
Stände mehr für die Bewegungen der Lust, Unlust oder Begierde
ausgebildet sind, und je nachdem die einen oder anderen Vorstellungen
eine stärkere organische Umstimmbarkeit zur Action
oder Depression der Activität vorfindeh.
Die Thiere haben auch Gemüth, sie sind freudig, traurig,
mitleidig, neidisch, hassend, liebend, eifersüchtig u. s. w. Verschiedene
haben ein. sehr verschiedenes. Denn wiewohl alle zu
den Erscheinungen der Statik der Gemüthsbewegungen ausgebildet
sind, so ist die Fähigkeit zu organischen Spannungen und Abspannungen
für gewisse Vorstellungen bei ihnen sehr verschieden,
und die Schöpfung hat durch die in ihnen traumartig erregten
instinktmässigen Vorstellungen (siehe oben p. 106, 515.) die Fähigkeit
für gewisse Cirkel leichter entstehender und leichter sich
wiederholender Erregungen vorgesehen.
In, die Statik der Leidenschaften greift bei den Menschen
das sittliche Gefühl modificirend ein, und so weit als diess geschehen
kann, lässt sich ihr Handeln nicht aus den vorausgegangenen
statischen Zuständen und aus der Statik der Leidenschaften
überhaupt berechnen.
Insofern ein Mensch bloss leidenschaftlich für sich und andere
bewegt ist, ist alles gute nur relativ, nämlich das ist gut,
was die vorhandenen Zustände der Lust und Begierde fördert,
alles schlecht, was sie hemmt und Unlust und die ihr folgenden
Begierden erregt. Eins und dasselbe kann jetzt gut und morgen
sclilecht seyn. In Beziehung auf das allen Menschen gute ist das
dem einzelnen Zustand gute bald ein gutes, bald ein schlechtes.
Denn Neid und Mitleid können aus denselben Quellen entspringen,
wie die Statik der Leidenschaften ergiebt, und der jetzt mitleidige
kann alsobald neidisch seyn, ohne mitleidig Vernunft mehr zu haben
denn als neidisch. Spinoza Ethik 4 Buch. Die Thiere sind
auch des Mitleidens für Andere, selbst für den Menschen fähig,
insofern er ihnen g u tthut, Lust erregt und sie mit Lust zu ihm
kommen, und sein Uebel ihr Uebel ist. Hierin ist keine Spur
von Sittlichkeit. •
Das Allen oder Vielen gute kömmt ein weriig mehr zuStande
dadurch, dass die Leidenschaften der Menschen und Thiere für
ihr Interesse durch andere Leidenschaften ihrer selbst im Gleichgewicht
gehalten werden, z. B. durch die Furcht vor der Strafe,
beim Menschen durch die Gemüthsbewegungen, die der Aberglaube
erzeugt, der aber beinahe eine ebenso' ergiebige Quelle
böser als guter Handlungen iät.
Wenn die Vorstellung in den Menschen herrschend wird von
dem ihrer Familie, ihrem Stand, ihrer Corporation, ihren Landsleuten
allgemein nützlichen oder guten, und sie die Vorstellung
ihres Eigenlebens und ihres Selbst dadurch erweitern, so ist ein
allgemeinerer Begriff des nützlichen, des guten gegeben. Auch
der-Begriff des den engern Kreisen und ihren Zuständen guten
ist noch weit vom sittlich guten entfernt. Je mehr Individuen es
sind, für die das gute gut ist, um so besser ist es und um so
mehr nähert es sich dem sittlich guten, wie der Begriff des allen
Menschen nützlichen und guten. Noch vollkommner wird dieser
Begriff, wenn das für das gute angesehen wird, was allen Menschen
nicht jetzt, sondern"unter allen Umständen und für alle
Zeiten gut ist. Diess ist auch das gute, was dem Eigenleben unter
allen Umständen gut ist, welcher Begriff dasjenige gute ausscheidet,
was bloss für den heutigen Zustand, aber nicht für die
nächsten gut ist.
Die Unterordnung des Selbst unter die göttliche Weltordnung
und das Unendliche ist die Vernunft, welche das besondere aus
dem höchsten Allgemeinen ableitet, diese erzeugt den Begriff des
höchsten guten, welcher das relativ, d. h. dem jedesmaligen Zustand
des Menschen5 gute bestreitend das Gewissen ist. Die
Betrachtung über die Unvollkommenheit des eignen Selbst, welches
oft von diesem Begriff nicht geleitet wird, und das Streben
dieses absolut gute festzuhalten, verbunden mit der Gewissheit
der Abhängigkeit und Fehlbarkeit ist das religiöse Gefühl, die
Gemüthsbewegung des Frommen. Die Befriedigung und Lust, so
weit es der Vernunft zu folgen gelingt, ist die Seligkeit des Weisen,
der jede andere Lust nicht verschmäht, und die Vorstellungen von
Unlust von sich entfernt hält, in wie weit beides der Vernunft
nicht widerspricht. Siehe Spinoza Ethik 5. Buch von der Freiheit.
F ichte Anleitung zum seligen Leben. Berlin 1806.
Insofern der Mensch dieses Begriffes fähig ist, von ihm
nicht weniger als von den Leidenschaften geführt zu werden, ist
er frei. Im Grunde erfolgen indess die Entschlüsse .und Handlungen
hier mit derselben Nothwendigkeit, wie in den anderen
physischen Erscheinungen die Ereignisse, und Alles geschieht aus
hinreichender Ursache. Die gesetzlose Willkür, welche, über
den Bestimmungen steht, ist bloss Schein. Halten sich zwei entgegengesetzte
Leidenschaften im Gleichgewicht, oder eine Leidenschaft
kämpft mit den Rathschlüssen der; Vernunft, so scheint es,
als wenn der Mensch als ein Dritter darüber stände, den fremden
Rathgeber anhörend, und-er findet seinen Entschluss frei; wenn er
sich entschieden hat und hernach anders darüber denkt, so findet
er sich unfrei. H erbart Psychol. 91. Eigentlich ist diess eine
Täuschung. Denn alles jenes ist in ihm, und seine Wahl ist die
Zusammen Wirkung von Vernunft und Begierde.
Der Wille ist nichts Anderes als das Begehren mit der Gewissheit
des Erfolges, eine entschiedene Bejahung eines nothwen-
dig folgenden Zustandes, dem ein Schwanken vorausgegangen ist,
und das Schwanken, die Unschlüssigkeit dauert, bis noch etwas,
Gründe oder Leidenschaften, auf die Wageschale kommt. Die
Vermehrung der organischen Spannung durch Wein, eingeleitete
Empfindungen und Aehnliches, welches zur Leidenschaft disponirt,
reicht hin, dass Etwas gewollt wird, wozu bei sonst gleicher Ursache
noch keine volle Ursache zum Ausschlag vorhanden war..
Der Wein verdunkelt Vorstellungen, die das Gleichgewicht hielten,
verstärkt die Spannung zur Passion und vergrössert dadurch
die Empfänglichkeit für die ihr adaequaten Vorstellungen.
Das wozu der Ausschlag gegeben ist, ist entweder bloss eine
künftige Reihe von Vorstellungen ohne Handlung des Körpers
nach aussen, wie man seinem Denken, seiner Erinnerung eine
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