führte, die am besten rittlings benutzt werden und früher auch bei
uns einzeln unter dem Namen „Wurstwagen“ vorkamen, ging es,
wie stets nach Ankunft in einer grossen Stadt üblich, zunächst
nach der Post, dem Telegraphen und dann vor allen Dingen, um
Plätze zu belegen, nach dem Comptoir der Dampfschiffe. Dasselbe
liegt fast eine deutsche Meile vom Centrum der Stadt entfernt am
Tom. Ich lernte dabei die, wie überall in Sibirien, nichts weniger
als einladenden Vorstädte kennen, mit ihren verfallenen oder im
Verfall begriffenen Holzhäusern, den Kehricht- und Gemüllhaufen
und freute mich über das trockene Wetter, denn bei Regen können
diese Strassen wol nur aus morast- und sumpfartigen Kothlachen
bestehen.
Das Etablissement der Herren Koltsehin und Ignatoff ist weit
grossartiger als das, welches dieselben in Tjumen besitzen und zeigt
jene musterhafte Ordnung, wie man dieselbe leider nur zu selten in
Sibirien findet. Ein Reihe stattlicher, hölzerner, einstöckiger Pack-
häuser dienen zur Aufnahme der per Karavane ankommenden Güter,
hauptsächlich Thee von Kiachta, und es herrschte ein geschäftiges
Leben und Treiben von Fuhrwerken, Arbeitern u. s. w.
In die Stadt zurückgekehrt, warteten andere dringende Besorgungen,
wie z. B. der Ankauf von Provisionen aller Art (Thee,
Kaffee, Zucker, Wein, Reis, Mehl etc.); es wurde daher fast 11 Uhr
(Abends), ehe ich Alles besorgt hatte. So war es mir leider
nicht möglich gewesen, dem Herrn Gouverneur für die vielen Beweise
freundlicher Fürsorge unseren Dank abzustatten. Diese verschiedenen
Streifzüge hatten mich mit dem grösseren Theile der
Stadt bekannt gemacht und den gleich beim Einfahren gewonnenen
guten Eindruck nur erhöht. In der That imponirt Tomsk unter
allen von uns gesehenen Städten Sibiriens am meisten. Seine
Hauptstrassen, mit vielen steinernen Häusern, deren z, Th. elegante
mit Spiegelscheiben und Firmenschildern versehene Läden, der ausgedehnte,
steinerne, europäische Kaufhof (Gostinoi-Dwor), die grossen
Kirchen, Regierungs- und anderen öffentlichen Gebäude (darunter
ein Theater), geben einen ordentlich grossstädtischen Anstrich. Die
z. Th. sehr abschüssigen Strassen sind ungepflastert, aber theilweis
ähnlich wie in Amerika, mit aus Bohlen verfertigten Bürgersteigen
versehen. Nächst Irkutsk, der bevölkertsten Stadt Sibiriens (32,789
Einw., Schwanebach), ist Tomsk jedenfalls die bedeutendste. Die
Einwohnerschaft wurde mir sehr verschieden, von 22,000—-30,000
angegeben, da genaue Daten, aus Mangel an richtiger Zählung,
überhaupt fehlen (Schwanebach nennt 25,605) und weil Tomsk, wie
mir ein Kaufmann sagte, „unzählbares Gesindel, weggelaufene Verbrecher
etc.“ beherbergt.
Das soll freilich die Sicherheit nicht erhöhen, aber dies ist ja
so häufig das Schicksal grösser Bevölkerungscentren und als solches
muss Tomsk für Sibirien jedenfalls gelten. Namentlich in Bezug
auf Handel, in welchem es vielleicht Irkutzk übertrifft, denn hier
ist der grosse Sammelpunkt aller von Irbit kommenden europäischen
Waaren und des Kiachtahandels, namentlich Thee. Jedenfalls wird
die Stadt, von der schon der alte Gmelin*) (1734) sehr richtig
sagt: „wenn irgend eine Stadt in Sibirien zu der Handlung bequem
liegt, so ist' es Tomsk“, bei weiterer Entwickelung des Seeweges
bedeutend gewinnen. Sehr wichtig für dieselbe ist auch, dass durch
Kais. Ukas die „Sibirische Universität“**) hier ihren Sitz haben
wird. So scheint Tomsk eine rechte Zukunftsstadt Sibiriens und
dazu berufen sich zur eigentlichen Hauptstadt empor zu arbeiten.
Tomsk wurde 1617 gegründet und liegt unter 56. 29. 18. 4
*) Yergl. I. p. 308-313 j). 314. Hier über die ungemeine Faulheit und Liederlichkeit
der Bewohner. „Ein Kerl der 4 Kopeken im Vermögen hat, verthut 2 davon
mit Dirnen, anderthalb versäuft er und einen halben gibt er für Essen.“ Und
Pallas 2. 2 p. 657—659:. „Nie habe ich einen Ort gesehen, wo das Laster der
Völlerey so allgemein und in so hohem Grade im Schwünge gehen sollte als
Tomsk,“ das war aber 1771! ■
**) Der Plan zu einer solchen stammt schon aus dem Jahre 1803, und zwar
in Folge eines grossmüthigen Geschenkes des Fürsten Demidoff, welcher 100,000
K. hergab. Aber erst 1856 wurde die hochwichtige Angelegenheit aufs Neue angeregt,
um erst 20 Jahre später, Dank den energischen Bemühungen des General-
Gouverneurs v. Kasnakoff, die kaiserl. Bestätigung zu erhalten. Doch ging der
Wunsch des Generals, Omsk als Sitz zu wählen, nicht durch, weil zahlreiche Petitionen
aus Sibirien und die kais. Commission in Petersburg einstimmig Tomsk
als grösstes Centrum Sibiriens bezeichneten. Das Grundcapital der Demidoff sehen
Schenkung ist inzwischen auf 150,000 B. ängewachsen und ausserdem brächten
verschiedene reiche Leute im Gouvernement Tomsk an 300,000 B. zusammen.
(Vergl. Buss. Bevue 1878 p. 582). Ganz besonders war es aber wiederum der um
Sibirien so hochverdiente Herr Alexander Michailowitsch Sibiriakoff (der auch
unsere Expedition in erster Linie unterstützte), welcher in grossmüthiger Liberalität
100,000 B. beisteuerte, „zur Anschaffung von Lehrmitteln für ein physikalisches
und naturhistorisches Cabinet“ und mit dem Wunsche, „dass die Universität die
Berichte über die betreffenden Sammlungen in einer Petersburger und einer sibirischen
Zeitung veröffentlichen möge“.