
Len. Bei den niederen organischen Wesen sind nicht bloss Stücke
der meisten Theile des Körpers fähig Indiyidua zu werden, sondern
in einigen Fällen hebt selbst eine, bis auf die Urtheile der
Organisation fortgesetzte Theilung' die Erzeugung der Species aus
einem getrennten Urtheilchen nicht auf. Alle Gewebe entstehen
bei den Pflanzen aus Zellen. Es giebt aber auch Pflanzen, bei
denen eine einzige, vom Ganzen abgelösste Zelle, gleichviel welche,
zur Erzeugung der Pflanze hinreicht, wenn der Nahrungsstoff
dazu gegeben ist. So verbalten sich die Fadenpilze, z. B. der
Schimmél und das Vegetabile der gährenden Flüssigkeiten, woraus
nach den Beobachtungen von Cagniard L atour Und S chwabn
die Hefe besteht, und das sich in gährenden Flüssigkeiten in ungeheurer
Menge wieder, erzeugt. Dieser Bierpilz besteht aus
aneinander gereihten Zellen, welche einfache Reihen und ästige
Reihen bilden. Die Zellen treiben aus ihrer freien Seite eine
kleine Hervorragung aus und das ist die junge Zelle, die sich bald
zur ganzen Zelle vergrössert. Kaum hat sich diese jüngste Zelle
ausgebildet, so fängt sie auch schon an, die Knospe der nächsten
Zelle aus sich hervorzutreiben. Dergleichen Zellen lösen sich
auch ab und treiben auch im isolirten Zustande Knospen von
Zellen, oder entwickeln die Form der Pflanzenspecies. Alles dieses
geht so schnell vor sich, dass sich das Wachsen und Zeugen
unter dem Mikroskop beobachten lässt. P oggend Arm. 41. 184.
So ist es überhaupt bei den einfachen Pilzen. Dér aus Zellen
bestehende ausgestreute Staub des Pilzes, welcher die Seidenwürmer
zerstört, die Muscardine, enthält auch diese Kraft zur Erzeugung
der individuellen Pflanze und man begreift, wie eine
einzige Zelle dieses Pilzes, in eine Seidenwürmerzucht, kommend
die Ursache zur Zerstörung dieser ganzen Zucht werden kann.
Siehe über die Muscardine Audouin in Ann. d. sc. nat. 1837.
II. Capitel. V e rm eh ru n g d u rch T h e ilu n g eines en tw
ic k e lte n Organismus.
In sofern die organischen Wesen im erwachsenen Zustande
ein virtuelles Multiplum ihres Keims sind, sind sie auch durch
Theilung der Vermehrung fähig, Dividua, ohne dass die Multiplication
durch Bildung einfacher Keime nöthig wäre. Diese Theilung
beobachtet man selbst, bei Thieren, die zur Knospenbildung
ganz unfähig sind. Die Vermehrung der Individuen durch Theilung
findet theils durch künstliche Aufhebung des Contactes und
der organischen Wechselwirkung, theils durch spontane Theilung
statt. In beiden Fällen kann die Theilung vollständig oder uh-
vollständig seyn. Ist sie unvollständig, so kann ein organisches
Wesen ein Multiplum darstellen, dessen selbstig belebte Glieder
noch mit einem ungetheilten Stamm Zusammenhängen. ,
1, K ü n s t l i c h e T h e i l u n g .
Die Vermehrung der organischen Wesen durch spontane Theilung,
welche man vorzugsweise im Thierreiche antrifft, erfolgt
nicht so leicht, als die Vermehrung durch künstliche Theilung.
Durch die künstliche Theilung hebt man absolut den Zusammenhang
von Stücken auf, welche bei aller ausgebildeten Structur
eine gleiche Kraft enthalten, und man nöthigt dadurch diese Kraft
eur individuellen Organisation. Man kann daher Polypen in jeder
Richtung promiscue theilen, und erhält aus den Stücken neue
Individuen. Die spontane Theilung kommt hingegen nie promi-
scue, sondern nur in gewissen Richtungen vor, bei welchen die
Theilung mit den geringsten Störungen der innern Organisation
möglich ist. . - . , .. . .
Durch künstliche Theilung lassen sich alle Pflanzen und mehrere
niedere Thiere vermehren. Ein abgeschnittener Ast, Zweig,
Sprosse, sind forllebende, die Sjiecies erhaltende Systeme, wenn
sie entweder in die Erde gepflanzt werden, oder als Schnittlinge
einer andern Pflanze aufgepfropft werden. Gleichwohl kann diese
Art der Vermehrung nicht füglich als ein Beispiel einer wirklichen
Vermehrung durch Theilung ohne vorausgegangene Knospenbildung
angesehen werden. Denn die Schnittlinge werden
gewöhnlich mit ausgebildeten Knospen verpflanzt. Ein Stück von
einem Stamm, dem die Aeste abgeschnitten sind, und der äusser-
lich an der Rinde keine Spur von Knospen zeigt, treibt zwar
zuweilen eingesetzt auch wieder. Nach D e Cawdolle kann man
selbst mit Rindenstücken oculiren, welche keine sichtbaren Knospen
tragen. Meyen macht hingegen den Einwurf, dass in diesem
Fall die&Adventivkriospen des Markes die aufgelegte Rinde durchbrechen,
und führt, an, dass selbst ein abgeschälter Weidenzweig,
der zum Rosenstock benutzt wurde, nach einigen Wochen wahrscheinlich
durch Adventivknospen des Markes neue Knospen trieb.
Pflanzenphysiologie. 3. B. p. 84. Auch das Treiben von abgeschnittenen
Blättern, die in die Erde gepflanzt werden, beweist nicht
in allen Fällen die Vermehrung durch Theilung ohne Knospenbildung.
Bei den Blättern von Bryophyllnm calycinum entwickeln
sich in diesem Falle nur die schon vorhandenen Knospen in den
Winkeln der Blattzähne. Selbst die Fälle, wo knospenlose und
zur Knospenbildung auf dem Mutterstamm ganz ungeeignete Blätter
von perennirenden Pflanzen, nach dem Einsetzen in die Erde
Wurzel treiben, und die aufsteigenden Pflanzengebilde aus sich,
entwickeln, sind nicht rein. Denn hier wandelt sich nicht das
ganze Blatt in die Pflanze um, wie bei dem Polypenstück m den
Polypen, sondern es wird aus dem Pflanzenindividuum des Blattes
eine Knospe erzeugt.* Indess ist dieses knospende Blatt schon,
insofern es die Knospe bilden kann, einfache Pflanze, und nach
Meyen a. a. O. treiben dergleichen in die Erde gesetzte Blätter
erst Würzelchen und dann die Knospe hervor. Hierher gehört
auch die künstliche Theilung der Flechten.
: Die künstliche.Theilung bei Thieren gelingt vorzüglich dann
leicht, wenn sie aus einer Reihe von ähnlich gebildeten Theilen
bestehen, und die Zahl dieser Theile durch das Wachsthum vermehren,
wie die Würmer, wo z. B. Querschnitte' den A4 urm in
Segmente bringen, von dem jedes noch ähnliche und wie abgekürzte
Theile des Nervensystems, der Blutgefässe und des Darms
M ü llc r’s Physiologie, 2r. Bd, III, 39