
Kälte als Empfindung entstellt, wenn dieser Stof!' einem Gefiihls-
nerven entzogen wird.
Es ist ebenso mit dem Tone. Das reine Factum ist diess,
dass wenn eine gewisse Zahl von Stössen oder Schwingungen dem
Gehörnerven mitgetheilt wird, der Ton als Empfindung entsteht,
aber der Ton als Empfindung ist himmelweit von einer Anzahl
von Schwingungen verschieden. Dieselbe Zahl der Schwingungen
einer Stimmgabel; die dem Gehörnerven jene Empfindung mittheilt,
wird von dem Gefühlsnerven als Kitzel empfunden. Es muss
also zu den Schwingungen noch etwas ganz Anderes hinzukommen,
wenn ein Ton empfunden werden soll, und diess Erforderliche
liegt nur im Gehörnerven.
Mit dem Gesicht verhält es siqli nicht anders; die verschieden
starke Wirkung des imponderaheln Agens, des Lichtes; bedingt
eine Ungleichheit der Empfindung an verschiedenen Stellen
der Nervenhaut des Auges, geschehe die Einwirkung durch Stösse
nach der Undulationstheorie, oder durch Strömung mit unendliclier
Geschwindigkeit nach der Emanationstheorie. Erst dadurch dass
die Nervenhaut die schwach afficirten Stellen als massig hell,
die heftig afficirten als licht, die ruhenden oder gar nicht afti-
cirten Stellen als dunkel oder schattig empfindet, entsteht ein bestimmtes
Lichtbild je nach der Vertheilung der afficirten Stellen
auf der Nervenhaut. Auch die Farbe ist dem Sehnerven selbst
immanent und entsteht, wenn sie durch das äussere Licht hervor-
gerufen wird, durch die im Grunde noch unbekannte Eigenthum-
lichkeit der sogenannten farbigen Strahlen oder der zum Farbeneindruck
nöthigen Oscillationen. Die Geschmacksnerven und Geruchsnerven
sind unendlich von aussen bestimmbar, aber jeder
Geschmack hängt von einem bestimmten Zustande des Nerven'ab,
der von aussen bedingt wird, und es ist lächerlich zu sagen: die
Eigenschaft des Sauren werde durch den Geschmacknerven geleitet
; denn auch auf die Gefühlsnerven wirkt die Säure, aber es
entsteht kein Geschmack.
Das Wesen dieser Zustände der Nerven, vermöge welcher
sie Licht sehen, Ton empfinden, die wesentliche Natur des Tons
als Eigenschaft des Hörnerven, des Lichts als Eigenschaft des Sehnerven,
des Geschmacks, Geruchs, Gefühls bleibt wie die letzten
Ursachen m der Naturlehre ewig unbekannt. Üeber die Empfindung
des Blauen lässt sich nicht weiter räsoniren; sie ist eine
Thatsache, wie viele andere, die die Grenze unseres Witzes bezeichnen.
Die eigenthümlichen Empfindungen der verschiedenen
Sinne bei gleicher Ursache ans der verschiedenen Schnelligkeit
der Schwingungen des Nervenprincips zum Sensorium erklären
wollen, würde auch nicht weiter führen, und wenn eine solche
Behauptung statthaft wäre, so müsste sie zunächst zur Erklärung
der verschiedenen Empfindungen im Umfange eines bestimmten
Sinnes angewandt werden, warum z.B. das Sensorium die Empfindung
des Blauen, Rothen, Gelben erhält, warum das Sensorium die Empfindung
eines hoben oder tiefen Tons, die Empfindung des Schmerzes
oder der Wollust, der Wärme oder Kälte, die Empfindung,
des Bittern, Süssen, Sauren erhält. In diesem Sinne allem ist die
Erklärung beaebtenswerth; die Ursachen verschieden hoher Töne
sind wenigstens schon von aussen her verschieden schnelle Schwingungen
der tönenden Körper, und eine Berührung der Gefübls-
nerven der Haut, die einmal bewirkt, eine einfache Tastempfindung
hervorruft, erregt schnell als Schwingung eines tönenden
Körpers wiederholt, die Empfindung des Kitzels, so dass vielleicht
das spccifische der Wollustempfindung auch wenn sie unabhängig
von aussen durch innere Ursachen entsteht, durch die Schnelligkeit
der Schwingungen des Nervenprincips in den Gefüblsner-
ver bedingt wird.
Eine dunkle Kenntniss der Gesichtsempfindungen aus innere
Ursachen mag wohl die Ursache gewesen seyn, dass auch die alten
Naturphilosophen eine Ahnung von dem, wesentlichen Antheil
des Auges an dem Empfinden von Licht und Farbe gehabt haben.
Diese ist in der Lehre vom Sehen im Timaeus des P laton nicht
zu verkennen. Es heisst dort: „U n te r allen O rg an en b ildeten
die G ö tte r die s tra h le n d e n Augen z u e rs t, um
des Grundes W illen . E in Organ des F e u e rs , das n ic h t
b re n n t, so n d e rn ein mildes L ic h t g ieb t, jedem Tage
angemessen, h a tten sie hei dieser Bildung z u r Absicht.
Wenn des Auges L ic h t um den Ausfluss des Gesichtes
is t und Gleiches zu Gleichem au sström e n d sich v e r e
in t, so e n tw ir f t sic h in der R ich tu n g der Augen ein
K ö rp e r, wo immer das aus dem In n e rn au sström en d e
Licht mit dein äussern zus-ammentrifft. Wenn a b e r
«las v e rw an d te F eu e r des Tages in die Nacht v e rg e h t,
so is t auch das in n e re L ic h t v erh a lten ; denn in das Ung
le ic h a rtig e au sström en d v e rä n d e rt Cs sich und e r lis
c h t, indem es d u rch k e in e V e rw a n d ts c h a ft d e r L u ft
sich anfügen und mit ih r Eins werden kann, da sie
s e ih s t k e in F e u e r h a t.“
Richtigere Ansichten und in mehr wissenschaftlicher Form
vorgetragen finden sich in Aristoteles Schrift über den Traum,
wovon ich in meiner Schrift über die phantastischen Gesichtserscheinungen
eine Uebersetzung gegeben habe. Die Erklärung
der Phantasmen als innerer Sinneswirkungen ist ganz dem
heutigen Standpuncte der Wissenschaft angemessen. Er hat sogar
schon die auch von S pinoza gemachte Beobachtung dass sich
die im Schlafe erschienenen Bilder beim Eiwachen in den Sinnesorganen
ertappen lassen (3. Cap.), und die subjectiven FarbcnUmwandlungen
des Blcndungsbildes der Sonne im Auge sind ihm wohlbekannt
(2. Cap.).
Bei dem ausgebildeten Zustande der verschiedenen Zweige-
der Naturwissenschaften, welche selbstständig und zum Theil unabhängig
von einander bearbeitet werden, bleibt es immer eine
schöne Aufgabe der Philosophie, die Erklärungen der Grundphä—
nomene zu prüfen, besonders da, wo die Gebiete in einander greifen,
wie bei den Wirkungen des Lichtes auf organische Wesen»
Aber diese Arbeit ist ungemein schwierig, weil sie ohne näheren
Antheil an der Zergliederung der Thatsachen nicht gut zu> lösen
ist. In neueren Zeiten hat die Philosophie auf diesem der Phy