Meter, über 6000 Fuss) erreicht, die uns zum See hinabführte und
genossen einen entzückenden Fernblick auf die Schneekette des Ssa-ur,
vor der sich gleich einem weiten See, ein gelher Streif aushreitete:
die Steppe bei Saissan! Wir befanden uns über oder wenigstens am
Ende der Holzgrenze, denn nur noch vereinzelt zeigten sich Gruppen
durch Wind und Wetter verkümmerter, aher keineswegs verkrüppelter
Lärchen, deren spärliche Aeste mit langen Bartflechten (Usnea barbata)
bedeckt waren.
„Anffallend ist hier am ganzen Südabhange (dem chinesischen
Th eile) des Altai bis zum Marka-See, schreibt mir Graf Waldburg,
das gänzliche Fehlen des Nachwuchses. Nur alte Lärchen sind
sichtbar, bis an die Grenze des Baum Wuchses bei ungefähr 1800 Meter
Höhe. Nirgends ist nur mittelwüchsiges, geschweige Jungholz zu
sehen. Pinus sibirica (Fichte) steigt nicht so hoch und ist mehr
an den Bächen in den Thälem. ' Vielleicht sind die jährlich regelmässig,
ohne jede Controle angelegten Brände des Unterholzes, an
diesem Fehlen des Nachwuchses schuld.“
Die einzelnen kahlen Baumgruppen contrastiren, im Verein mit
den entfernter liegenden Schneefeldern der kahlen Kuppen, sonderbar
mit den reichen Alpenwiesen auf welchen veilchenblaue und hellgelbe
grossblumige Stiefmütterchen (Viola altaica, tricolor und vulgaris),
gelbe Primeln (Primula macrocalyx) und eine schöne blaue
Blume (Gentiana verna) dicht wie auf Teppichbeeten wucherten
und mit dem jubilirenden Gesänge unserer Feldlerche. Diese entzückende
Gebirgslandschaft konnte an die grünen Matten der Alpen
erinnern, aber ihr fehlte Leben und lebendige Zeugen der Anwesenheit
des Menschen, obwol die Wanderhirten auch bis hierher Vordringen.
So trafen wir ein oder zweimal weidende Pferde, weit öfter nber
aus Baumstämmen gefügte Hütten, die von weitem; an Semnereien
mahnten, aber keine fröhliche Hirten, Sonefern niir- sterbliche
Ueberreste enthielten, denn es waren Kirghisen-Gräber.
Der Abstieg zum See gestaltete sich nicht so leicht als wir
erhofft hatten, vielmehr standen uns noch die beschwerlichsten
Passagen bevor. Es galt eine Reihe sich aufeinander folgender von
Nord nach Süd streichender an 1000 und mehr Fuss tiefer, ungemein
steil abfallender Thäler zu überqueren und wir konnten dabei häufig
nicht einmal dem sonst üblichen Pfade folgen. Derselbe führt sonst
in schiefer Richtung von rechts nach links abwärts, um sich in
entgegengesetzter von links nach rechts an der anderen Thalseite
wieder in die Höhe zu ziehen, war jetzt aber theilweis noch durch
grosse Schneefelder verdeckt, die nicht mehr Kraft genug besassen
die Pferde zu tragen. Zwar wurde stets von Kirghisen der Versuch
gemacht, aber die armen Thiere sanken so tief ein, dass es manchmal
Mühe kostete sie aus dem Schnee herauszuarbeiten. Und so mussten
wir öfters den jähen Abhang direct herniederklettem, wobei ich
trotz aller Vortrefflichkeit des Kirghisenpferdes es einigemale vorzog
mich lieber meinen eigenen Beinen als ihrem Rücken anzuvertrauen.
Denn die dichten Wachholderbüsche welche diese Abhänge bekleideten
und das übliche Zickzackreiten meist verhinderten, würden nicht im
Stande gewesen sein ein stürzendes und ins Rollen gekommenes
Pferd aufzuhalten. Trotzdem trabten die Kirghisen, öfters noch
mit Reservepferden an der Hand lnstig an diesen Abhängen dahin
und es war zuweilen ein fast haarsträubender Anblick, von der
Thalsohle aus die schwerbeladenen Packpferde herabratschen zu
sehen. Hatte man das Thal glücklich erreicht, so bereitete der hier
rauschende Wildbach, welcher wie üblich mehrmals überschritten
werden musste, neue Schwierigkeiten, kurzum man hatte allenthalben
und überall Weg und Reitthier volle Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Mit dem General und Graf Waldburg vorausreitend lagerten wir in
einer wildromantischen Felsenschlucht, um die Generalin, welche
photographischer Aufnahmen halber zurückgeblieben war, zu erwarten
und einen Imbiss zu gemessen. Ich benutzte den Aufenhalt nm
in der Schlncht jagend aufwärts zu gehen, bis wild herabgestürzte
Felsenmassen (Grünschiefer) und Schnee das Weiterkommen versperrten.
Gebirgsbachstelzen (Motacilla boarula), Steinschmätzer
(Saxicola oenanthe) und ein im Lockton und Wesen dem. Wasserpieper
(Anthus aquaticus) verwandter Vogel belebten die einsamen
Halden, über denen hoch in den Lüften schwarze, krähenartige Vögel
schwebten, die sich durch ihr Geschrei als Alpendohlen verriethen.
Ihnen war natürlich nicht beizukommen und die Jagd auf die so
scheuen Pieper vereitelte bald ein tüchtiger Hagelschauer, welcher
mich in das kleine Zelt trieb, wo die Gefährten missvergnügt der
übrigen Gesellschaft und des ersehnten Koches harrten. Aber keine
Seele liess sich blicken nnd so mussten wir nach vergeblichem ein-
stündigem Warten weiterziehen. Die bald darauf sich bietenden
herrlichen Blicke, theils auf die Steppe mit dem Ssa-ur, sowie
später auf einen Theil des Marka-Kul, entschädigten, mich wenigstens,
reichlich für das vermisste Essen und ich vergass es ganz, als viel-*
F i n s c h , Reise. I . J[7