
So giebt es auch zuweilen Gefühle in den Gliedern, heftige
Schmerzen bei Menschen, deren Fähigkeit der Empfindung für äussere
Eindrücke Vollkommen aufgehoben ist. Sielie die Nervenphy-
sik. Es ist wahrscheinlich y dass liier auch die Centralorgane die
Ursache der Empfindungen sind, und da die eigenfhümlichen Sin-
nesenergieen gewissen Theilen des Sensoriums zukommeny so- kann
die Frage also nur die seyn, Ob die Leiter für die äussefn Eindrücke,
die Nerven an diesen Eigenschaften participiren1 oder
nicht. Diese Frage kann für jetzt nicht beantwortet werden;
denn die Thatsachen lassen sich gleich gut auf die eine und andere
Art erklären. Dass aus innern Ursachen oft Gefühle entstehen
und nach der Peripherie verbreitet werden, kann für den Antheil
der Nerven selbst, an den bestimmten Sinnesenergieen nicht angeführt
werden, da auch die Affectionen; der Centrältheile • des Nervensystems
oft nach aussen hin-versetzt werden.
VIII. Die Sinnesnerven empfinden zwar zunächst nur ihre eigenen
Zustände, oder das Sensorium empfindet die Zustände der
Sinnesnerven; aber dadurch dass •• die - Sinnesnerven als Körper die
Eigenschaften anderer Körper theilen, dass sie im Raume ausgedehnt
sind, dass ihnen eine Erzitterung mitgetheilt werden kann und dass
sie chemisch, durch die IVarme, und die Electricität verändert werden
können, zeigen sie bei ihrer Veränderung durch äussere Ursachen;
dem Sensorium ausser ihrem Zustande auch Eigenschaften und Veränderungen
der Aussenwelt an, in jedem Sinne verschieden nach dessen
Qualitäten oder Sinnesenergieen.
- Qualitäten welche den Sinnesnerven mehr durch dein Cdn-
flict mit dem Sinnesorgan als Empfindungen entstehen, sind die
Empfindung des Lichts, der Farbe, des Tons, des Bittern, Süssen,
des Gestanks, Wohlgeruchs, des Schmerzes, der Wollust, des Kalten,
Warmen; Eigenschaften welche ganz von aussen. bestimmt
werden können, sind die Ausdehnung, die fortschreitende, die zitternde
Bewegung, die chemische Veränderung.
Zur Mittheilung der Ausdehnung im Raume an das Sensorium
sind nicht alle Sinne gleich gut geschickt. Der Gesiehtsnerve,
der Gefühlsnerve zeigen die Ausdehnung im Raume' any ) weil: sie
einer genauen Empfindung; ihrer eigenen Ausbreitung'.fähig sind.
In den Geschmacksnerven ist diese Empfindung am undeutlichsten,
aber doch vorhanden; durch sie wird !die< Ausbreitung eines
süssen, bittern eckelhaften Geschmacks auf der Zuhge äm: Gaumen
und im Rachen bestimmt. In dem .Gefühlssinn und Gesichtssinn
hat die Unterscheidung des Räumlichen die grösste Schärfe.
