
über das Sehen basiren. Schwingungen einer durch dis ganze
Welt verbreiteten Flüssigkeit, des Aethers, von bestimmter Geschwindigkeit
der Wellen bringen in der 'Nervenhaut die Empfindung
einer bestimmten Farbe, Schwingungen einer andern Geschwindigkeit
die Empfindung einer andern Farbe als Reaction
der Nervenhaut diervor. Die Reizung der Nervenhaut in demselben
Puncte von den verschieden schnellen Wellen .zugleich
bewirkt die Empfindung des Lichten. Dieselben Empfindungen
entstehen aber auch ohne Mitwirkung der Schwingungen des Aethers
von Reizung der Nervenhaüt durch Electricität und Druck.
Wenn die Veränderungen der Nervenhaüt es sind, welche
beim Sehen empfunden, werden, so kann man auch sagen, dass die
Nervenhaut sich selbst beim Acte des Sehens in irgend einem
Zustande empfinde, oder dass das Sensorium die Nervenhaut in irgend
einem Zustande wahrnehme. Die Ruhe der Nervenhaut ist
die Ursache der Erscheinung des Dunkeln vor den Augen die
thätige Nervenhaut ist die Ursache des lichten Sehfeldes in der Empfindung.
Unter gewissen Umständen sieht man die Nervenhaut an
sich selbst und einzelne Theile derselben, ohne dass äussere Gegenstände
Bilder auf diesen Theilen verursachen. • Dahin gehört
ausser den Figuren von Druck und von der Electricität, ein von
P urkinje zuerst beobachtetes Phänopien, welches hier zuerst erwähnt
zu werden verdient. Wenn man in einem sonst dunke'n
Raum mit einem Kerzenlicht 6 Zoll vor den Augen sich hin und
her fahren lässt, oder wenn Bewegungen im Kreise mit dem Lichte
vor den Augen ausgeführt werden, so, sieht man' nach, einiger
Zeit eine dunkle, baumartige, ästige Figur, welche ihre Aeste übet
das ganze Sehfeld aüsbreitet und welche nichts Anderes ist, als die
Ausbreitung der Vasa centralia retinae oder diejenigen Theile der
Retina, die von diesen Gefässen bedeckt werden. Eigentlich sind
zwei baumartige Figuren, deren Stämme sich nicht decken und
vielmehr im linken und rechten Theile des Sehfeldes entspringen
und sogleich, auseinander fahren. Jedem Auge gehört ein Stamm
an, die Aeste. der beiden Figuren streben im gemeinschaftlichen
Sehfeld durcheinander. Diese Figuren entstehen auf'folgende
Weise. Durch das Hin und Herfahren des Kerzenlichtes, wird
auf dem ganzen Umfang der Retina Licht verbreitet, und alle
Stellen der Retina, welche nicht von den Vasa centralia unmittelbar
bedeckt sind, werden matt- erhellt, die von den Gefässen bedeckten
Stellen der Retina hingegen können nicht erhellt werden
und erscheinen daher dunkel als schwärzliche Bäume. Bei den
meisten Menschen gelingt das Experiment leicht, bei einigen schwer
oder gar nicht. Die Aderfiguren scheinen vor den Au<*en zu
liegen und im Sehfelde zu schweben. Durch diesen Versuch erhält
man eine lebhafte Anschauung von der Wirklichkeit der
Thatsache, da^s man beim Sehen die Zustände der Nervenhaut
und nichts Anderes als diese empfindet, und dass die Nervenhaut
gleichsam das Sehfeld selbst ist, dunkel im Zustande der Ruhe
hell im Zustande der Erregung.
, Eines der schwierigsten Probleme der Physiologie ist nun
aber die Wechselwirkung der Nervenhaut und des "Sensoriums
beim Sehen. Diesen Theil der Physiologie der Sinne kann man
geradezu metaphysisch nennen,- da es uns zur Zeit an genügenden
empirischen Hülfmitteln zur. Aufklärung dieser Wechselwirkung
gebricht. Wo wird der Zustand der Nervenhaut empfunden, in
der Nervenhaut selbst oder im Gehirn?
Wenn die Zustände der Theilchen . der Nervenhaut erst im
Gehirn zur Empfindung kommen,- so müssen sie im Sehnerven
bis zum Gehirn in derselben Ordnung geleitet werden, welche
die Theilchen der Nervenhaut nebeneinander haben. Jedem kleinsten
Theilchen der Nervenhaut muss eine Nervenfaser des Sehnerven
entsprechen. Damit stimmt die Erfahrung keineswegs
überein. Vergleicht man die Dicke des Sehnerven mit der Ausbreitung
der Nervenhaüt, so scheint wenig"Hoffnung zu einer solchen
Uebefeinstimmung. Denn die Zahl der Nervenfasern im
Sehnerven scheint viel kleiner, als die Zahl der Papillen der
Nervenhaut. Eine Uebereinstimmung würde daher nur dann statt
finden können, wenn die sogenannten Primitivfasern des Sehnerven
noch ausserordentlich viel feinere Elemente in grosser Anzahl
enthielten. -Indessen ist zu bedenken, dass nur im mittlern
Theil der Netzhaut die Empfindung scharf ist, und nimmt man,
dass in der Mitte der Netzhaut die Enden der Fasern dicht nebeneinander
liegen, nach aussen hin aber durch immer grössere
Zwischenräume getrennt sind, so fällt ein Theil der Schwierigkeiten
weg. Die Empfindung ist in der Mitte der Netzhaut so scharf
und auf-den Seiten derselben so ganz unbestimmt, als wenn in
der Mitte der Netzhaut einzelnen kleinen Theilchen des Bildes
die Enden einzelner Fasern, an den Seiten vielen kleinen Theilchen
des Bildes nur eine Faser entsprechen, und als wenn hier
eine Faser in einiger Länge den Eindrücken ausgesetzt wäre, während
sie f n der Mitte , der Netzhaut nur durch ihr punetförmiges
Ende empfindet. Von besonderer Wichtigkeit wäre hier zu wfssen,
wie sich die vonTsEviRANUs beobachteten Nervenpapillen der Retina
zur Faserscbicht der Retina verhalten, ob in der That wie
er angiebt, jede Nexwenfaser in eine Nervenpapille umbiegt, oder
ob eine | Nervenfaser ganzen Reihen von Papillen entspricht.
Wie würde aber eine Faser die Veränderungen ganzer Reihen
von Raumtheilchen in ihrer Länge bis zum Sensorium leiten können,
wenn im Sensorium erst die Empfindung der Orte entstehen
soll. Findet die Präsentation der Empfindungen nur im Gehirn
durch die Enden ‘der Nervenfasern statt, so kann eine Faser auch
alle Affectionen in aliquoten Theilen. ihrer Länge nur in einem
Puncte präsentiren. Fände hingegen die Empfindung verschiedener
Orte an, aliquoten Theilen der Länge einer Faser statt, so
müsste man sich die' Seele als in jedem Theilchen der Länge' einer
Faser wirkend vorstellen, wogegen für die Rückemnarksner-
yen die Erfahrungen über die Empfindungen der Amputirten sprechen.
Diese Schwierigkeit Hesse sich durch die Supposition heben,
dass die höheren Sinnesnerven verschieden von andern Nerven
näher, an dem Wirken. der Seele participiren, so dass die
Seele bis in die Nervenenden der Retina fortwirke, indem die
Sinnesnerven nur Fortsätze des Sensoi’iums sind. Es ist vollends