sie uns die Actionen beider Augen Phänomene des
gestörten Gleichgewichtes, wie das Schwanken des Wagebalkens.
Sehr schwer tritt die Ruhe oder das Gleichgewicht der Ac-
ti«Jnen ein, obgleich es möglich ist. Das Gleichgewicht wird
aber theils durch innere, uns unbekannte Einflüsse gestört, theils
wahrscheinlich dadurch, dass sich die Aufmerksamkeit dem einen
oder andern Auge zu wendet. Die Erscheinungen des Wettstreits,
um welche es sich allein hier handelt, sind übrigens bei vollkommen
gleicher .Sehkraft beider Augen deutlich und lebhaft, wie
3. TVirkungcn d ., Sehnerven. Suljcctive Gesichtserscheinungen: 38.9
bei mir. Das fleckige oder wolkige Auftreten einer Farbe statt
der verdrängten andern, während an andern Stellen diese vorherrscht,
zeigt uns ferner, wie eine Ungleichheit der Action auch
in den einzelnen Theilen der Netzhaut möglich ist, wie denn
überhaupt die Erscheinung zur Beobachtung der inneren Zustände
der Netzhaut von der grössten Wichtigkeit ist. ’
Die Störung des Gleichgewichtes in der gleichzeitigen Thätigkeit
der Gesichtsfelder tritt auch sonst häufig auf. Zuweilen
verschwindet plötzlich eines der Doppelbilder beim Doppeltsehen.
Sind béide Augen von ungleicher Sehweite, so ist bald das eine,
bald das andere vorherrschend, und verdrängt vollends das Bild
des andern Auges. Das herrschende Auge ist dasjenige, in dessen
Sehweite ein Gegenstand gehört. -Diesem wendet sich nun. die
Aufmerksamkeit zu. Zuweilen schwebt dann das Bild des undeutlich
sehenden Auges noch nebenher, geht aber leicht ganz der
Aufmerksamkeit verloren. So ist es auch bei Schielenden, das
schielende Auge hat meist eine vom gesunden Auge ganz abweichende
Sehweite, „sein Bild ist undeutlich, wenn das andere' Auge
deutlich ist, es ward von der Aufmerksamkeit vernachlässigt. Das
gänzliche Verschwinden desselben begreift man aus den Erscheinungen,
die ich an den farbigen Gläsern „erörtert habe. Diess
ist sogar sehr oft eine Veranlassung zum Schielen,. denn nun wipd
das unbrauchbare Auge nicht bei der Fixation der Gegenstände
richtig angewandt und geräth in jeder Hinsicht ausser Gebrauch.
Auch beim Sehen durch Vergrösserungsgläser mit einem Auge
kann-mau die Isolation des Sensoriums auf das Sehfeld eines Auges
beobachten. Denn oft sieht das durchs Mikroskop sehende
Auge allein, oder unterscheidet allein, und das andere Auge, nebenher
sehend, erkennt nichts, wenigstens sein Bild nicht auf der
Stelle, wo das mikroskopische Sehfeld des andern ist. Zuweilen
hingegen tritt auch die Thätigkeit dieses Auges auf, und sein Bild
schwebt gleichsam auf dem mikroskopischen Bilde, die Beobachtung
störend. -
5. Von den subjektiven Gesichtserseheinungen.
P urkinje Beolachtungen und Versuche zur Physiologie■ der Sinne.
I. Prag 1823. II. Berlin 1825.
Ziehen wir die Phänomene! der Thätigkeit der Netzhaut, bei
welchen das äussere'Licht noch mitspielt, wie bei den* Nachbildern,
bei der Irradiation,, bei dem Doppeltsehen ab, so bleiben
noch viele subjective Gesichtserscheinungen übrig, welche uns
Beispiele der Thätigkeit der Retina liefern, die durch Ursachen
hervorgebracht wird, welche von dem äussern Licht ganz verschieden
sind. Mit diesen Erscheinungen bat uns tlie angeführte
Schrift von'P urkinje vorzüglich bekannt gebracht, die auffallendsten
hierher gehörigen Phänomene sind:
I. Die Druckjiguren.
So nannte P urkinje die durch Druck mit den Fingern am
Auge hervorsebrachten Lichterscheinunsen. Sie sind theils rins