Die Nervenhäut des Sehnerven hat einen zu dieser Pereeption
sehr geeigneten Bau; denn die : Enden der Nervenfasern ;t in der
retina sind nach T bevibantjs Entdeckung so gestellt, dass sie zu-
lezt senkrecht in der Dicke der'1 NervenhautSich • aufrichten
und die papillenförmigen dicht nebeneinander stehenden n Enden
eine pflasterförmig zusammengesetzte Membran bilden.. Von der
Zahl dieser Enden hängt die Schärfe der Unterscheidung des
Räumlichen durch den Gesichtssinn ab, denn jede ja se r repräsentiert
■ ein grösseres oder kleineres Feldchen der sichtbaren Welt
in einem gemeinsam einfachen Eindruck, welchen diese Faser dem
Sensorium mittheilt. Die Unterscheidung des Räumlichen durch
den Gefühlssinn ist zwar viel mehr verbreitet als beim Gesichtssinn,
ist aber viel weniger genau, und grössere Theile der Körperoberfläche
oder der Haut werden oft nur durch wenige Nervenfasern
im Sensorium repräsentirt; daher oft an manchen Stellen zwei
von einander entfernte afficirte Punkte der Haut nur als einer
empfunden werden, wie E. H. W eber gezeigt bat. Obgleich der
Gesichtssinn, der Gefühlssirin und Geschmackssinn zugleich der
Empfindung des Räumlichen fähig sind, so ist die Qualität des
räumlich Empfundenen in jedem dieser Sinne nach den Qualitäten
der, Nerven verschieden, in dem einen Falle ein Bild, dessen
Qualität das Licht ist, in dem andern eine Empfindung des Räumlichen,
deren Qualität alle Modificationen. des Gefühls zwischen
Schmerz, Kälte, Wärme, Wollust seyn können, im dritten Falle
eine Empfindung des Räumlichen mit Geschmack.
Die äussere Ursache, welche in dem Sinne die Empfindung
mit räumlicher Ausdehnung erregt, kann verschieden seyn. Am
Sehorgan ist es das äussere Licht, aber auch der Stoss eines Körpers
an das Auge, welcher eine Lichtempfindüng im Auge hei’vor-
ruft, kann die Ursache seyn. Wird nämlich nur ein bestimmter
Theil der Nervenhaut gedrückt, so entsteht auch nur ein dieser
Stelle entsprechendes lichtes Feld, welches eine bestimmte Stelle
im Sehfelde ein nimmt. Selbst die Electricität kann räumliche
Bilder von bestimmter Form im Auge bedingen, wie feurige Linien,
deren Lage nach der Lage der Pole verschieden ist, worauf
wir später zurückkommen werden. Am Gefühlsörgane erregt das
Licht zwar auch, je nach der Ausdehnung der von der Sonne beleuchteten
Theile der Haut, die Empfindung der erwärmten Theile
in räumlicher Ausdehnung. Aber in der Regel sind die Eindrücke,
welche uns von den Körpern ausser uns durch das Gefühlsorgan
unterrichten, mechanische Berührung, Reibung, Stoss, Druck oder
Mittheilung von Schwingungen der Körper, die wir als Bebung
empfinden. Durch das Gefühlsorgan erhalten wir in Folge der
mechanischen Eindrücke, die ersten und wuchtigsten Aufschlüsse
über die Form und Schwere der Körper, wovon das Urtheil für
die Erklärung der Anschauungen der übrigen Sinne bald Gebrauch
macht.
Die Durchdringung ganzer Gliedmassen, ja der meisten Theile
unseres Körpers durch Gefühlsnerven, macht cs dem Gefühlssinn
möglich die Raumausdehnung-- unseres eigenen Körpers in allen
Dimensionen zu unterscheiden; denn jeder Punkt, in welchem eine
Nervenfaser endet, wird im Sensorium als Raumtheilchen repräsentirt.
Auch bei dem Conflict unseres Körpers mit andern kann,
wenn der Stoss stark genug ist, die Empfindung bis zu einer gewissen
Tiefe unseres Körpers erregt werden und es entsteht die
Empfindung der Contusion in allen Dimensionen des Cubus. Gewöhnlich
bringen aber die drei Sinne, welche die räumliche
Ausdehnung der Körper anzeigen, nur Flächen zur Percep-
tion, soweit die Flächen der nervenreichen Theile bei dem Con-
flict afficirt wrerden. Der Gefühlssinn hat jedoch auch. hier
vor dem Gesichtssinn das voraus, dass die tastenden Theile in meh-
M ü 11 e r’s Physiolbgie. 2 t fid. II. 1 8