Grossen die „sénne”, das von den wohlhabenderen Frauen
und Männern über die Schulter getragene Umschlagetuch.
Es ist der grosse Vortheil von Kanö, dass Handel und Manufaktur
Hand in Hand gehn und dass fast jede Familie
ihren Antheil daran hat. Es ist etwas wahrhaft Grossartiges
in diesem Industriezweige. Während er sich im Norden
bis nach Mursuk und Rhät, ja selbst bis Tripoli verbreitet,
erreicht er im Westen nicht nur Timbuktu, sondern selbst
die Küsten des Atlantischen Oceans; gegen Osten erstreckt
er sich über ganz Bórnu, obwohl er dort mit der eigenen
Manufaktur der Eingeborenen in Berührung kommt. Was
Timbuktu betrifft, so ist es eine in Europa gänzlich unbekannte
und doch so überaus merkwürdige Thatsache, dass,
so viel man auch von dem feinen Baumwollenzeug, das in
Timbuktu gefertigt wird, sprechen mag, doch alle dort getragene
Kleidung besserer Qualität aus Kanö oder Ssanssändi
eingeführt wird, wenn sie nicht aus Englischem Kaliko besteht.
In welch’ hohem Begehr die Baumwollenwaaren von Kanö in
Timbuktu stehn, kann man aus dem ungeheueren Umweg abnehmen,
den die Waare nimmt, um den Gefahren der direkten
Strasse von Kanö nach Timbuktu, welche ich verfolgt
habe, zu entgehn. Dieser Umweg führt nämlich regelmässig
über Rhät und selbst Ghadämes, mit einem ganz scharfen
Winkel von hier nach Tauät, und, nun erst gen Süden abbiegend,
auf Araúan, den hauptsächlichsten Markt für diese
Waare, und auf Timbuktu zu.
Dieser Handel ist in vielfacher Beziehung ein höchst merkwürdiger
Gegenstand, aber wir sind bis jetzt nicht im Stande,
seinen Entwickelungsgang zu verfolgen. Es scheint unzweifelhaft
, dass die grosse Industrie in Kanö. nicht von hohem
Alter sein kann, und kaum kann man sich denken, dass sie
früher bestand, als diese Stadt zum Mittelpunkte des Handels
wurde. Es ist höchst merkwürdig, dass, während das
Sonrhay-Reich selbst dem Reiche von Kátsena so lange vorausging,
sich die Bewohner desselben jetzt wenigstens von
Kanö aus, das erst in ganz neuer Zeit an die Stelle von
Kätsena trat, mit ihren Bedürfnissen versehen müssen. —
Welch’ ein unendlicher Fortschritt und welche gänzliche Umwälzung
aller Verhältnisse stellt sich in diesem Umstande dar,
wenn wir ihn mit dem von Leo beschriebenen vergleichen!
Damals die Kanaüa und Kätsenaüa halbnackte Barbaren, der
Markt von Gä-rho oder Gögo voll Gold und Handelsleben, jetzt
Kanö eine ungeheuere Stadt voll Leben und Industrie in ihrer
eigenthümlichen Weise und einen grossenTheil des ganzen Kontinentes,
selbst die Bewohner der Ruinen eben jener Hauptstadt
des Sonrhay-Reiches, mit ihren Manufakturen versorgend!
Die Ausfuhr von gefärbten Baumwollenwaaren aus Kanö
nach Timbuktu beträgt, auf das Geringste angeschlagen, jedenfalls
300 Kameelladungen zum Werthe von 60 Millionen
Kurdi nach dem Preise in Kanö. Dieser Gewinn bleibt
ganz allein im Lande und kommt der gesammten Bevölkerung
zu Gute, da Baumwolle wie Indigo im Lande selbst erzeugt
■werden. Ich glaube mit Recht die durchschnittliche jährliche
Gesammtausfuhr dieser Manufakturen zum Werthe von 300
Millionen Kurdi veranschlagen zu können, und welch’ eine
Quelle nationalen Reichthums dies ist, werden meine Leser
schätzen können, wenn ich sage, dass eine Familie, alle Ausgaben,
auch für Kleidung, die sie doch meist selbst fabrici-
ren, eingeschlossen, mit 60,000 Kurdi jährlich in sehr angenehmen
Umständen leben kann. Überdies müssen wir bedenken,
dass die Provinz eine der fruchtbarsten der Welt ist,
Korn nicht allein in hinreichender Menge für ihre eigene Bevölkerung
hervorbringt, sondern auch zur Ausfuhr erübrigt, und
nebenbei die prachtvollsten Weidegründe besitzt. Bedenken wir
nun, dass diese Gewerbthätigkeit nicht, wie in Europa, in ungeheueren
Fabriken betrieben wird und den Menschen zur niedrigsten
Stellung hinabdrückt, sondern dass jede Familie dazu
beiträgt, ohne ihr Privatleben aufzuopfern, so dürfen wir wohl