Esel und Maulthiere kennen und benutzen die Kirghisen nickt;
dagegen ist das Kameel ein unentbekrliches Hausthier.*)
Nächst dem Pferd bleibt indess das Schaf das wichtigste
Heerdenthier der Kirghisen, welche nicht allein mit den Fellen,
namentlich denen der Lämmer, sondern auch mit Hammeln einen
lebhaften Handel sowol nach China als nach Russland treiben. Hunderttausende
von Fettsteissschafen gehen in die Talgsiedereien nach
Jekaterinenburg u. s. w. und manche reiche Kirghisen sollen mehr
als 20,000 Schafe besitzen. Die kirghisischen Schafe werfen gewöhnlich
zwei Lämmer, die wie die Füllen meist im Frühjahr
fallen, wenn die Steppe schon vom Schnee entblösst ist und neues
Futter bietet. Denn die. Kirghisen sind eigentlich nur Yiehhalter
aber nicht Viehzüchter in unserem Sinne, da sie für ihre Heerden
kaum andere Sorgfalt verwenden, als sie zu bewachen und auf
frische Weideplätze zu führen. Die letzteren bedingen daher auch
das fast ununterbrochene Wanderleben, welches indessen ein vollkommen
geregeltes ist. Jede Wollost, jeder Stamm, ja fast jeder
A-ul hat seine je nach der Jahreszeit verschiedenen aber bestimmten
Weidegebiete, zu denen bestimmte Zuglinien eingehalten werden
müssen.
Die im Osten in der Nähe hoher Gebirge (Altai, Tarbagatai,
Ala-Tau u. s. w.) lebenden Kirghisen überwintern in den Steppen,
an den Ufern der Flüsse und Seen, sowie in den Schluchten der
niedrigen Steppengebirge. Ende April oder Anfang Mai ziehen sie
mit den Heerden in die Gebirge, da Dürre und Insectenplagen den
Aufenthalt an den Seen unmöglich machen. Nur die genügsamen
Kameele, welche ohnehin schon des Mangels von Salzpflanzen halber
saftige Weiden nicht vertragen, werden, oft ohne alle Aufsicht
zurückgelassen. Nachdem zuerst die Flussniederungen besucht und
hier das wenige Getreide ausgesät wurde, geht es auf die Vorberge,
mit Eintritt der heissen Jahreszeit allmälig höher bis auf die reichen
Alpenweiden unterhalb der Schneegrenze. Nachdem so die verschiedenen
Weidegebiete der Gebirge abgegrast wurden, ziehen die
Kirghisen Ende Juli und Anfang August wieder in die Ebenen
herab, um zu ernten, und dann nochmals die Vorberge zu besuchen,
von wo aus sie im Spätherbst wieder in den Winterquartieren ein-
treffen. Den östlichen Kirghisen fehlt es im Sommer nie an Weide,
*) Ueber die Zucht desselben siehe Pallas (I. p. 397).
aber die westlichen sind bei Weitem nicht so reichlich versehen
und da ihnen Gebirge mangeln, gezwungen den ganzen Sommer
über die bald öde dürre Steppe am Kaspi-Meer und vom Syr-Darja
nach dem Tobol zu durchwandern,*) wobei sie oft Wassermange
leiden. Den Spuren dieser Wanderheerden ist leicht zu folgen, denn
hinter ihnen ist fast jeder Grashalm verschwunden. Die Kirghisen
der östlichen Steppengebiete überwintern, z. Th. in den Vorbergen
des Tarbagatai, Dshily-Tau, d. h. warme Berge, weil hier im
Ganzen wenig Schnee fällt und der Winter ziemlich gemässigt ist.
Auch ziehen viele dieser Heerdenbesitzer tief ins Chinesische hinein.
Wie allenthalben ist der Winter die böse Jahreszeit. Nicht allem,
dass sich die Heerden mit den Ueberresten erfrorener Gräser behelfen
und diese theilweis mit den Hufen aufscharren (tebenujen)
müssen, wobei sie nicht nur durch Futtermangel sehr herabkommen
sondern zuweilen arge Verluste erleiden, so wird ihnen namentlich
Glatteis verhängnissvoll. Durch dasselbe haben einzelne Wollost )
bisweilen mehr als die Hälfte ihres Viehbestandes eingebüsst, ebenso
durch die ungemein heftigen Schneestürme — Buran — wie ich
dies' bereits (p. 82) erwähnte. Bei Pferden und Rindvieh richtet
zuweilen die Seuche oder sibirische Pest im Sommer arge Verwüstungen
an.
Nach Wenjukow besässen die Kirghisen der grossen Horde den
grössten Viehreichthum, während Wlangali das gerade Gegentheil
behauptet und zu belegen sucht. Wie viel Vieh von den Kirghisen
überhaupt gehalten wird, ist man kaum im Stande eimgermassen
bestimmt anzugeben, da nach Wenjukow, alle sogenannten officiellen
Ziffern von der Wahrheit weit entfernt sind. Nach v. Koppen besitzen
die sogenannten unterthänigen Kirghisen des Bezirks Semi-
palätinsk, welche in 8 Wollost und '36 A-uls, 4546 Jurten mit
18985 Seelen zählen, 52283 Pferde, 17692 Rinder, 95329 Schafe
und 617 Kameele. Wäre diese Angabe richtig und liesse sie sich
nur einigermassen als Anhaltspunkt benutzen, so würde danach die
Gesammtzahl des von Kirghisen gehaltenen Viehes sich ungefähr
*) Siehe Wenjukow p. 420—422.
**) So im Winter 1840—41 der Wollost Karaul-dschassyk, der in seiner Verzweiflung
die schönen Baumbestände am Bukon abholzte, um das vor Hunger-
sterbende Vieh mit Rinde zu füttern, was sich als unzureichend erwies und nur
zur Folge hatte, dass jene Striche seitdem zu einer Wüste geworden sind.