A. M i t t h e i l u n g d e r Z u s t ä n d e zw i s c h e n v e r s c h i e d e n e n T h e i l e n
d e r N e r v e n h a u t . I r r a d i a t i o n ,
Wenn in einem Bilde zwei entgegengesetzte Eindrücke nebeneinander1
stattfinden, so bat unter gewissen Umständen der
eine auf den andern Einfluss. Bietet das Bild zur-Hälfte den einen,
zur andern Hälfte den andern Eindruck dar, so findet diese
Einwirkung nicht statt, denn beide» halten sich gleichstem das
Gleichgewicht. Nimmt aher der eine Eindruck nur einen kleinen
Theil der Netzhaut, der andere den-grössten Theil der Netzhaut
ein, so kann bei sehr langem Betrachten der Eindruck, welcher
den grössten' Theil der Netzhaut einnimmt, sich über die ganze
Netzhaut verbreiten und das kleine entgegengesetzte Bild ganz
verschwinden, an dessen Stelle dann die Beleuchtung des Gi’undes
tritt. Die seitlichen Stellen der Netzhaut, welche ausser der Achse
liegen, sind mehr als der mittlere Theil derselben zu diesen Erscheinungen
geeignet, aber kein Theil der Netzhaut ist davon
ausgenommen. Am leichtesten erscheint das Phänomen jedoch
auf der Eintrittsstelle des Sehnerven.
1. Verschwinden der Gesichtsobjecte ausser der Eintrittsstelle des Sehnerven.
Man betrachte einen Schnitzel farbigen Papiers auf einem
weissen Grunde lange Zeit bis zur Ermüdung des Auges ; auf einmal
verschwindet der farbige Eindruck auf eine kürze Zeit ganz,
und an seine Stelle tritt der weisse Grund, so dass das farbige
Bild vom weissen Grunde wie weggewischt wird. Gelingt das
Phänomen auf den ■ seitlichen Theilen der Netzhaut ausser der
Mitte am leichtesten, so ist doch auch der mittlere Theil der
Nervenhaut dazu fähig, wie man bei dergleichen. Versuchen bald
findet. P urkinje hat diese Phaenömene beschrieben. Sie beweisen,
dass bei längerer Dauer der Einwirkung, die Netzhaut-
tlieilclien ihre Zustände einander* mittheilen und dass -die Tbätig-
keit ihrer Theilchen in einem: sehr beschränkten Grade einer
Irradiation in die Breite fähig ist. Farbige Bilder auf weissem
Grunde sind dazu am meisten1 geeignet, eine kleine schwarze “Figur
verschwindet sehr schwer und sehr spät auf weissem Grunde,
weil die Empfindung eines Eindrucks lebendiger ist, wenn.1 sein
Gegensatz zugleich empfunden wird. Das Verschwinden' dauert
übrigens'nur einige Secunden, dann taucht das objective-Bild sogleich
wieder hervor.
2. Verschwinden der Gesichtsobjecte in der Eintrittsstelle, des Sehnerven.
Das Verschwinden der Gesichtsobjecte in der Eintrittsstelle
des Sehnerven ist länger bekannt und von Mariotte entdeckt.
Aber diese Stelle der Nervenhaut hat -diese Eigenschaft nicht vor
den übrigen' voraus, sondern besitzt sie nur in einem höherm
Grade. ' Betrachtet man mit einem Auge einen Punct so, dass
ein davon seitlich liegender
9 Gegenstand sein Bild auf die
Eintrittsstelle des Sehnerven
werfen muss, so verschwindet das Bild plötzlich oder wenigstens
sehr bald. Schliesst man z. B. das linke Auge und
fixirt den beistehenden Punct in einer'Entfernung von 5 Zoll
vpm Auge sehr scharf und unverwandt mit dem rechten Auge,
. so verschwindet das Kreuz und an dessen Stelle tritt die Farbe
des Grundes* Die Entfernung • des Gegenstandes vom, Auge muss
etwa 5. Mal so gross seyn, als die Entfernung des Kreuzes und
lhmcl.es. Dass es die Eintrittsstelle'de? Sehnerven ist, wovon diess
abhängt, erkennt man sogleich, wenn man umgekehrt das Kreuz <
fixirt. Dann verschwindet der Punct entweder gar nicht, oder
nicht schneller als an jeder andern Stelle, der Netzhaut.
Mit Unrecht hat man aus dieser Erscheinung gefolgert, dass
die Eintrittsstelle des- Sehnerven ganz unempfindlich sei, denn sie
, empfindet in der That, aber die Farbe des Grundes, oder des im
übrigen. Theil der Netzhaut, oder in den nächstliegenden Theilen
der Netzhaut Vorwajtenden Eindrucks.
Aus diesen Erscheinungen folgt, dass die Netzhauttheilchen
eines gewissen Grades der Wechselwirkung fähig sind. Diese
Wechselwirkung kann aber auch in einer ganz andern Weise erfolget!,
wie- in den in dem folgenden Artikel zu beschreibenden
Erscheinungen.
■B. E r r e g u n g e n t g e g e n g e s e t z t e r Z u s t ä n d e i n n e b e n e i n a n d e r
. 1 i e g e n d e n T h e il e n d e r Ne t z h a u t .
Bei den vorher'beschriebenen. Phänomenen pflanzt sich der
vorwaltende Eindruck ohne Veränderung in die Breite fort und
verfügt den weniger ausgedehnten davon Verschiedenen Eindruck.
In den jetzt zu beschreibenjden Erscheinungen verändert der eine
Eindruck den andern so, dass der zweite bleibt, aber zugleich
den'Gegensatz des ersten zeigt. Die' erst genannten Erscheinungen
treten nur allmählig und bei sehr langer Betrachtung der
Bilder, ein, die letzt genannten erfolgen augenblicklich und dauern.
1. Helle und dunkle durch Contrast sich hebende Bilder.
Ein graues Feld auf weissem Grunde erscheint dunkler gegen
den weissen Grund, als wenn man dieselbe Tinte, das Grau allein
über das ganze Sehfeld verbreitet betrachtet. , Jeder Schatten
hebt sich durch Contrast stärker hervor, je heller die Beleuchtung
ist, die ihn verursacht.« Hieher gehört folgende Erscheinung,
die als Beispiel für viele andere gelten kann. Man beleuchte ein
weisses Papier mit einem Kerzenlicht, das Papier macht den Eindruck
des Weissen, stellt man nun ein zweites Kerzenlicht "davon
entfernt auf, und bewirkt man durch einen Körper einen Schat-
ten, so ist dieser grau,. obgleich die Stelle des Schattens doch so
vollkommen wie vorher von dem ersten Kerzenlicht beleuchtet *
"wird. Dieselbe Stelle erscheint nun-grau, die vorher ohne, Gegensatz
weiss erschien. Daher erscheint auch ein Schatten auf
weissem Felde viel dunkler, als wenn man ihn durch eine Röhre
allein betrachtet.'