zwar — von Wladiwostok am Amur nach St. Petersburg. Er war
seit dem 5. Mai, also 2 Monate unterwegs und sein Urlaub gestattete
ihm nur sich 14 Tage in der Hauptstadt aufzuhalten, um dann sogleich
die an 10,000 Werst betragende Rückreise anzutreten.
Das ist Sibirien! —
Unter den Passagieren 3. Classe, deren Leben ieh stets mit
neuem Vergnügen betrachtete, weil soviele derselben zeigten, wie
wenig eigentlich der Mensch bedarf, um zu leben und glücklich und
zufrieden zu sein, erregte besonders ein Pole mein Interesse. Nicht
allein weil er, nach 12jähriger Entwöhnung, sich mit sichtlichem
Eifer bemühte sich in deutsch zu verständigen, sondern auch weil
er mir treuherzig in schlichten Worten seine Lebensgeschichte erzählte.
Da sie die eines Deportirten, „Unglücklichen“ wie man in
Sibirien sagt, ist, glaube ich sie nicht vorenthalten zu dürfen, besonders
weil ich so oft um das Schicksal solcher befragt wurde, und
keinen Grund habe an der Erzählung des Mannes zu zweifeln.
Dieser brave Pole war seines Zeichens Seifensieder, kannte Deutschland
von seiner Gesellenwanderschaft und würde ohne Zweifel in
seiner Vaterstadt Warschau ein behagliches Dasein geführt haben,
wäre nicht die Revolution von 1863 dazwischen getreten. Begeistert
für die nationale Sache wie so Viele, und überzeugt von deren Erfolge
liess er sich als politischer Agent gebrauchen um wichtige
Nachrichten nach Paris zu befördern. Aber schon in Wien fand
sich der kaum Zwanzigjährige, sammt seinen im Stiefel verborgenen
Briefschaften, entdeckt und nach 13monaticher Untersuchungshaft
auf dein Wege „für Lebenslang“ nach Sibirien. Die Reise ging
damals bis Tobolsk per Wagen, von hier, mit 20pfündigen Ketten be=
schwert, zu Fuss bis Nertschinsk weiter, wo er, im Verein mit 250
Schicksalsgefährten, nach 6monatlicher Wanderung von durchschnittlich
täglich siebenstündigem Marsche anlangte. Wahrend
seine wohlhabenden und hochgestellten Collegen, die Anstifter der
unheilvollen Bewegung, hier bald ihrer Ketten entledigt im Hause
des Commandanten gastliche Aufnahme fanden, zu Thee- und Ballgesellschaften
eingeladen wurden, hatte er mit den übrigen mittellosen
Leidensgenossen täglich 13 Stunden in den Bergwerken zu
arbeiten, um zu zwei Mann drei Kubikellen der gefrorenen Erde
auszuschachten. Als Beköstigung wurden Jedem pro Tag 3 Pfund
Brot und ein Pfund Fleisch verabreicht, welches sie sich selbst zu
kochen hatten; doch verschaffte ihnen der Einfluss ihrer vornehmen
Mitverurtheilten wenigstens Sonntags .einige andere Genüsse. Ein
mitleidiger Schmied liess sich überdies bereit finden gegen ein Honorar
von 12 K. die 20pfündigen Ketten, bei •nächtlicher Weile, abzu-
sehlagen und gegen nur 12 pfundige zu vertauschen. Nach zweijähriger
Zwangsarbeit in Nertschinsk wurden ihm wegen seines guten
Verhaltens die Ketten abgenommen. Man begnadigte ihn zu leichterer
Arbeit in einem Salzbergwerke und nach weiteren 2 Jahren zur Ansiedelung.
Da sein Gewerbe, die Seifensiederei, in Sibirien keinen
günstigen Boden hat, weil der Verbrauch an .Seife im Ganzen nur
schwach ist, in dem kleinen Dorfe, welches ihm als Aufenthaltsort
angewiesen war, aber gar nicht in Betracht kam, so bequemte er sich
zu (einer niederen Stufe und wurde, Lichtzieher. Aber auch dieses
Geschäft lohnte nicht und sp trat er, mit Bewilligung des Beamten, %
in einem grossen Dorfe in der Nähe von Kansk bei einem Krämer
in Dienst. Der sichere Verdienst vpn 20 Rubel monatlich erlaubte
ihm; zu heirathen und zwar wählte er, nur seiner Neigung folgend,
ein Bauernmädchen aus, für dortige Verhältnisse, wohlhabendem
Hause. Der über die Mesalliance empörte Herr Schwiegervater
unterstützte das junge Ehepaar indess wenig, denn die ganze -Mitgift
seiner Tochter bestand nur in ein paar alten Töpfen ,und anderem
werthlosen Plunder. Unser Mann liess sich aber keineswegs ab-
schrecken, sondern etablirte mit seinem, kleinen Ersparniss flugs
ein eigenes Geschäft. Dasselbe liess sich sehr schön an. Alle Bauern
bemühten sich dem neuen Laden durch ihre Kundschaft unter die
Arme zu greifen und sein Thee, Zucker, die Stiefeln und andere
Kurzwaaren fanden reichlich Käufer. Nur ein übler Umstand war dabei,
die meisten Hessen anschreiben um nie zu bezahlen und als der gewissenhafte
Kaufmann einst die Bilanz zog, fand sich, dass von den
600 Rubeln mit welchen das Geschäft eingerichtet worden war, nur
höchstens. 190 noch als sicher zählten. Als die Kunde von dem
Gnadenakte des edelmüthigen Kaisers Alexanders II. auch bis in
das entlegene Dorf am Jenissei drang, erwachte das nur gewaltsam
unterdrückte Gefühl für die Heimath auch in diesem Polen und er
beschloss, koste es auch sein Letztes, dieselbe wieder zu erreichen
um seine inzwischen alt gewordenen Eltern in Warschau noch wiederzusehen.
So verkaufte er denn sein Haus für 30 Rubel und seine
5 Kühe und machte sich mit Frau und Kindern, drei niedlichen
Mädchen von 3 bis 6 Jahren, in die Heimath auf. Zwar blieb ihm
nur wenig Reisegeld, aber der Mann wusste, dass man in Sibirien