ich einer schwarzschnäbligen grossen Gans, unverkennbar Anser
cygnoides, die sich indess schleunigst mit ihrer Jungenschaar in’s
Ufergesträuch rettete. Weit grossartiger gestaltete sich das Vogelleben
als ich, nach einer durch bösartige Mücken übel verbrachten
Nacht, in der Früh des ändern Morgens (2. Juni) nach dem nahen
See aufbraeh. Mein Weg führte durch enorme Rohrdickiclite, in
denen ich muntere Bartmeisen (Parus biarmicus und zuerst den dick-
schnäbligen Rohrammer (Emberiza pyrrhuloides) fand. Als ich das
Ufer, eine ausgedehnte Sandfläche, erreichte, sah ich den ruhigen
Spiegel des See’s vor mir ausgebreitet, bis an den Horizont. Die
Tiefe desselben konnte nicht bedeutend sein, denn weit von mir
gingen Fischer badend ihrem Gewerbe nach. Seeschwalben (Sterna
hirundo) und Möven (Larus argentatus, oder deren südliche Form
L. leucophaeus, ridibundus und einzelne ichthyaetus) kreischten in
der Luft und die vereinzelten kahlen Baumstumpfe waren mit grossen
Seeadlern besetzt. Es war, wie die von meinen Gefährten geschossenen
Exemplare zeigten, der seltene Haliaetus leucoryphus. Weiter draussen
auf dem See wadeten und schwammen, unnahbar vor Verfolgungen
Nimmersatts, Löffler, Cormorane und, in majestätischer Ruhe, grosse
weisse Vögel: Pelekane!
Die Jagd liess uns nicht früher als gegen 11 Uhr aufbrechen,
aber schon in sehr kurzer Zeit wurde wiederum angelegt und zwar
am linken Ufer, unmittelbar an der Mündung. Es befand sich hier
ein weit grösserer Fischereiplatz, aber in keiner Weise besser eingerichtet
als der zuerst gesehene. Unzählige, der Länge nach gespaltene
Fische, hauptsächlich Njelma und Hecht, dörrten unvollkommen
gesalzen in der Sonne, die das Fett herausschmilzt und sie
zu übelriechenden, thranigen, ekelerregenden Mumien trocknet. Aber
sie genügen in dieser miserablen Zubereitung dem wenig verwöhnten
Geschmacke; ebenso der unappetitliche, durch zuviel Salz verdorbene
Caviar, welcher hier von dem kostbaren Rogen des Accipenser Gül-
denstaedti bereitet wurde.
Wir sollten den See nicht ohne ernsteren Unfall kreuzen, den
ersten der Reise, welcher ein Menschenleben in Gefahr brachte und
zwar in Folge zu grossen Jagdeifers. Die zahlreichen, auf todten
Baumstumpfen sitzenden Seeadler waren unter den Einwirkungen
der Mauser so träge, daher so wenig scheu, dass sie förmlich zur
Jagd aufforderten, So liess einer vier Kugeln in nächster Nähe bei
sich vorbeipfeifen, ehe er abstrich. Ein anderer stark verwundeter,
bäumte sogleich auf einem nahen Wurzelstocke wieder auf, und der
Dolmetscher des Majors begab sich in ein Cano um ihn vollends
zu erlegen. Aber in demselben Moment als er dasselbe betrat entlud
sich sein Gewehr (wie gewöhnlich aus unerklärbarer Ursache),
und traf den Kosaken, welcher mit den Riemen in der Hand bereit
sass. Der Schuss war ein sehr glücklicher, denn nur eine Spanne
höher und er wäre in den Unterleib gefahren, der Mann damit
unrettbar verloren gewesen. So hatte er nur die Wade durchbohrt,
ölücklicher Weise O ohne den Knochen zu verl.etzen.. Be.i der so kurzen Entfernung konnten sich die Schrote noch nicht ausbreiten,
sondern sassen dicht zusammen im Holze des Bootes. Aber ein
Schrotschuss von No. 3 reisst eben keine kleine Wunde und der
Graf und ich hatten daher nicht geringe Mühe dieselbe zusammenzuflicken.
Die im letzten Kriege so bewährte blutstillende Eisenchlorid
Watte*) erfüllte ihren Zweck auch hier vollständig. Freilich
verursacht ihr Auflegen wahren Höllenschmerz. Doch hielten kräftige
Arme den beklagenswerthen Pawle, der laut jammernd nach Schnaps
verlangte, aber zunächst mit dem reichlich gespendeten Trostesworte
„nitschewo!“ (es ist nichts!) Beruhigung finden musste. Nachdem
wir das Blut gestillt, die Wunde kunstgerecht mit Heftpflaster verklebt
und verbunden hatten, konnte Pawle wieder stehen und wurde
nach Saissan zurückgeschickt, wo er unter den geschickten Händen
Dr. Panders bald wieder hergestellt worden sein wird.
Die Fahrt über den gelbbraunen See gestaltete sich zu einer
ebenso angenehmen als langsamen. Da wegen totaler Windstille
nur gerudert werden konnte, so gebrauchten wir zu der c. 20 Werst
weiten Strecke an 8 Stunden. Es kam mir dies sehr gelegen, denn
ich konnte somit im Verein mit Martin Dzerwit und Iwan die ziemlich
reiche Jagdausbeute bis aufs letzte Stück bewältigen. Dabei
blieb immer noch Zeit genug das Auge über die durch schneebedeckte
Ketten malerisch begrenzte Landschaft schweifen zu lassen
und sich an dem internationalen Concert zu betheiligen, welches in
kalmückischen, kirghisischen, russischen, kosakischen, lettischen und
deutschen Weisen, also äusserst färben- wenn auch nicht immer
klangreich zum Ausdruck gelangte.
Da unsere Lotka nur die südöstlichste Ecke des Sees kreuzte,
*) Bekanntlich eine Erfindung des verdienstvollen Dr. K. Ehrle, der auch den
medicinischen Maximalthermometer erfand.