
gesuchte Vorstellung stellt sich auch zuweilen im Minimum der
Klarheit ein, und wir merken, dass sie ganz nahe ist, aber nicht
zur vollen Klarheit kommen kann,' oder das gesuchte'Wort ist
da, aber fehlerhaft, weil ein Theil seiner Laute oder Schriftzeichen
durch eine conträre Vorstellung noch im Gleichgewicht gehalten
ist. Zuweilen gelingt das Besinnen leichter, indem man
von ganz heterogenen gleichgültigen Dingen denkt oder redet,
unter diesen findet sich dann leicht eine Assonanz die zur gedachten
Vorstellung führt. Auch wenn man sieh vornimmt etwas zu
behalten und znr bestimmten Zeit auSzuführen, und es halt, sind
die Voi'stellungen unter der Herrschaft einer leitenden Vorstellung,
und führen von Zeit zu Zeit, wenn auch auf grossen Umwegen,
auf das Thema zurück.
Das productive Vorstellen oder Phantasiren in Vorstellungen
unterscheidet sich vom einfachen reprodneirenden Yorstellen durch
die freie Umgestaltung des Vorgestellten über die in den Erinnerungen
vorgeschriebenen Grenzen. Man kann diese Productivität
der lebendigen Vorstellung, diese Gestaltung derselben am besten
am Abend im Dunkeln an sich selbst beobachten. Am hellen
Tage ist die Gesetzmässigkeit in den Sinneserscheinungen ein
Hinderniss für die reine Productivität des Vorstellens. Stellt
man sich im Dunkeln ein Gesicht vor, so behält es nicht leicht
lange seine Formen, sondern es gestaltet sich um, verzerrt sich
oft mit schreckender Lebendigkeit, und die daraus entstehenden
Gestalten sind keineswegs- nur solche, die durch die Sinne schon
einmal fertig in die Seele eingegangen sind, sondern neue überraschende
Combinationen. Man hat sich darüber gestritten ob
die Phantasie neues zu bilden vermöge. Die Elemente allerPhan-
tasiegebilde sind immer nur aus Vorstellungen genommen, die
durch Erfahrung in uns gekommen sind. Aber die Veränderung
und Comhination dieser Elemente zu neuen Prodücten ist vollkommen
frei, j Im dunkeln Sehfelde vor den Augen zieht die
Phantasie alle beliebigen Grenzen, und da die Gestalten bloss von
ihren Grenzen abhangen, und da jederlei Grenze vorgestellt werden
kann, so müssen durch diese Thätigkeit Figuren vorgestellt
werden können, welche nie als solche da gewesen sind. Ein weniger
productives Vorstellen wird auch hier beim blossen Com-
biniren des schon früher vorgestellten bleiben, wie bei der Verbindung
der Flügel des Vogels mit der Schulter des Pferdes, des
Fischschwanzes mit der Gestalt eines Vierfüssers. Die freieste
Productivität wird ausser der Combination des früher vorgestellten
dieses auch verändern, sich erweitern, umgestalten lassen.
Wenn Goethe sich eine Blume im dunkeln Sehraume vor den
geschlossenen Augen vorstellte, so nahm diese Gestalt, wie er von
sich-selbst erzählt, die überraschendsten Veränderungen an, sie
entwickelte neue Blätter von neuen Formen aus sich, und wandelte
sich in die mannigfaltigsten Figuren mit einer gewissen Gesetzmässigkeit
und Symmetrie um.
4. Denken.
Der Anfang des Denkens ist das Begriffbilden oder das Abs-
trahiren. Dass sich Vorstellungen associircn und verdrängen,
ist viel leichter, als dass sie gleichzeitig auf einander wirken und
daher das Begriffbilden schwieriger als das Phantasiren. Wenn aber
zwei oder mehrere verschiedene Vorstellungen gegenwärtig sind,
so Verdunkeln sie sich so weit sie ungleichartig sind, und es bleibt
unverdünkelt der Rest, worin Sie gleich sind, bewegt zurück, denn
das Gleiche verstärkt sich. Siehe oben p. 524. Von dieser Abstra-
ction ist zum Urtheilen nur ein Schritt, und das Urtheilen ist auch
ein Vorstellen auf einer höhern Stufe. Das Vorgestellte sind nicht
mehr einfache Vorstellungen unter sich und mit Begriffsvorstel-
lungen abwechselnd, sondern Verhältniss-Vorstellungen. Der Gedanke
ist die Vorstellung von dem Verhältniss zweier oder mehrerer
Vorstellungen zu einander. Die einfachste Thätigkeit der
Seele beschränkt sich auf ein beständiges Abspringen von Einem
zum Andern. Beim letztem folgen sich fl, £, c, d u. s. w. ohne
dass der Bezug derselben zu einander bewusst, d. h. vorgestellt
wird, beim Denken wird das Verhältniss von a \ b \ c \ d u. s. w.
vorgestellt. Auch* eine Reihe Vorstellungen, in welcher Begrifts-
vorstellungen unterlaufen, ist noch kein Denken, z. B. die Association
von Kerze, Licht, Blau, Optik, Acustik,.Wellen, Meer,
Tiefe, Unendliches. Denn die Copula dieser Einzelheiten und
Begriffe, welche hier das Gesetz der Anziehung des Aehnlichen
ist, geht bloss dunkel in der S,eele vor sich und wird selbst nicht
vorgestellt, nur das copulirte oder associirte fällt ins Bewusstseyn.
Ich stelle mir dabei nicht vor blau is t licht, Meer is, t tief. Beim
Urtheilen fällt auch die Copula das ist ins Bewusstseyn und ist
Vorstellung. Zu jedem Gedanken gehören daher mindestens drei
Vorstellungen, wovon zwei durch die dritte oder die Vorstellung
der Copula verbunden werden.
Die einfachste Copula ist die Vorstellung der Gleichheit oder
Aehnlichkeit, sie wird durch das Wort seyn ausgedrückt. Entweder
ist der Inhalt der einen Vorstellung dem Inhalt der andern
ganz gleich, oder* er ist nur ein Theil davon. In beiden
Fällen wird die Copula durch is t ausgedrückt.
Der erste'Fall ist Az=.A. Ein Ding ist sich selbst gleich,
oder fl und b sind sich so gleich, dass sie - für eins genommen
werden müssen, azzzb oder a\b z=.a\a.
Im zweiten Fall ist die eine Vorstellung nur ein Theil der
andern, z. B. U ltram a rin is t b la u , Töne sind S c hw in gungen.
Nicht alle Schwingungen sind-Töne. Unpassend drückt
man diese Gedanken durch a = « aus. Denn der Gedanke Töne
sin d -S chw in g u n g en gleicht ganz dem Gedanken in 4 ist -j
oder—enthalten. Die Formel dieser Verbindung ist also, wenn
Töne durch a,. S chwin gun g durch b ausgedrückt -wird, a = b
+ x oder Töne sind g leich Schw in g u n g en und einiges
m eh r, oder auch ad=zby,y oder ^z=:br ’wodurch ausgedrückt
wird, dass, der Inhalt der einen Vorstellung nur einen Theil vom
Inhalt der andern ausmacht.
In den meisten Gedanken-ist seyn oder1 die Vorstellung der
ganzen oder theilweisen Gleichheit die Copula. Es kann aber
auch jeder andre Verhältnissbegriff die Verbindung bilden.
M ü lle r ’« Physiologie. 2r B<T. 111, 3 5