
So wird das Bild des eigenen Körpers Bald von dem Kinde, als
das constante von denjenigen Bildern unterschieden werden,, die
je nach den Bewegungen des Körpers und der Augen andern
Platz machen. Die Bewegungen im Bilde seines Körpers werden
dem Kinde bald noch sicherer die Vorstellung von seinem eignen
Körper im Gegensatz zu den absolut äusseren Körpern vorfuhren.
Denn diesen gesehenen Bewegungen im Netzhautbilde entsprechen
wirkliche, und mit Intention ausgéführte Belegungen
am Körper seihst. Gefühlsempfindungen von‘ seinem Körper verbinden
sich mit Gesichtsempfindungen von seinem Körper, lindem
das Kind einen Theil seines Körpers mit der Hand berührt;’ sieht
es diesen Act auch im Gesichtshilde von seinem Körper ausgeführt.
Hier berühret das Bild der Hand das Bild des Körpers.
Auf diese Weise werden Vorstellungen für die Gesichtsempfindungen
so bindend, dass wir nicht allein das Bild,.'das wesentlich nur
in Affectionen alicpioter Theile unserer Nervenhaut besteht, ausser
uns setzen, sondern auch das Empfundene vollständig mit den Gegenständen,
trotz aller Unterschiede der Grösse' verwechseln.
Jä das flächenhafte Sehfeld wird in der Vorstellung sogar bald
zu einem, nach allen Richtungen ausgedehnten Sehraum. Denn
mit jeder Bewegung unseres Körpers, mit jedem Schritte vorwärts
verändern sich die Formen der Bilder, das Ferne rückt uns nahe,
das Nahe bietet uns andere Seiten dar. Diese Verschiebung der
Bilder in dem Sehorgane während der Ortsbewegung unseres Körpers,
muss in der Vorstellung sich, so darstellen, als ob wir zwischen
den Bildern uns im Raum bewegén, zwischen ihnen durchschreiten;
denn das Bild unseres Körpers im Sehfelde unseres Auges,
trifft dabei mit den Bildern von immer andern, äusseren Objecten
während der Bewegung zusammen, und die Ortsbewegung., ist die
Umache dieser Verschiebungen.
Wir schliessen aus dieser Darstellung; das Versetzen des Empfundenen
nach aussen ist eine Folge des Zusammenwirkens der
Vorstellung und der Nerven nicht des Sinnes allein, der isolirt nur
seine Affectionen empfinden würde.
X. Die Seele nimmt nicht bloss den Inhalt der Empfindungen
der Sinne auf, und legt sie vorstellend aus, sie hat auf den Inhalt
derselben Einfluss, indem sie der Empfindung Schär Je ertheilt. Diese
Intention kann sich bei den Sinnen mit Unterscheidung der räumlichen
Ausdehnung auf einzelne Theile des empfindsamen Organes isoleren,
bei dem Sinne mit. f einer Unterscheidung der Zeitmomente auf
einzelne Acte der Empfindung isoliren. Sie kann auch einem Sinne
ein Uebergewicht über den andern ertheilen.
Dié Aufmerksamkeit kann sich nicht vielen Eindrücken zugleich
widmen1;. finden mehrere zugleich statt, so nehmen sie in
dem Maasse ihrer Vermehrung an Schärfe ab, oder die Seele nimmt
bloss einen derselben mit Schärfe auf, die anderen aber undeutlich
oder gar nicht. Ist die Aufmerksamkeit der Seele'von Sinnesnerven
abgezogen, und in intellectuelle Betrachtungen, tiefe
Speculation, oder in eine tiefe Leidenschaft versunken, so sind
die Empfindungen der Nerven der Seele völlig gleichgültig, sie
werden gar nicht bemerkt, d. h. zum Bewusstseyn des Icfts gebracht
oder so schwach, dass die Seele sie augenblicklich wegen
des Uebergewichtes einer bestimmten Vorstellung nicht festzuhalten
vermag; oder sich ihres Daseyns erst einige Zeit darauf
erinnert,' Wenn das Gleichgewicht hergestellt ist, und jene occu-
pirende Vorstellung gleichsam die Wageschale verlassen hat. Die
Schärfe, welche; sich einzelnen Sinnen ertheilen lässt, wenn andere
Sinne ganz unthätig sind, ist daraus leicht begreiflich, die Aufmerksamkeit
wird nicht mehr unter mehreren Sinnen getheilt,
sondern jedesmal der Zergliederung der Empfindungen des bestimmten
Sinnes zugewandt. Der Blinde bringt cs im Gefühl zu
einer bewunderungswürdigen Schärfe, dass.er die. feinen Erhabenheiten,
z. B: auf Münzen, leicht unterscheidet., ja sogar zuweilen das
Coipus oder . Korn eines Färbestoffs von einem andern zu unterscheiden
vermag. > ; '• ‘ ; > y »
| Die Intention zergliedert aber auch das Detail einer einzigen
Sinnesempfindung. Da die Seele nicht fähig ist allen Theilen einer
afficirten Hautstelle eine gleich scharfe Aufmerksamkeit zuzuwenden,
so wird die Schärfe der Empfindung aller Theile successiv erreicht,
durch Abspringen der Intention von einem Theil der Nervenfasern
auf andere. Durch Intention kann eine, schwache, juckende Empfindung,
an einem Punkte der Gesichtshaut, einen ausserordentlichen
Grad von lästiger Schärfe und Dauer erhalten, dagegen sie von selbst
vergeht, wenn man darauf vergessen kann'. Bei dem Gesichtssinn
findet dieselbe Intention statt. Wollte man die Intention dem
ganzen Sehfelde einer Gesichtsempfindung zuwenden, so würde
man nichts mit Schärfe sehen. Die Intention neigt sich bald
auf dieses, bald auf jenès und zergliedert das Detail der Empfindung,
und dasjenige, worauf die Intention gerichtet ist, wird jedesmal
schärfer als das übrige derselben Empfindung . gesehen.
Diess ist nicht bloss so zu verstehen, dass die Mitte der Nervenhaut,
an welcher die Schärfe der Empfindung am; stärksten! ist,
sich successiv verschiedenen Theilen des Objectes zuwendel, so
dass das übrige undeutlich gesehen wird ; sondern bei unverwandter
Sehachse "kann die Intention auch für das seitlich liegende der
Geisichtsempfindung sich schärfen. Bei unverwandter Sehachse
können wir, eine zusammengesetzte, mathématische Figur betrachtend,
die einzelnen Elemente derselben successiv schärfer sehen
und das übrige der Figur misachten. Die betrachtete' vielêckige
Figur, in ihrem Innern durch Linien eingetheilt, gewährt einen
verschiedenen Eindruck, je nachdem die Aufmerksamkeit diesen
oder jenen Theil des Ganzen sich einprägt; ein einzelnes Dreieck
in der ganzen Figur kann unsere Intention ganz beschäftigen, im
nächsten Augenblick kann die Intention auf eine durch das Dreieck
durchgelegte, andere Figur übergehen, die vorher schon vorhanden
war, aber bei der scharfen Anschauung des Dreiecks mis-
ächtet war. Es ist ebenso mit arcliitectonischen - Zierrathen, Rosen,
Arabesken; und der Reiz dieser Figuren besteht grossentheils
darin, dass sie das lebendige-Wirken und Verändern der Intention
in hohem Grade anregen, und dadurch selbst vor uns eine
Art von Lebendigkeit offenbaren. Beide Augen sehen zwar in
dpr Regel und bei gleicher Sehkraft gleichzeitig, aber die Inten