
646 VII. Buch. V. d. Zeugung. II. Abschn. Geschlecht!. Fortpflanz.
IV. B e f r u c h t u n g .
Man kann sich die Einwirkung des Samens zur Befruchtung
auf verschiedene Weise denken. Entweder wirkt der Samen zunächst
auf das'" weibliche Individuum ein, und von diesem aus
erfolgt das Weitere, oder der Samen wirkt auf das Ei ein. Int
erstem Fall .kann man sich eine unmittelbare Erregung der weiblichen
Genitalien durch den Samen und als deren Folge die Befruchtung
denken, oder man kann eine Aufnahme des Samens in
das Blut des weiblichen Körpers voraussetzen und von dort aus
sowohl die Wirkung auf den Eierstock, als die weiteren Wirkungen
der Befruchtung erfolgen lassen. Es hat selbst nicht an
Schriftstellern gefehlt, welche sich von diesen Theorien aus eine
Befruchtung auf anderen Wegen durch den dem Blut eingeimpften
Samen möglich dachten. Beobachtungen zeigen, dass die Befruchtung'
nicht anders erfolgt, als durch Wirkung des Samens auf
das Ei selbst. Diess wird bewiesen theils durch die Versuche
von H aighton, welcher durch Unterbindung einer Tuba auf einer
Seite die Befruchtung durch Begattung für diese Seite unmöglich
machte, während die Befruchtung regelmässig auf der freien Seite
erfolgte (Philos. Trans. 1797. p. 1. 159. Reil’s Archiv III. 31).
Theils wird es bewiesen durch die ohne allen Antheif der Mutter
und der weiblichen Genitalien ausgeführten Befruchtungen,
theils natürlicher, theils künstlicher Art. Ohne Mitwirkung der
weiblichen Genitalien werden die Eier schon bei den Fröschen
befruchtet, indem der Samen der Männchen erst nach dem Austritt
der Eier über diese ergossen wird. Die künstlichen Befruchtungen
der aus dem Leibe eines weiblichen Frosches ausgenommenen
Froscheier durch den aus dem Hoden oder Samenbläschen
des Männchens genommenen Samen sind seit Spal-
lanzani berühmt geworden. Die Befruchtungen gelingen durch
unmittelbaren Contact beiderlei Theile, aber die Befruchtung wird
verhindert wenn ein dünnes, undurchdringliches Medium TafFet
den Samen des in der Begattung begriffenen Frosches von den
Eiern absondert. Uebrigens gelingen die künstlichen Befruchtungen
bei kaltblütigen Thieren selbst mehrere Stunden nach dem
Tode der Individuen, woraus Samen und Eier genommen werden.
In der neuern Zeit hat Piusconi gleich glückliche künstliche Befruchtungen
von Fischeiern bewirkt. Muell. Archiv 1836. 278.
Wie es bei der Befruchtung nicht wesentlich auf die Mitwirkung
des ganzen männlichen Organismus, sondern nur auf dessen Samen
ankömmt, und dass derselbe bei den Säugethieren tiefer in
die weiblichen Geschlechtsorgane eingeführt werde, wird auch
durch die bereits durch Spallanzani und Rossi angeführten
künstlichen Befruchtungen durch den mit einer Spritze in die
Genitalien einer Hündin eingeführten Samen eines Hundes bewiesen.
Es kann daher in keiner Weise bezweifelt werden, dass es
bei der Befruchtung nicht auf die Einwirkung des männlichen
auf das weibliche Individuum, sondern des Samens auf den weiblichen
Keim ankommt, die Befruchtung mag ausgeführt werden,
wo sie immer will.
Man hat die Einwirkung des Samens auf das Ei theils für
unmittelbar, theils durch Mittheilung in Distans durch eine sogenannte
Aura semi.nalis möglich gehalten. Dass die letztere Annahme
falsch ist, ergiebt sich bereits aus S e a l l a n z a n i ’s Beobachtungen,
welcher die künstliche Befruchtung der Froscheier nur
dann erzielen konnte, wenn er sie unmittelbar mit Froschsamen
in Contact brachte. Die Befruchtung blieb hingegen aus, wenn
er die Eier dicht über den Froschsamen aufhing. Wurden 3 Gran
Samen mit 18 Unzen Wasser sehr verdünnt, so reichte diese Flüssigkeit
gleichwohl zur Befruchtung durch Contact hin. Mit einem
Tröpfchen davon konnte S p a u l a n z a n i noch Froscheier befruchten.
Siehe S p a l l a n z a n i expdriences pour servir a l histoire de la gene-
ration. „Geneve 1786. Aber auch die Fortleitung des Sarnens bei
den Säugetieren aus dem Uterus in die Tuben bis zum Eierstock
beweist die Nothwendigkeit des Coutäctes des Eies und des
Samens zur Befruchtung bei allen Thieren. Der Samen gelangt
nach der Begattung oder bei derselben in den Uterus. Schon
L'Ee u w e n h o e k . fand die Samenthierchen vielfach im Uterus der
Säugethiere nach der-Begattung. P r e v o s t und D u m a s fanden die
Samenthierchen 24 Stunden nach der, Begattung im Uterus der
Thiere, und nach 3-—-4 Tagen in den Tuben. Ann. d. sc. nat.
III. 119. B i s c h o f f ’s Beobachtungen reichen noch weiter. Er
fand die Samenthierchen einer Hündin, welche 19 Stunden und
dann eine halbe Stunde vor der Section zum zweiten Mal belegt
war, auf und zwischen den Fimbrien. Ebenso in einem zweiten
Fall 48 Stunden nach der Begattung nicht bloss im Uterus und in
den Tuben, sondern am Eierstock selbst. Der Contact des: Samens
und Eies ist also auch hier eine Thatsache. W a g n e r Physiol. 49.
Der Ort, wo die Befruchtung geschieht, ist sehr verschieden.
Wir haben schon gesehen, dass das Ei sich vor der Befruchtung
ablösen kann, und in anderen Fällen nach der Befruchtung sich
vom Eierstocke ablöst. Es lässt sich daher ein dreifacher Fall
denken.
a. Die Befruchtung erfolgt ausserhalb des weiblichen Organismus.
■ Wir haben :schon die hierher gehörigen Fälle von den mehrsten
nackten Amphibien und Fischen kennen gelernt.
b. Die Befruchtung erfolgt am Eierstock selbst.
Hierher gehören jedenfalls die Säugethiere und der Mensch.
Schon die Existenz der Graviditas extrauterina, wo das Ei sich
im Eierstock selbst entwickelt, oder vom Eierstock abfallend in
die Bauchhöhle geräth, und sich hier entwickelt, beweisen die
Befruchtung am Eierstock für jene Fälle. Die Beobachtungen
von B i s c h o f f und B a r r y über die Fortleitung der Samenthierchen
bis zum Eierstock beweisen aber diese Befruchtung als allgemeine
Thatsache. Die Fortleitung bis zu dieser Stelle ist nach der
Entdeckung der Wimperbewegung in den weiblichen Genitalien
kein Gegenstand der Erklärung mehr. Wie schnell diese Art von
Leitung an den Wänden der Organe geschehe, kann man leicht
beim Frosch sehen, indem man nach S h a r p e y nach abgeschnit-
M i i l l e r ’s Physiologie, 2r Bd. 11T. 42