nicht wieder zu erkennen; aus dem stattlichen breiten Flusse war
ein brausendes Gebirgswasser geworden, welches beiderseits von hohen
Ufern begrenzt, oberhalb schäumend über und zwischen Felsen herabschoss
und eine Stromsehnelle bildete. Hier herrschte ein fröhliches
Getreibe und Gespiel lustiger Möven (Larus affinis) von denen
wol 30 und mehr mit Fischfang beschäftigt waren. Sie stellten
kleinen Fischen (Coregonus Merkii) nach, die stromaufwärts strebten und
sich bemühten die Stromschnelle zu überwinden, auf der die Möven
gleichsam wie zum Spass, schwimmend herabtanzten, um wieder
zurückzufliegen und das Spiel aufs Neue zu versuchen.
Der aus Sand und Geröll bestehende Strand, am rechten Ufer
eine breite Bank bildend, war mit unzähligen grösseren, oft blockartigen
Rollsteinen (Chloritschiefer, Kieselschiefer, Granit, Porphyr
u. s. w.) dicht besät, die sich zuweilen häuften und alle
Einwirkung von Eisenniederschlägen zeigten. Der Eluss war übrigens
stark gefallen und zwar, nach den Berechnungen von Graf
Waldburg, 2 Meter.
Sanda führte auf einem Schlitten ein Cano mit, ohne welches
der Uebergang über das reissende Wasser wol nicht möglich gewesen
wäre. Das Hinübertreiben der Herde gewährte ein eigen-
thümliches belebtes Bild. Die Renthiere, welche bekanntlich ausgezeichnet
schwimmen und selbst über die grössten Ströme (Ob,
Jenissei) setzen, wurden unter Zurufen und mit Hülfe der Hunde
gewaltsam ins Wasser gejagt und bald sah man nur noch einen
Wald von Geweihen schwimmen, der, durch die Strömung fortgerissen,
mächtig abtrieb. Nach dem Gepäck folgten wir, so dass der
Uebergang eine beträchtliche Zeit in Anspruch nahm, denn das
kleine Boot vermochte nur zwei Mann zu fassen. Doch wusste es
Sanda trotz der Heftigkeit der Strömung, nur seinen stockdicken
Leitstab als Ruder gebrauchend, trefflich zu hantiren.
Wir befanden uns nun am rechten Ufer, weit oberhalb der
Stelle, wo wir den Fluss verlassen hatten, an einer äussersten Biegung
seines obersten Laufes und sollten der äussersten südwestlichen
Biegung des mittleren Laufes, und zwar wiederum dem rechten Ufer
zustreben, um an einer Stelle,*) Tschornii - jar (russ. d.h. schwarzes
Steilufer) genannt unsere Lotka zu finden.
*) Ich habe dieselbe auf der Petermann’schen Karte (1877. taf. 12) samojedisch
,;Nada Tube“ d. h. todtes Land genannt, wie ich dies von Herrn Wassiljeff hörte,
allein wol irrthümlich, denn ich finde in dem samojedischen Vocäbulär Schrenk’a
Die Hoffnung, das Ende unserer Wanderung schon in wenigen
Stunden zu erreichen, belebte die Stimmung gar sehr, erwies sich
aber leider als eine eitle. So weit es die Kräfte der Thiere gestatteten,
konnten wir jetzt wieder streckenweis aufsitzen und dies
that wohl. Denn die Tundra, welche wir zu passiren hatten, war
für den Fussgänger höchst ermüdend. Die Moosdecke ruhte nämlich
auf grossen Maulwurfshaufen vergleichbaren Hügeln, die dem
Fuss selten festen Halt gewährten, der stets in die Vertiefungen
zwischen den Mooshügeln tief einsank, so dass man sich eben so
sehr oder noch mehr als in reiner Sumpf- oder Gestrüpptundra an-;
strengen musste. Der brave Spitz, ein Renthierhund, dessen Eifer
die Heerde zusammenzutreibeü oft in das Gegentheil ausartete und
der desshalb an den Schlitten gebunden war, hatte offenbar dieselbe
Wahrnehmung gemacht. Wenigstens sah ich ihn plötzlich zu meiner
Ueberraschung auf der Schlittensohle stehend mitfahren, ein Kunstkein'
solches Wort, dagegen für „todt“ und „Land“ ganz andere Wörter ver-
zeichnet; schwarz heisst auf samoj. „pari“.
F i u s c l i , Rei.se. I.