
unmöglich bei dem jetzigen Zustande der Wissenschaft diess Räth-
sel aufzulösen.
Wie sich das auch verhalten mag, so ist es jedenfalls gewiss, dass
auch nach Verlust der B.etina und des äusseren Theiles des Sehnerven,
die innern oder Hirntheile des Sehsinnes nicht bloss die
Empfindungen von Licht, sondern selbst dieselben Anschauungen
von einem Sehfelde, in welchem Bilder gesehen werden, hervorbringen
können. Hieher gehören die merkwürdigen von L incke
beobachteten Erscheinungen. Ein Mann, dem ein fungöses Auge
exstirpirt worden war, sah einen Tag nach der Operation, als er
das gesunde Auge schloss, verschiedene Bilder vor seiner leeren
Augenhöhle umherschweifen, als Lichter, Feuerkreise, viele tanzende
Menschen, L incke de fungo medullari. Lips. 1834. Aehn-
liche Erscheinungen sind schon öfter an Totalblinden beobachtet.
Siehe meine Schrift über die phantastischen Gesichtserscheinungens
Coblenz 1826. Hieraus scheint hervorzugehen, dass
die Aifectionen der Nervenfasern des Sehnerven erst im Gehirn
selbst zur Gonstruction eines Sehraums verwandt werden, und
eine Consequenz davon wäre wieder, dass die ganze Mosaik der
Retina durch eine Anzahl übereinstimmender Nervenfasern im
Sensorium repräsentirt werde, was durch die Erfahrung nicht
nachweisbar ist.
Der Process der Wechselwirkung zwischen den Endtheilen
des Sehapparates und den Centraltheilen desselben ist daher noch
sehr unklar und wir können nur bei dem Factum stehen bleiben,
dass alle Ordnung des Gesehenen im Sehfelde von der Ordnung
der afficirten Nefzhauttheilchen abhängt.
G r ö s s e d e s S e h f e l d e s i n d e r V o r s t e l l u n g .
Die Grösse des Sehfeldes hängt ab von der Grösse der Netzhaut,
denn niemals können mehr Bilder zu gleicher Zeit gesehen
werden, als zusammen auf der ganzen Netzhaut Raum haben, in
diesem Sinne ist die vom Sensorium empfundene Nervenhaut das
Sehfeld selbst. Aber für die Vorstellung des Sehenden hat'das
Sehfeld gar keine bestimmte Grösse und die Vorstellung, die wir
vom Sehfeld oder Sehraum vor uns haben, ist höchst veränderlich,
bald sehr klein, bald ausserordentlich gross. Die Vorstellung vom
Gesehenen projicirt nämlich das Gesehene aus einem später zu
erklärenden Grunde nach aussen. Daher ist das Sehfeld in der
Vorstellung sehr klein, wenn die Vorstellung durch nahe vor dem
Auge liegende Hindernisse beschränkt wird, hingegen sehr gross
in' der Vorstellung, wenn das' Projiciren des Gesehenen in der
Vorstellung nach aussen keine Hindernisse findet. Sehr klein ist
in der Vorstellung‘das.Sehfeld, wenn wir in einen engen vor das
Auge gehaltenen hohlen Körper sehen, gross, wenn wir durch
eine enge Oeffnung in die Landschaft hinaussehen, noch grösser,
wenn wir durch ein Fenster sehen, am grössten, wenn wir frei
hinaussehen. . In allen diesen Fällen ist die Vorstellung von der
Grösse des Sehfeldes höchst verschieden und doch ist seine absolute
Grösse immer gleich, nämlich von der Ausbreitung der
Nervenbaut airhängig. Denn wie gesagt, niemals kann mehr zugleich
gesehen werden, als Bilder zusammen auf der Nervenhaut
Platz haben. Dennoch obgleich beim Sehen durch eine Oeffnung
in die Landschaft das ganze Bild der Landschaft nicht grösser
als die Oeffnung ist, und denselben Raum auf der Retina einnimmt,
als der Umfang der Oeffnung, so ist doch die Vorstellung von
einem und demselben Sehfelde so höcht verschieden. Hieraus
folgt also, dass das Vorstellen beim Sehen beständig mitwirkt, so
dass zuletzt schwer zu, sagen ist, was dem blossen Empfinden und
dem Vorstellen. angehört. Könnten wir im erwachsenen Zustande
vom Vorstellen beim Sehen abstrahiren, dann nur würde das
blosse Empfinden beim Sehen übrig bleiben, wie es beim neuge-
bornen Kinde stattfinden mag. Für das Kind, welches noch keine
Vorstellung von Nähe und Ferne des Gesehenen hat, würde das
Sehfeld gleich gross erscheinen müssen, wenn es in eine am
Ende geschlossene Röhre -hineinsieht, pder wenn es durch dieselbe
aber offene Röhre die ganze Landschaft sieht. Aus dieser
Betrachtung ergiebt sich auch, dass das einfache Empfinden de,s
Gesehenen allerdings etwas Ursprüngliches und von den Vorstellungen
Unabhängiges seyn muss.
Alles was* unter demselben Gesichtswinkel
axb erscheint, hat auch nur dasselbe
gleich grosse Netzhautbild ab, die, Gegenstände
d, e, ƒ, g, h u. s. w. welche sehr
verschieden an Grösse in verchiedener Entfernung
liegen, haben denselben .Gesichtswinkel
und dasselbe gleichgrosse Netzhautbild
ab, dennoch ist ihr Bild für die
Vorstellung sehr ungleich, sobald Begriffe
von Ferne und Nähe eingetreten sind.
Denn idas Vorstellen erweitert aus dem
Bilde ab den Sehraum zu d, zu e, zu f , zu
g, zu h, um soviel uud stellt das Netzhautbild
ab so gross, der Seele vor, als es sonst
schon in der Nähe, oder wie es am häufigsten gesehen wurde.
Einei auf der Netzhaut zunächst abgebildete Landschaft ab von
dem Gesichtswinkel axb wird daher vielleicht zwei Meilen gross
vorgestellt, wenn wir wissen, dass sie so gross ist, oder wenn wir
aus der Menge der zugleich gesehenen bekannten Gegenstände
scbliessen,. dass es so sei. Und so wie einige Bilder von gleichem
Gesichtswinkel verschieden gross im Sehfeld vorgestellt werden,
so wird auch das ganze- sich immer an absoluter Grösse glCich-
bleibende Sehfeld der afficirten Netzhauttheilchen äusserst verschieb
den an Grösse vorgestellt. Aus diesem Grunde wird das in dor
Camera obscura betrachtete Bild für .eine lebendige Landschaft, für
den wahren Sehraum selbst gehalten, obgleich es nur ein kleines
Bild auf einer Tafel ist. Durch denselben Process des Projicirens in
der Vorstellung hach aussen, entsteht auch die Vorstellung von Tiefe
im Sehraume, welche Vorstellung am meisten dadurch befestigt
wird, dass, indem v ir fortgelien, sich unserer Retina andere Bilder