
c. Mutter und Fötus.
Die Verbindung des Fötus mit der Mutter gleicht der Verbindung
der, von Anfang der Entwickelung an sich centrirenden
und isolirenden individuell belebten Sprosse eines Polypen mit
dem Mutterstamm. So wenig als der Wille des Mutterstammes
den entwickelten Keim bewegt, so wenig kann bei den Säuge-
tbieren und dem Menschen eine solche Einwirkung erwartet werden.
Bei den sich durch Theilung fortpflanzenden Waiden, wird
das, was später Individuum wird, früher als Thfeil des Ganzen
von dem Kopf des Mutterthiers willkürlich bewegt, aber dieses
ist ein ganz anderer Fall,' es ist die Isolirung eines dem Willen
unterworfenen Theiles zum Individuum.
An dieser Stelle ist auch die Wirkung des Geistes der Mutter
auf die bildende Thätigkeit des Foetus zu erörtern.
Es entsteht die Frage, ob es so ausgedehnte Wirkungen
der Seele gebe, dass bestimmte Vorstellungen von räumlichen
Erscheinungen auch entsprechende räumliche Erscheinungen in
irgend einem Theil des Ganzen plastisch hervorbringen können.
Für die Empfindungen und Bewegungen giebt es ein solches Ver-
hältniss. Kann aber der belebte Körper, wenn eine Form von
bestimmter Farbe vorgestellt wird, auf einem Theil der Haut diese
Form in veränderten Hauttheilchen nachbilden? Diese Frage ist
identisch mit der vom Versehen der Schwängern, bei dem letztem
wird diese Wirkung nur noch über die Grenze eines Organismus
hinausgehend vorausgesetzt.
Der Einfluss der Phantasie auf die Heilung kleiner Bildungsfehler,
z. ß. einer Warze bei den sympathetischen Curen kann
nicht für diese Annahme angeführt werden; denn die Wirkung
der Vorstellung erzielt hier keine bestimmte Form, sondern Alles
beruht , auf einer quantitativen Steigerung des natürlichen Bildungs-
processes. Ist diese Steigerung vorhanden, so lässt er das Bestehen
eines solchen krankhaften Productes nicht zu und es wird,
da es sich nicht selbstständig gegen diese Gewalt erhalten kann,
allmählig aufgelöst. Beim Versehen hingegen soll etwas Positives
gebildet werden, und die Form des Gebildes soll der Form in der
Vorstellung entsprechen. Diese Wirkung ist schon deswegen unwahrscheinlich,
weil sie sich vo,n einem Organismus auf den andern
erstrecken soll; die Verbindang von Mutter und Kind ist
aber nichts Anderes, als eine möglichst innige Juxtaposition zweier
an und für sich ganz selbstständiger Wesen, welche sich mit ihren
Oberflächen anziehen und wovon das eine die Nahrung und
Wärme giebt, die sich das andere aneignet. Aber abgesehen davon
lässt sich diese alte und höchst populäre Superstition vom
Versehen durch viele andere Gründe entkräften. Ich habe Gelegenheit
die meisten Monstra zu sehen, welche in der Preuss.
Monarchie geboren werden. Gleichwohl kann ich behaupten,
dass mir trotz dieser grossen Gelegenheit in der Regel nichts
Neues in dieser Weise vorkommt, und dass sich hierbei nur gewisse
Formen wiederholen, welche den grossen Reihen der Hemmungsbildungen,
Spaltbildungen, Defecte, Verschmelzungen seitlicher
Theile mit Defect der mittlern u. s. w. angehören. Und dennoch
heisst es in den Berichten über dergleichen Monstrositäten sehr oft,
dass sich die Mutter versehen und wie sie sich versehen habe,
obgleich die Monstrosität nicht die geringste Aehnlichkeit mit
dem Gegenstand des Versehens hat. Bedenkt man ferner, dass
sich jede Schwangere wahrend der Zeit ihrer Schwangerschaft
gewiss öfter erschreckt, und dass sehr viele sich gewiss wenigstens
einmal, wenn nicht mehreremal versehen, ohne dass dieses irgend
eine Folge hat, so wird es, falls eine Monstrosität irgendwo ge^
boren wird, gewiss nicht an Gelegenheiten fehlen, diese auf eine
dem populären Glauben entsprechende Weise zu erklären. Die
vernünftige Lehre vom Versehen reducirt sich daher darauf, dass
jeder heftige, leidenschaftliche Zustand der Mutter auf die organische
Wechselwirkung zwischen Mutter und Kind einen ebenso
plötzlichen Einfluss haben, und dem zu Folge auch eine Hemmung
der Bildung oder ein Stehenbleiben der Formationen auf gewissen
Stufen der Metamorphose herbeiführen kann, ohne dass jedoch
die Vorstellung der Mutter auf ,die Stelle, wo sich dergleichen
Retentionen erzeugen, Einfluss haben könne. Die meisten Monstra
sind an mehreren Stellen monströs und oft trifft man Hemmungsbildungen
in den verschiedensten Theilen des Körpers.
Wenn die Vorstellungen eines organischen Wesens sich nicht
plastisch in einem andern organischen Wesen realisiren, so ist
nach allem Vorhergehenden auch wenig wahrscheinlich, dass ein
vorstellendes Wesen auf die Vorstellungen eines andern organischen
Wesens Einfluss üben könne auf andere Weise, als durch
Sprache und Zeichen. Obgleich es nicht geläugnet werden mag,
dass es noch ungekannte oder sogenannte magnetische Wirkungen
der organischen Wesen auf einander und vielleicht in Distans auf
die Nerven giebt, so würde doch die Annahme übergehender
Vorstellungen und Seelenzustände von einem Menschen auf einen
andern, wie es von den magnetischen Rapporten, von den Ahnungen
u. dergl. hin und wieder ausgesagt wird, ebenso unerweislich
als unbegreiflich seyn.
III. Capiiel. Von den T em p eram en ten .
Die Temperamente sind perennirende eigenthümliche Zustände
und modi der Wechselwirkung der Seele und des Organismus.
Sie gründen sich vorzüglich auf das Verbältniss der Strebungen
zu dem erregbaren Organismus. Unterschiede der Menschen in
Hinsicht der Fähigkeiten zum niedern, höhern Vorstellen, Abs-
trahiren, Urtheilen, Reproduciren, Produciren und Combiuiren
der Vorstellungen können nicht Temperamente genannt werden,
sie sind vielmehr das, was man ingenia nennt. Die Aufstellung
der Temperamente ist uralt, vortrefflich und vielleicht unverbesserlich.
Die Begründung der aufgestellten Temperamente der Alten
war so fehlerhaft, als ihre Ansichten von den Grundbestandteilen
des menschlichen Körpers. Die Galenische Unterscheidung
des sanguinischen, phlegmatischen, cholerischen, melancholischen